Hoffmeisters Empfehlungen
Weltenbilder – Bilderwelten
Besinnliche Kunstgenüsse in Zeiten medialer Reizüberflutungen
In Zeiten überbordender wie sinnfreier Bild-Produktion lassen Wahrnehmungsverschiebungen nicht auf sich warten. Kaum erwehren können sich die weltweiten Museen des steigenden Interesses an konsistent aufbereiteten Bildertableaus. Ob im Zeichen Velasquez‘, Turners, Giacomettis, Richters oder Wols‘: Kuratierte Kunstschauen gewähren sehnsuchtstiefen Blick und kontemplative Betrachtung. Wo aber Welt als Bild und Bilder als Welt sich gerieren, sind Distanz und Distinktion streitbaren Diskurses gefragt. Der wissende Betrachter macht sich kein Bild. Er sieht den Abgrund flottierender Zeichen.
Noch bevor der Schweizer Autor Paul Nizon literarisch avancierte, reüssierte der promovierte Kunsthistoriker mit Essays über zeitgenössische Kunst, Maler und Bildhauer. Als Korrespondent und Kritiker der Neuen Zürcher Zeitung reflektierte und spiegelte er die Strömungen der Nachkriegskunst, zeigte zudem Bezüge auf zu Meistern wie Rousseau, de Goya oder van Gogh. Nizons an Bildbeschreibung und -analyse geschärfte Sprache, sein verbales Nuancierungspotential manifestierten sich sukzessiv auch im fiktionalen Kontext, umgekehrt vermählten sich seine kunstkritischen Arbeiten mit Prosaelementen. Museumsbesuche als Lektüre.
Als Autor schätzt der Kunsthistoriker und -händler Florian Illies nachhaltige sprachliche Volten, als Journalist die Zuspitzung, als Kritiker Klarheit und Fokussierung, als Mensch die Menschen hinter dem Kunstwerk. Seine Texte und Reden zu Kunst und Literatur ebenso wie seine Portraits bezeichnen Hommages. Sie sind
Referenz an persönliche Heroen wie Menzel, Friedrich, Baselitz oder Warhol. Suggestiv, wortmächtig, bisweilen beiläufig lässt Illies seine Figuren erwachsen; Männer, versehrt von Alltag und Allzumenschlichem, die von der Kunst sich Linderung oder Erlösung versprechen. Sprecher Ulrich Noethen versieht die gebotene Sachlichkeit des Vortrags mit dezenten, aber nachwirkenden Akzenten und einer Coolness, die einem Highsmith-Roman gerecht würde.
Claude Debussys Klangtableaus oszillieren zwischen Flüchtigkeit, sublimem Farbenrausch, duftiger Harmonik und schattierten Lichtwerten. Insbesondere die 24 Preludes präsentieren beispielhaft die Nähe des französischen Komponisten zur Malerei, namentlich dem Werk des Briten William Turner. Zahllose renommierte Pianisten haben sich des komplexen Zyklusses in den letzten Jahrzehnten angenommen. Zu den originärsten Exegesen zählt die 1969 von Friedrich Gulda eingespielte Aufnahme, die jetzt in klangoptimierter Fassung vorliegt. Der Wiener Pianist wagt den Balanceakt zwischen abstrakt-rationalisierter Annäherung und introspektiv-intimem Zugriff, zwischen erdiger farb- wie spannungsgesättigter Attacke und ätherischer Geste. Guldas Anschlagskultur zeigt eminente Varianz, seine pianistische Geradlinigkeit steht für unbedingte Luzidität. Referenz!
Viele kennen ausschließlich sein photographisches Werk. Doch der US-Amerikaner Man Ray zählt mit seiner Malerei, den Zeichnungen, Objekten, Bildern, Filmen und Assemblages zu den wenigen „Universalkünstlern“ des 20. Jahrhunderts. Rund 200 – zum Teil unbekannte – Leihgaben aus aller Welt versammelt die Wiener Werkschau und ermöglicht damit einen repräsentativen Einblick in das Schaffen des produktiven Künstlers.
Informationen:
• Paul Nizon, Sehblitz, Suhrkamp, 302 S., 20 Euro
• Florian Illies – Gerade war der Himmel noch blau, Texte zur Kunst, Lesung mit Ulrich Noethen, Der Audio Verlag, 4-CD-Box, 5 h 21 min, 19,99.- Euro, Hörbuch
• Claude Debussy, Gulda, 24 Preludes, MPS 0300973 MSW, CD
• Ausstellung: Man Ray, Kunstforum Wien, bis 24.06.18 www.kunstforumwien.at
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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