Titelthema
Quo vadis, DFB?
Nichts zu sagen zu haben, aber den Ärger ausbaden zu müssen, das war mit Fritz Keller nicht zu machen. Warum er scheitern musste und worauf es nun ankommt.
Der deutsche Fußball ist außer Rand und Band. Oder genauer: seine Topfunktionäre. Also ausgerechnet diejenigen im Deutschen Fußball-Bund (DFB), deren vornehmste Aufgabe es ist, für Verlässlichkeit und Vertrauen zu sorgen – und die laut ihrer Satzung „in sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung handeln“ und sich in „hohem Maße dem Gedanken des Fair Play verbunden“ fühlen sollen. Doch zum Ende der Saison musste nahezu das komplette Führungspersonal des DFB seinen Rückzug antreten, nachdem ein schmutziger Machtkampf den Ruf und das Ansehen des Verbandes über ein halbes Jahr lang schwer beschädigt hatte. Präsident Fritz Keller sah sich gezwungen, seinen Rücktritt zu erklären, nachdem er seinen Vizepräsidenten Rainer Koch auf einer Präsidiumssitzung in einem Atemzug mit dem verbrecherischen Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, genannt hatte. Er musste sich dafür vor dem DFB-Sportgericht verantworten. Ein einmaliger Vorgang. Generalsekretär Friedrich Curtius wiederum stellte wegen der monatelangen Querelen mit Präsident Keller sein Amt als wichtigster hauptamtlicher Angestellter des Verbandes zur Verfügung. Zuvor war ihm ebenso wie dem Präsidenten von den versammelten Regional- und Landespräsidenten das Misstrauen ausgesprochen worden. Schatzmeister Stephan Osnabrügge kündigte an, beim kommenden Bundestag des DFB nicht mehr zu kandidieren. Und Rainer Koch will dann zumindest nicht mehr als erster Vizepräsident, zuständig für Amateure, in Erscheinung treten. Ein solch heftiges personelles Beben hat der einst stolze und mächtige Verband in seiner langen Geschichte noch nicht erlebt.
Trickser und Täuscher
Der hässliche Machtkampf, in den sich die Spitzen des Fußballverbandes heillos verstrickt hatten, hat selbstverständlich eine Menge mit den jeweiligen Führungsfiguren und ihrer charakterlichen Eignung für die entsprechenden Ämter und Aufgaben zu tun. Wohlgemerkt in einer dem Gemeinwohl verpflichteten Organisation. Doch die Konflikte, die mitunter auf sehr persönliche und unanständige Weise ausgetragen wurden, sind nicht nur entstanden, weil Trickser und Täuscher in der Top-Etage des DFB immer wieder zur Hochform aufgelaufen sind. Es lag auch an der Struktur, weshalb sich finanziell bestens ausgestattete Ehrenamtsträger und ein hoch bezahlter Generalsekretär so massiv ineinander verhakten.
Doch der Reihe nach: Die Eskalation beim größten Sportfachverband der Welt hat eine Vorgeschichte, ohne die sich die jüngsten Konflikte kaum erklären lassen. Der Ausgangspunkt für das Scheitern des 13. DFB-Präsidenten Fritz Keller an seiner Aufgabe und an seinen Kollegen reicht zurück bis ins Frühjahr 2019. Damals stand Keller im idyllischen Breisgau noch dem SC Freiburg als langjähriger Präsident vor. Auch als erfolgreicher Winzer und Gastronom hatte er sich einen Namen gemacht. Im DFB hatte zu dieser Zeit mal wieder ein Machtkampf getobt und ein prominentes Opfer gefordert: den damaligen Präsidenten Reinhard Grindel. Der vormalige Bundestagsabgeordnete (CDU) stolperte über eine Uhr, die er von einem ukrainischen Funktionär und Oligarchen erhalten hatte.
Mit dem Ende dieses glücklosen Präsidenten, der sich nur drei Jahre im Amt halten konnte, ging trotzdem auch eine Ära zu Ende: die Ära all jener DFB-Präsidenten, die bis dahin stets über die Richtlinienkompetenz im Verband verfügt hatten.
Weniger Macht für den Präsidenten
Um es mit einem (sport-)politischen Vergleich zu sagen: Bis zum Ende der Amtszeit Grindels im Frühjahr 2019 konnte man sich einen DFB-Präsidenten in seinem Reich ein bisschen vorstellen wie einen amerikanischen Präsidenten. Egal um welches Thema es in dem Sieben-Millionen-Mitglieder-Verband ging: Der DFB-Präsident hatte das letzte Wort. Doch nun wollten die Männer in der Reihe hinter Grindel – auch diejenigen, die ihn zuvor ins Amt gehoben hatten – ihren eigenen Einfluss und ihre Machtbereiche stärken und unwiderruflich gegenüber dem neuen Mann (an eine Frau wagte der DFB bisher nicht zu denken) an der Spitze absichern. Die sogenannte Richtlinienkompetenz des DFB-Präsidenten wurde abgeschafft. Und alle, die das wollten, profitierten davon. Schatzmeister Stephan Osnabrügge, über dessen Schreibtisch nun alle Rechnungen gingen. Rainer Koch als Vertreter der Amateure, der im DFB-Präsidium nun über seinen Bereich auch formal ganz unabhängig entscheiden konnte. Ebenso Peter Peters, der als Vertreter der Profis im Zusammenspiel mit Christian Seifert, dem Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), damit auch die Stimme des Profifußballs stärkte, weil es den DFB-Präsidenten als entscheidende Figur alter Prägung nicht mehr gab. Aber auch Friedrich Curtius als Generalsekretär und starker Mann im Hauptamt, der künftig auch die auszulagernden wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe mit führen sollte, hatte nun mehr zu sagen. Und das galt auch für Oliver Bierhoff, den Direktor Nationalmannschaften und Akademie, der zusammen mit Curtius die wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe leiten sollte.
Nun wurde jemand gesucht, der eine Menge an Voraussetzungen mitbringen musste. Einer, der mit seinem guten Ruf das Image des Verbandes aufpolieren sollte. Einer, der bereit war, auf die Richtlinienkompetenz zu verzichten. Und einer, der nicht darauf bestand, die lukrativen DFB-Vertretungen in der Europäischen Fußball-Union (Uefa) und im Internationalen Fußball-Verband (Fifa) auszufüllen, wie das bis dahin für einen DFB-Präsidenten üblich war. Eine Präsidentenfindungskommission inklusive Personalagentur machte sich an die Arbeit. Und präsentierte nach monatelanger Suche einen einzigen Kandidaten: Fritz Keller.
Der neue DFB-Präsident sollte nun, um im (sport-)politischen Bild zu bleiben, so etwas wie der Bundespräsident des Fußballs sein. Oberster Repräsentant des Verbandes, am besten moralische Instanz. Aber in jedem Fall: ein Präsident ohne jede Zuständigkeit fürs operative Geschäft.
Alles lief, wie sich das die DFB-Reformer, die nicht zuletzt in eigener Sache agierten, gedacht hatten. Keller wurde mit großer Zustimmung und öffentlichem Beifall gewählt. Doch schon bald sollte sich zeigen: Der neue Mann fühlte sich nicht als Bundespräsident des Fußballs, sondern verstand sich als Aufklärer. Und dafür brauchte er Macht, die ihm seine Kollegen nicht geben wollten. Tatsache ist: Der Verband stand auch mit Kellers Amtsantritt immer wieder in der Kritik und er selbst damit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die dunklen Wolken der Vergangenheit, die den Verband seit der Affäre um weiterhin ungeklärte Millionenzahlungen rund um das Sommermärchen 2006 begleiten, wollten sich nicht verziehen. Die Steuerfahndung ging beim DFB ein und aus. Und auch bei aktuellen Konflikten – ob Ultras nun Dietmar Hopp beleidigten oder sich Spieler, Trainer und Fans über Entscheidungen des Videoassistenten ärgerten – blieb der DFB-Präsident erster Adressat. Nichts zu sagen zu haben, aber trotzdem allen Ärger der Vergangenheit und aus dem operativen Geschäft ausbaden zu müssen: Das war wiederum mit Keller nicht zu machen.
Tatsache ist allerdings auch: Die insgesamt schwierige Konstruktion hätte trotzdem weit besser gelebt werden können, als es in der Wirklichkeit mit Kellers Amtsantritt im September 2019 geschah. Dazu hätten der Präsident und sein Generalsekretär jedoch inhaltlich (und menschlich) auf einer Wellenlänge liegen müssen. Auf dieses Duo wird es beim DFB, um den Verband künftig erfolgreich führen zu können, auch in Zukunft entscheidend ankommen. Denn die neue Struktur des DFB verlangt nach etwas, was der deutsche Fußball zwar auf seinen Fußballplätzen sehr oft zeigt, was er in seiner Verbandszentrale zuletzt aber nicht zu bieten hatte: Teamwork.
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