Stilvolles Stuttgart

Stuttgart polarisiert. Für die einen steht die baden-württembergische Metropole für eine einzigartige Dichte von hochkarätigen Kulturinstitutionen, wertige Kulinarik und stilvolles Shopping, andere reiben sich an urbaner Zergliederung und heterogenen architektonischen Tableaus. Letztere versöhnen Spaziergänge durch die Weinberge der Stadt.

Seit nunmehr 75 Jahren zählt das Stuttgarter Kammerorchester zu den führenden seiner Art in Europa. In den Dienst des Ensembles stellten sich in den vergangenen 75 Jahren renommierte Dirigenten wie Karl Münchinger, Dennis Russell Davies und Michael Hofstetter. Heute leitet mit Thomas Zehetmair und Jörg Widmann eine Doppelspitze die Geschicke der 17 Streicher. Künstlerisch einzunehmen vermögen die Musiker insbesondere durch ihre hohe Spielkultur und ein breites Repertoirespektrum, das Werke des Barock und der Wiener Klassik ebenso integriert wie Werke des 19. und 20. Jahrhunderts oder zeitgenössische Musik. Rund 80 zum Teil hochdekorierte Einspielungen entstanden in den vergangenen Jahrzehnten. Die aktuelle CD des Ensembles widmet sich zwei Meisterwerken von Wolfgang Amadeus Mozart. Für die Aufnahme eingeladen haben sich die Stuttgarter die beiden russischen Solisten Mikhail und Ivan Pochekin. Sämtliche Akteure nehmen ein durch exzellentes spieltechnisches Niveau, musikantische Verve, Leichtigkeit, Transparenz und interpretatorische Durchdringung.

Verfall fasziniert. Gegenwart von Vergänglichem fungiert als Versprechen. Insbesondere Dichter, Philosophen, Maler und Fotografen erliegen dem Reiz des Morbiden und der Schattenwelten. Wenige andere Sujets generieren absichtsloser vergleichbare Schönheit, Abstraktionswerte und ungeschriebene Geschichten. Benjamin Seyfang nähert sich mit seiner Kamera exemplarischen „Lost Places“ in der Region Stuttgart. Seine tiefenscharfen, von verblassenden Kolorits getragenen Bilder feiern die Varianz des Maroden. Ob übermooste Traktoren, überwachsene Pools, verlassene Villen und Industrieanlagen, verwahrloste Klassen-, Arbeits- und Wohnzimmer oder verwaiste Kinos und Tankstellen: Seyfangs solitäre Stillleben spielen mit der Magie des Surrealen ebenso wie mit den Fantasien des Betrachters. Ihre Poesie schärft den Blick für die Abgründe seelenloser Perfektion.

Ihren Ruf als eine der internationalen Leitinstanzen in Sachen Ausstellungskultur untermauert die Staatsgalerie Stuttgart mit „Becoming Famous – Peter Paul Rubens“. Der in Siegen geborene Maler flämischer Provenienz gilt als einer der erfolgreichsten Künstler seiner Epoche. Nicht nur verfügte der Meister über beste Kontakte in wichtigen europäischen Metropolen und über erhebliche finanzielle Mittel, sondern er wusste seine stilbildenden Arbeiten in seiner Antwerpener Werkstatt überdies effizient zu fertigen und zu vermarkten. Die Ausstellung mit rund 90 repräsentativen Gemälden und Arbeiten auf Papier aus eigenem Bestand und hochwertigen Exponaten aus internationalen Museen und Sammlungen wirft exemplarische Schlaglichter auf Substanz und Perfektionsanspruch von Rubens’ vielgesichtigem Schaffen: farbmächtige Tableaus, so vital und sinnenfroh wie existenziell gesättigt.

Stuttgarts Ruf als kulinarischer Hotspot korrespondiert sinnstiftend mit der zentral gelegenen Markthalle. Der 1914 fertiggestellte Jugendstilbau bietet allein im Erdgeschoss Händlern und Verkaufsständen 3500 Quadratmeter Raum, um ein opulentes Spektrum von Produkten aus dem gehobenen Preissegment zu präsentieren. Geziert wird das unter Denkmalschutz stehende Gebäude von kunstvollen Fresken, Fassadenplastiken, Reliefs und Skulpturen, die über den Einkauf hinaus zum Flanieren einladen.

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1. Stuttgarter Kammerorchester, Wolfgang Amadeus Mozart – Sinfonia Concertante KV 364, Violinkonzert KV 219, Mikhail Pochekin, Ivan Pochekin, Hänssler Classic, HC 20078, CD
2. Benjamin Seyfang, Lost Places in der Region Stuttgart – Die Faszination verlassener Orte, Silberburg-Verlag, 168 S., 29,99 Euro, Bildband
3. Peter Paul Rubens, Becoming Famous, Staatsgalerie Stuttgart (bis 20.02.22), staatsgalerie.de, Ausstellung 
4. Markthalle Stuttgart, markthalle-stuttgart.de