Titelthema
Hauptdarsteller in den Traumfabriken unserer Zeit
Neymar, Messi, Ronaldo & Co. – für die Helden des modernen Fußballs ist das Wort „Superstar“ schon fast zu klein. Die großen Spieler von heute sind globale Marken – im Dienste vielfältiger Interessen.
Zweihundertzweiundzwanzig Millionen. Diese Zahl hat den Fußball mit der Kraft eines Erdbebens erschüttert. Als sich im vergangenen Sommer die katarischen Besitzer des französischen Fußballklubs Paris St. Germain entschlossen, für den brasilianischen Nationalspieler Neymar da Silva Santos Júnior exakt diese Summe an den FC Barcelona zu überweisen, läutete sie den Beginn eines neuen Zeitalters im Profifußball ein. Eine neue Traumfabrik war entstanden, grenzenlos und global. „Alles, von dem man dachte, das sei utopisch, das seien Phantasiesummen, scheint mit diesem einen Transfer möglich“, sagte der deutsche Nationalspieler Mats Hummels vollkommen zutreffend über die Wirkung dieses Mega-Deals, der sich bis dahin der Vorstellungskraft selbst der größten und mächtigsten Fußballklubs der Welt entzogen hatte.
Tatsächlich war die festgeschriebene Ablösesumme von Neymar zunächst auch nicht mehr als eine Phantasiezahl. Niemand hatte ernsthaft beim FC Barcelona daran gedacht, als die Summe von 222 Millionen Euro als festgeschriebene Ablösesumme in den Vertrag eingesetzt wurde, dass ein Klub tatsächlich einmal bereit und in der Lage sein würde, einen solchen Preis für einen einzigen Fußballspieler zu bezahlen. Der FC Barcelona hätte auch 234 oder 242 Millionen in den Kontrakt eintragen können, das war in der Gedanken- und Geschäftswelt des Fußballs des Jahres 2013 noch vollkommen gleichgültig. Aber 222 klang einfach besser. Magischer.
Im August 2017 wurde jedoch über Nacht aus einer Phantasie eine ökonomisch umstürzende Fußball-Wirklichkeit. Paris St. Germain hat keinen Spieler gekauft, sondern eine globale Marke erworben. Dafür hatte man bis dahin eine komplette Top-Mannschaft aus Manuel Neuer, Dani Carvajal, Jerome Boateng, Sokratis, Jordi Alba, Toni Kroos, Thiago, Ousama Dembele, Eden Hazard, Pierre-Emerick Aubameyang und Antoine Griezmann zusammenkaufen können.
Die Zahl 222 markiert die Stunde null des globalen Fußballs. Dieser Transfer zündete eine neue Stufe der Kapitalisierung und Internationalisierung des Fußballs, der sich nicht mehr nur allein aus der wirtschaftlichen Kraft von Einzelpersonen oder Unternehmen speist, wie das über viele Jahrzehnte im europäischen Fußball der Fall war. Hinzu gekommen sind im größten Spiel der Welt nun auch geostrategische Interessen sowie die unermessliche Kraft, die in arabischen oder in chinesischen Staatsfonds liegt. Diese Investoren versuchen mit ihrer Finanzkraft, aus dem Fußball auch etwas Neues zu machen. So wird mittlerweile ganz konsequent nach entsprechenden Plattformen gesucht oder es sollen neue geschaffen werden, um global vermarktbare Spieler zu präsentieren und die enormen Investitionen mehr als nur wieder reinzuholen.
In diesem Frühjahr hat Gianni Infantino, der Präsident des Internationalen Fußball-Verbandes (FIFA), auf einer Council-Sitzung von einem Angebot über angeblich gut 25 Milliarden Dollar aus dem Nahen Osten und Asien berichtet, um die Rechte einer noch zu reformierenden Klub-Weltmeisterschaft sowie einer noch gar nicht existierenden globalen Nations League als eine Art Weltliga der Nationalmannschaften zu verkaufen. Details über die Interessenten nannte Infantino nicht. Aber um die Dimensionen und Verlockungen klar zu machen, muss man nur auf die Finanzkraft des Weltverbandes schauen. Die Reserven der FIFA belaufen sich derzeit auf rund 930 Millionen – das Angebot für diese beiden Wettbewerbe ist über 25 mal so hoch.
Star sein allein reicht nicht mehr
Klar wird in diesem Moment der weltweiten Geldströme und der globalen Fußballermarken aber noch etwas Anderes: Ein einzelner Spieler ist nicht mehr nur der Star einer Mannschaft, ein Fußballer von herausragender und bezaubernder Qualität, wie es Zinedine Zidane, Diego Maradona, Johan Cruyff, Franz Beckenbauer oder Pelé immer waren, die Fußballfans über die Generationen hinweg in ihren Bann schlugen. Das waren noch nationale Helden. Neymar, Cristiano Ronaldo und Lionel Messi, die Megastars dieser Tage, markieren den Aufstieg zu weltumspannenden Marken, die nationale Identitäten schon längst hinter sich gelassen haben. Sie allein, die Hollywood-Stars des 21. Jahrhunderts, sind mittlerweile schon mehr wert als manche Profiklubs, gegen die sie mit
ihren Teams antreten.
Bis vor wenigen Jahren war es keine Frage, dass junge Menschen (um genau zu sein: meistens Jungs) zu Anhängern desjenigen Vereins und derjenigen Spieler wurden, in der sie aufgewachsen sind oder mit denen sie ein nostalgisches, erstes Stadionerlebnis verbindet, ganz oft mit dem eigenen Vater. Aber um diese vererbte Tradition ist es mit Internationalisierung des Fußballgeschäfts in der jüngsten Vergangenheit schlecht bestellt, das Verhalten von jungen Fans hat sich dramatisch verändert. Es ist überhaupt keine Selbstverständlichkeit mehr, dass kleine Jungs in Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart oder Berlin automatisch auch zu Fans des HSV oder St. Pauli, des FC, der Eintracht, des VfB oder von Hertha oder Union werden. Auf ihren Bildschirmen schauen sie sich ganz selbstverständlich die besten Spiele in Europa und die besten Spieler in Europa an, auf dem jährlich aktualisierten Videospiel „FIFA“ spielen sie am Computer selbst mit den besten Spielern, und jeder will einen Neymar, Messi oder Ronaldo für sein Ultimate Team kaufen.
Verschiebung der Prioritäten
Im weltweit vermarkteten Fußball hat in den letzten Jahren eine Fokussierung auf Top-Stars, Top-Events und Top-Citys stattgefunden, die es zuvor so nicht gegeben hat. Auch die großen Sportartikelhersteller Nike und Adidas setzen massiv auf großen Namen, denn mit den Messis, Ronaldos und Neymars lassen sich mittlerweile Kunden auf dem gesamten fußballrunden Globus gewinnen. Die werbliche Kraft, mit der diese Kampagnen umgesetzt werden, ist enorm. Und sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Die Prioritäten haben sich dabei komplett verschoben. Früher setzten die Ausrüster alles daran, ihrem Konkurrenten einen Klub oder eine Nationalmannschaft abzujagen, fast jeder halbwegs bekannte Verein war für sie von Interesse. Heute aber gilt der Grundsatz: „Big is beautiful“. Und die Ronaldos, Messis und Neymars dieser neuen Fußballwelt – und die Stars der nächsten Generation, die ihnen nachfolgen werden – sind die großen Profiteure.
Die Ausrüster Adidas und Nike konzentrieren sich im Fußball-Business mittlerweile stark auf ihre Zielgruppe der 12 bis 17 Jahre alten Jungs. Die verfügen zwar nicht über große Budgets, aber sie prägen das Image der Marke. Und diese Jungs bewundern die Topstars, die rund um die Uhr auf allen Kanälen präsent sind. Es sind ihre Role Models, die Kings of Football, vergleichbar mit den Kings of Pop. Vor einem halben Jahrhundert konnte man entweder Fan der Beatles oder der Rolling Stones sein, aber nicht gleichzeitig von beiden Bands; zumindest nicht, wenn man cool sein wollte.
Und so wollen die jugendlichen Fußballfans von heute als Fan entweder im Team Messi sein – oder im Team Ronaldo. Beides zusammen geht kaum, dafür polarisieren ihre unterschiedlichen Images zu scharf. Messi schaffte es dabei alleine durch seine jahrelang überragenden Leistungen und ohne jeden glamourösen Auftritt jenseits des Fußballplatzes, die gleiche Markenpopularität zu entwickeln wie das Gesamtkunstwerk Ronaldo. Allerdings ist Messis Geschichte und seine Identifikation mit dem FC Barcelona außergewöhnlich, und so leben beide Superstars hervorragend von und mit dieser Rivalität. Die Existenz des einen hat die Bedeutung des anderen sogar noch erhöht.
Ein Blick in die sozialen Netzwerke genügt, um zu begreifen, dass sich der Wert, nach dem Fußballprofis heute ihren Wert bemessen, stark verändert hat. Auf Facebook kommt Cristiano Ronaldo auf über 120 Millionen Freunde, Lionel Messi auf knapp 90 Millionen Freunde, und Neymar auf 60 Millionen. Dass die drei Fußball-Superhelden in dieser Beziehung in einer ganz eigenen Liga spielen, zeigt schon ein Vergleich mit Manuel Neuer, Weltmeister und mehrfacher Welttorhüter des Jahres, der auf nicht einmal 10 Millionen Freunde bei Facebook kommt. Die Popularität in den sozialen Netzwerken hat sich vom Faktor Leistung ein gutes Stück abgekoppelt.
Follower als harte Währung
Das Interesse sowie die geschäftlichen Aktivitäten der Profis, eine Marke zu werden und sich entsprechend zu positionieren, sind unverkennbar. Es geht vor allem um die Präsenz in den sozialen Netzwerken, und das nicht nur bei den Superstars. Wie viele Freunde und Follower auf Facebook, Instagram oder Twitter man hat, ist überall im Profifußball zu einer harten Währung geworden. Erfolge und herausragende Leistungen bleiben zwar auch für Ronaldo, Messi und Neymar die Basis für ihre Anerkennung als globale Fußballmarken, aber die Inszenierung über den Sport hinaus wird immer wichtiger. Mit dem Autogramme schreiben für wartende Fans beim Training, wie es die Pelés, Beckenbauers oder Zidanes taten, hat das alles längst nichts mehr zu tun. Aber mit realen Fußballfans kommen die globalen Fußballmarken Neymar, Messi, Ronaldo & Co. ohnehin kaum mehr in Berührung.
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