Titelthema
Symbole der Macht
Die ungeheure Anziehungskraft des mythischen Denkens und seiner Symbole stiftet auch in der Politik bis heute Identität und Macht.
Auf den ersten Blick erscheint die Rose als eher unpolitisches Sinnbild der Liebe. Dabei hat bereits die Farbe der Rose symbolische Bedeutung. Wer rote Rosen schenkt, will damit seinen Wunsch nach einem liebevollen Miteinander zum Ausdruck bringen. Allerdings erschöpft sich damit ihr Bedeutungsgehalt nicht. Im Altertum war die rote Rose der Aphrodite dem Eros und dem Dionysos gewidmet und damit Symbol von Liebe, Freude und Jugendfrische. Die Rose spielte aber auch in Ägypten, China, Persien und in vielen anderen Kulturen eine besondere Rolle. Sie hat etwas Geheimnisvolles, ja Magisches an sich. Als „sub rosa“ hat sie die Bedeutung „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“. Für die Freimaurer ist die Rose zentrales Symbol für das Weibliche. Mit drei Rottönen der Johannisrosen wird sie von ihnen als Licht, Liebe und Leben gedeutet. Im Mittelalter wurde die Rose an bedeutenden Bauwerken angebracht, wie etwa der maurischen Alhambra in Granada, die nach dem Sieg der katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón im Jahre 1492 an die Spanier übergeben wurde. In das Gedächtnis der deutschen Nachkriegsgesellschaft hat sich die „Weiße Rose“ eingeschrieben. Ihre jugendlichen Mitglieder kämpften gegen die Diktatur des Nationalsozialismus und bezahlten dafür mit dem Leben.
Geheimnisvolle Rose
Die Rose hat eine weit zurückreichende vorchristliche Geschichte und findet sich daher nicht nur im Christentum, sondern auch in nichtchristlichen Kulturen. Mit der Rose war oft auch die Vorstellung des Schmerzes, von Vergänglichkeit und Tod, aber auch von Wiedergeburt verbunden. Als im 15. Jahrhundert Heinrich VII. den Rosenkrieg zwischen den Häusern Lancaster und York beendete, schuf er die Dynastie der Tudors, deren Symbol die Tudor-Rose ist. In der katholischen Kirche wird die „Rosa mystica“ (geheimnisvolle Rose) als Sinnbild der jungfräulichen Gottesmutter Maria verehrt. Seit dem 16. Jahrhundert dient die weiße Lutherrose, die das Siegel des Reformators schmückte, als Symbol für Martin Luthers Theologie und damit für die Bedeutung der Reformation. Heute findet sich die Rose vor allem in Wappen, aber auch in Vor- und Familiennamen. Bekannt ist zum Beispiel die lippische Rose im Wappen Nordrhein-Westfalens. Aber auch Städte, wie etwa Rosenheim, führen eine Rose in ihrem Wappen.
Wie wirken Symbole?
Was hat es nun mit solchen Symbolen auf sich? Wozu werden sie verwendet und welche Wirkung verspricht man sich von ihnen? Der Philosoph Ernst Cassirer hat bereits 1924 erkannt, dass Symbole als eine „Welt selbstgeschaffener Zeichen und Bilder“ der objektiven Wirklichkeit der Dinge gegenübertreten. Zum Verständnis der Wirkungsweise von Symbolen gehört die Erkenntnis, dass sie codierte Signale sind, deren Sinn man nur versteht, wenn man den Code entschlüsseln kann. Sie dienen der schnellen und möglichst reibungslosen Kommunikation. Weit verbreitet ist zum Beispiel ihre technische Verwendung, wenn etwa durch Piktogramme auf Flughäfen, in Sportstadien oder im Straßenverkehr Objekte, Szenen oder Textelemente über Sprachgrenzen hinweg schnell und unmissverständlich vermittelt werden sollen. Sie können aber auch für politische Zwecke eingesetzt werden. Eine politische Partei, die die Rose als ihr Markenzeichen verwendet, kann sich ihrer Wirkung sicher sein. Denn die Rose gehört – ebenso wie die Nelke – zu den Symbolen, deren Bedeutung nahezu überall auf der Welt ohne Weiteres verstanden wird.
Deutungsmacht und Manipulation
Symbole erleichtern die Anpassung an neue Gegebenheiten. Man kann sie leicht mit den bereits vorhandenen Sinndeutungsmustern abgleichen. Entscheidungen zu treffen fällt dann leichter, weil man meint, den Zusammenhang und die Tragweite zu verstehen. Das öffnet allerdings auch Tür und Tor für Manipulation. Der Kampf um die politische Macht wird daher häufig auf dem Gebiet der Symbole ausgetragen. Symbole werden bewusst eingesetzt, um politische Botschaften zu transportieren. Dabei geht es um die identitätsstiftende Wirkung von Symbolen, aber auch um die Manipulierbarkeit der Menschen. Hier spielt die Deutungsmacht als „symbolische Macht“ eine besondere Rolle. Welche Person beziehungsweise welche politische Gruppierung ist in der Lage, die Bedeutung bestimmter Symbole festzulegen? Damit ist man im Vorteil gegenüber solchen Gegnern,die nicht über diese Deutungsmacht verfügen. Und Vorteil bedeutet in politischer Münze Machtgewinn oder Machterhalt.
Kampf um Wörter
Dazu gehört auch der Kampf um symbolträchtige Wörter. Geht es im konkreten Fall um einen „Schwangerschaftsabbruch“, eine „Abtreibung“ oder um einen „Mord am Ungeborenen“? In der Wortwahl zeigt sich bereits die Einstellung zu dem Sachverhalt. Sprache ist nicht wert- und gewaltfrei, sie steht vielmehr im Dienst der Macht und spiegelt die aktuellen Machtverhältnisse wider. Sie kann Wissen vermitteln oder Fake News verbreiten. Bestimmte Wörter werden tabuisiert, sie zu verwenden ist dann unter Umständen nicht mehr „politisch korrekt“. Der Kampf um Wörter und deren symbolische Bedeutung ist ein wesentlicher Bestandteil politischer Auseinandersetzungen.
Mythisches Denken
Die moderne Wissenschaft ist dem rationalen Denken verpflichtet. Sie geht grundsätzlich davon aus, dass die Realität verstandesmäßig erfassbar ist. Im Gegensatz dazu erhebt das mythische Denken den Anspruch auf ein totales Verständnis des Universums. Anstelle von Begriffen werden „gesprochene Szenen“ verwendet, die der Erfahrung entlehnt sind. Hier kommen die Symbole ins Spiel, mit deren Hilfe der Anschluss der – partiell unerklärlichen und als bedrohlich empfundenen – Gegenwart an eine als „besser“ idealisierte Vergangenheit („Goldenes Zeitalter“) ermöglicht wird. Das erklärt vielleicht die ungeheure Anziehungskraft des mythischen Denkens und seiner Symbole für die verunsicherten Menschen unserer Zeit.
Symbolische Formen
Wegen seiner Nähe zum Unbewussten weckt das Thema „Symbole“ bei fast allen Menschen starke Emotionen. Der Kunsthistoriker Friedrich Möbius hat einmal gesagt, dass jede Gesellschaft ein Repertoire an symbolischen Formen hat, an dem alle Angehörigen dieser Gesellschaft teilhaben. Gesellschaftliche Konflikte spielen sich innerhalb dieses Grundbestandes ab, den die politische Kulturforschung zu ermitteln versucht. Dabei gibt es zum Teil gravierende Unterschiede auch zwischen solchen Ländern, die sich – zum Beispiel in der Europäischen Union – politisch nahestehen. Der Soziologe Pierre Bourdieu nennt diesen Grundbestand „Doxa“ und meint damit alle Überzeugungen, die in einer Gesellschaft als selbstverständlich angesehen und nicht infrage gestellt werden. Es liegt auf der Hand, dass diejenigen, denen es gelingt, die Doxa in ihrem Sinne zu verändern, die Machthaber von morgen sind.