Porträt

Soziale Verantwortung und Qualität statt Fast Fashion

von Anne Klesse |
| Lesezeit: 5 Minuten

Mit der Coronapandemie wurden die Schwächen der Billigproduktion im Ausland deutlich. Ernst Grimmelt führt das Familienunternehmen Velener Textil GmbH – und hofft auf ein langfristiges Umdenken.

 

 

 

Es war die Weltfinanzkrise ab 2007, die für Ernst Grimmelt alles auf den Prüfstand stellte. Als Mitinhaber der Velener Textil GmbH hatte er zwar schon zuvor mit den billigen Textilimporten aus Fernost zu kämpfen gehabt. „Doch das war noch mal ein großer Einschnitt, der im Bereich Bekleidung den Trend weiter beschleunigt hat“, erinnert sich Grimmelt. Während die Freizeitbekleidung vorher einen großen Anteil der Produktion ausmachte, spezialisierte sich die Weberei dann auf technische Artikel.

Seither stellt das münsterländische Unternehmen hauptsächlich hochwertige Gewebe für Arbeitsschutzkleidung – beispielsweise flammenhemmendes Material für Feuerwehr, Hotels oder Krankenhäuser – und Trägerstoffe für Schleifmittel her, das im Automobil- und Maschinenbau benötigt wird. „Am Ende haben wir die Krise damals gut gemeistert, aber es war ein harter Weg. Wir haben Aufträge verloren und mussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen.“

Hoffen auf die richtigen Lehren aus der Coronazeit

Das nächste weltumspannende Ereignis, das auch hierzulande alles von rechts auf links drehte, die Coronakrise in diesem Jahr, hat das Traditionsunternehmen, das 1933 gegründet wurde, nicht ganz so hart getroffen. Zwar musste auch die Velener Textil GmbH, wie bislang rund 750.000 Unternehmen in Deutschland, Kurzarbeit in einzelnen Bereichen anmelden, aber um Entlassungen kam man in Velen herum. Stattdessen wurden für einen Stammkunden, der sonst Bekleidung und Accessoires produziert, Stoffe für Mund-Nasen-Schutz zur Konfektionierung hergestellt.

Mit den Veränderungen der damaligen Finanzkrise im Hinterkopf, setzt Grimmelt nun darauf, dass die richtigen Lehren aus der Coronakrise gezogen werden. „Ich hoffe, dass sich der Konsum nachhaltig ändert – zugunsten unserer heimischen Wirtschaft.“ Das Ausland „als verlängerte Werkbank“ zu betrachten kann seiner Meinung nach nur schiefgehen. „Dort herrschen teils unzumutbare Arbeits- und Umweltschutzregeln, es wird zu unfairen Bedingungen produziert und dazu noch schlechte Qualität und Verarbeitung abgeliefert“, so Grimmelt. Weil die Produktion in Deutschland aber teurer ist, hofft er auf ein Umdenken der Endverbraucher. „Am Ende scheiterte bisher vieles am Preis“, weiß er. Während der Finanzkrise habe sein Unternehmen Aufträge verloren, bei denen es um gerade mal 80 Cent pro Meter ging. „Für eine Hose benötigt man vielleicht 1,50 Meter, da fällt dieser Mehrpreis nicht ins Gewicht. Das ist nicht nachvollziehbar“, findet er. „Eine höhere Wertschätzung für die Beschäftigten weltweit und die Produkte ist nötig.“ Eine Kampfansage an die Fast-Fashion-Industrie, die zur ständigen Ankurbelung der Nachfrage jedes Jahr etliche Kollektionen auf den Markt bringt.

 

 

 

 

 

 

 

Familienurlaub mit textilem Sightseeing-Anspruch

Nachhaltigkeit ist sein Thema. Er denkt an faire Produktionsbedingungen weltweit. An hochwertige Bekleidung, die lange hält. An Recycling. Seit 2013 verarbeitet sein Unternehmen Bio-Baumwolle aus Tansania. 2015 besuchte Grimmelt mit einem Kunden zusammen die Baumwollfarmer, zwei Jahre später noch einmal mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern. „Das Projekt dort ist ganzheitlich aufgebaut“, so Grimmelt. Es wird nachhaltig produziert, regelmäßig zum Thema Ernteeffizienz fortgebildet und außerdem die Schulausbildung der Kinder vor Ort gefördert. „Die Farmerfamilien erhalten zusätzliche Prämien dafür, dass sie Bio-Baumwolle anbauen und unsere hohen Anforderungen erfüllen.“ Dafür trägt der Stoff dann das Siegel des „Global Organic Textile Standard“, das für ökologische und sozial verantwortliche Textilproduktion steht.

 

 

 

Restlose Verarbeitung

Zu Hause in Velen hat Grimmelt ein weiteres Verfahren entwickelt: Unter dem Namen „Wecycled“ wird im wahrsten Sinne restlos verarbeitet. „Früher haben wir Spulen mit Resten von Garn und Zuschnittreste entsorgt. Das war teuer und verschwenderisch“, so Grimmelt. Nun werden diese genutzt und Garn- und Gewebereste sogar bei anderen Unternehmen abgeholt. In einer nahen Werkstatt für Menschen mit Behinderungen werden die Fasern sortenrein getrennt. Grimmelt ist überzeugt: „Solche Projekte machen unsere Produkte persönlicher. Unsere Kunden schätzen das und bezahlen gerne einen etwas höheren Preis dafür – denn preislich können wir mit Spinnereien in der Türkei, in Pakistan oder Indien nicht mithalten, wir müssen einen anderen Mehrwert bieten.“

 

 

 

Der Besuch der Farm in Tansania damals sei für seine ganze Familie ein besonderes und beeindruckendes Erlebnis gewesen, erinnert sich Grimmelt. „In jedem Urlaub geht es auch um ein textiles Thema, da lasse ich mir immer etwas einfallen.“ Er lacht. Interesse, das Familienunternehmen fortzuführen, zeigen seine 20-jährige Tochter und der zwei Jahre ältere Sohn jedoch nicht. Für Grimmelt ist das in Ordnung: „Sie sollen das machen, woran sie Freude haben, sich bloß nicht verpflichtet fühlen. Nur wer Spaß daran hat, was er tut, ist auch gut darin.“ Der Sohn des zweiten Geschäftsführenden Gesellschafters Bernd Spanderen ist seit mehreren Jahren in der Firma, die Nachfolge ist also geregelt.

 

Das Thema ist für Ernst Grimmelt jedoch ohnehin weit entfernt, denn er hat weiter Freude an seiner Arbeit und viele Ideen. Wenn er sich nicht gerade im Unternehmen engagiert, geht er laufen und liest viel. Während der Coronazeit habe er darüber nachgedacht, was ihm wirklich wichtig sei. Er ist zufrieden mit der Entwicklung seiner Firma, stolz auf seine Kinder. „Für mich selbst habe ich mir vorgenommen, mir stärker Gedanken über meine Ziele und die Zukunft zu machen.“


 

 

 

Zur Person

Ernst Grimmelt (RC Borken) studierte nach der Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann im Baumwoll-Im- und Export an der FH Niederrhein Textiltechnik. 2001 stieg er ins Familienunternehmen Velener Textil GmbH ein, seit 2004 ist er einer von zwei Geschäftsführenden Gesellschaftern. Seit 2008 ist Grimmelt im Vorstand der Bremer Baumwollbörse, 2014 bis 2016 war er ihr Präsident.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anne Klesse

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