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Rotary Aktuell

Zwischen Demokratie und Diktatur

Rotary Aktuell - Zwischen Demokratie und Diktatur
Weltkongress der Rotarier in Wien 1931 mit Blick in den vollbesetzten Großen Saal des Wiener Konzerthauses. © Albert Hilscher/Österreichische Nationalbibliothek

Rotary in Österreich war von 1925 bis 1938 ein Spiegelbild der österreichischen und deutschen Gesellschaft – mit ihren guten und schlechten Seiten.

Oliver Rathkolb01.02.2021

Knapp sieben Jahre nach der Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich wurde am 19. Oktober 1925 der erste Rotary Club in Wien mit 30 Mitgliedern gegründet. Zentraleuropa war für Rotary International offensichtlich ein Testballon – mit der Gründung von Clubs in Prag, Wien und Budapest: Denn zwei Jahre später wurden die ersten Clubs im Deutschen Reich zugelassen. Rotary wurde damals für Österreich und Deutschland als ein gemeinsamer Distrikt mit wechselnden Leitungsorganen aus beiden Ländern organisiert.

Der erste Club in Wien bestand aus Wirtschaftsführern mit klingenden Namen wie Richard Thonet oder Ernst Prinzhorn, beziehungsweise Oskar Behrl oder Moritz Rothberger, erfolgreichen jüdischen Unternehmern sowie einigen Ärzten, Rechtsanwälten und Universitätsprofessoren. Im Wiener Club gab es auch eine Reihe von Künstlern wie der Schriftsteller Felix Salten, der Komponist Franz Léhar, der Radierer, Lithograf und Kupferstecher Luigi Kasimir oder der Architekt Clemens Holzmeister.

Bemerkenswert ist, dass sich Rotary in Österreich sehr früh im Sinne eines Vereinten Europas engagierte. So trat Konstantin Dumba, einer der „alten“ Diplomaten aus der ehemaligen Habsburger Monarchie und damaliger Präsident der österreichischen Völkerbundliga, mit seinem Abrüstungsappell an die Rotarier hervor. Die zahlreichen Aktivitäten der österreichischen Rotarier wurden auch belohnt, und Governor Otto Böhler brachte 1931 eine große RI Convention nach Wien, an der rund 4000 Rotarier im Wiener Konzerthaus teilnahmen. Er betonte leidenschaftlich die transnationale Zielsetzung von Rotary gerade in Zentraleuropa, um die nationalen Grenzen nach 1918 zu überwinden. Wien glänzte bei den Rotariern mit einem großen kulturellen Angebot zwischen Staatsopernaufführungen und der „Lustigen Witwe“ im Theater an der Wien, die der Rotarier Franz Léhar selbst dirigierte. Inhaltlich fällt auf, dass die Rotarier damals versuchten, entgegen dem Nationalismus der Zeit nach 1918 mit den Nachbarstaaten eng zusammenzuarbeiten. In Österreich gab es zahlreiche grenzüberschreitende Initiativen mit Clubs in der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien.

Im Jahr 1931 verzeichnete der Distrikt Österreich-Deutschland bereits 35 Clubs (zehn in Österreich) mit insgesamt 1282 Mitgliedern. 1937 waren es bereits 55 Clubs mit rund 1700 Mitgliedern, davon elf Clubs in Österreich mit 340 Mitgliedern, wobei mehr als 100 Rotarier im Rotary Club Wien aktiv waren.

Österreich stand ursprünglich politisch nach dem Verfassungsbruch 1933 und der Errichtung einer Kanzler-Diktatur in totaler Opposition zum Nationalsozialismus. Aufgrund zahlreicher blutiger Terrorattentate wurde die NSDAP im Juni 1933 verboten, und nach der Ermordung von Kanzler Engelbert Dollfuß während eines missglückten Putschversuches im Juli 1934 schien der antinationalsozialistische Kurs fix zu sein. Die vorhandenen Arbeiten zu Rotary Österreich von Heinrich Marchetti-Venier, Harald Heppner und Wilhelm Brauneder und andere Club-Geschichten zeigen, dass das Clubleben ab 1933 zunehmend parteipolitisch mitgeprägt wurde.

Selbstauflösung der Clubs

Ab dem Juliabkommen 1936, der politischen Annäherung zwischen Hitler-Deutschland und Österreich, bestärkten die österreichischen Rotary-Spitzenfunktionäre wie Ernst Prinzhorn als Past-Governor und Otto Böhler als Past-Governor sowie Franz Schneiderhan (Governor 1936/37) die deutschen Clubs in ihrer Anpassungspolitik gegenüber dem NS-Regime. Wer heute die internen Protokolle liest, hat das Gefühl, dass die österreichischen Funktionäre noch rigider den rassistischen NS-Kurs verfolgten als die deutschen Funktionäre – und dies bereits ein halbes Jahr vor dem „Anschluss“ 1938.

Selbst der konservative Franz Schneiderhan, ehemaliger Generaldirektor der Bundestheater und damals Präsident der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg, wollte alle Rotarier, die Freimaurer waren, sofort ausschließen und betonte, „diese Härte sei auch schon früher in der Judenfrage notwendig gewesen“.

Letztlich entschieden sich die deutschen Clubs im September 1937 für die Selbstauflösung. Im November 1937 bestätigten hingegen in Linz die österreichischen Clubs die Fortführung des 73. Distrikts (mit dem Anspruch auf Deutschland und Danzig). Überdies sollten alle Freimaurer nunmehr auch in Österreich ausgeschlossen werden, so sie nicht aus ihren Logen austraten. Einzelne Clubs wie der RC Graz diskutierten bereits, um weitere Austritte von Nationalsozialisten zu verhindern, einen „Arierparagraphen“. Ein bekannter Rotarier, der eine starke Nähe zum Nationalsozialismus zeigte, war beispielsweise der Rechtsanwalt Albert Reitterer, damaliger Präsident des RC Salzburg, der kurz vor dem „Anschluss“ zur SS gegangen war und NS-Landesstatthalter in Salzburg wurde.

Kaum Solidarität

In Österreich blieben die elf Clubs wenige Monate bestehen, und prominente NSDAP-Mitglieder wie Hans Fischböck wurden noch aufgenommen (RC Wien). Nach dem „Anschluss“ organisierte er die „Arisierung“ in der „Ostmark“. Ernst Mayr, Mitglied und Kassierer beim RC Innsbruck, war ein vermutlicher Mittäter an einem Mord beim Novemberpogrom 1938. Er fiel 1942 im Krieg.

Der ehemalige Governor Ernst Prinzhorn war nach 1938 an der Enteignung der Papierfabrik M. Pam’s Söhne mitbeteiligt, die jüdischen Eigentümerinnen flüchteten mittellos, der Fabrikdirektor Max Pam wurde im KZ Dachau ermordet.

Otto Böhler, ebenfalls ein ehemaliger Governor, trat der NSDAP als Parteianwärter bei, wurde aber 1944 ausgeschlossen.

Auf der anderen Seite gab es zahlreiche Rotarier, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zu Opfern des Nationalsozialismus wurden, wie Friedrich Reitlinger, Gründungspräsident des RC Innsbruck und Generaldirektor der Jenbacher Berg- und Hüttenwerke – er wurde gemeinsam mit seiner Tochter Johanna de facto zum Selbstmord gezwungen. Andere wurden enteignet, viele flüchteten ins Exil.

International gab es in den Rotary Clubs in Europa kaum Solidarität für die verfolgten jüdischen Mitglieder, und auch Rotary International hat sich nicht engagiert.

Der lange Schatten des Nationalsozialismus reicht durch Neubeitritte nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre. Wolfgang A. Wick (RC Klagenfurt, seit 1951 Rotary-Mitglied) war als Presidential Nominee for Rotary International 1977-1978 bereits bestellt, als in den Niederlanden Unterlagen auftauchten, die ihn als ehemaliges aktives SA-, NSDAP- und Waffen-SS-Mitglied auswiesen. Daraufhin zog er sich sehr schnell zurück, ohne sein aktives NS-Engagement ehrlich zu bekennen.

Umgang mit Diktaturen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Rotarier in Österreich ein Spiegelbild der österreichischen und deutschen Gesellschaft, aber auch der internationalen Öffentlichkeit mit all ihren Schwächen und Stärken in den 1930er Jahren waren. Für die Zukunft kann man zweifellos die nach wie vor höchst aktuelle Frage mitnehmen, wie Rotary Clubs mit Diktaturen im 21. Jahrhundert umgehen, ohne ihre hohen ethischen Ideale zu verbiegen oder zu verraten. Die Arbeit der Forschungsgruppe Rotary-Geschichte ist auch in dieser Hinsicht relevant für Gegenwart und Zukunft.

Oliver Rathkolb

Oliver Rathkolb, RC Wien-Stephansplatz, ist Univ.-Prof. am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Institutsvorstand sowie Mitglied des Senats der Universität Wien. Er ist Autor, Herausgeber und Mitherausgeber zahlreicher zeitgeschichtlicher Publikationen, zuletzt „Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler“, sowie Mitglied der Forschungsgruppe Rotary-Geschichte.

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