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Rotary Entscheider

„Corona wird Marktkonzentrationen bringen“

Rotary Entscheider - „Corona wird Marktkonzentrationen bringen“
Theodor Thanner, strenger Behördenchef in Wien, humorvoller Rotarier in Salzburg. Durch die Distanz von 300 Kilometern kann er Berufliches und Privates leichter trennen. © Hubert Nowak

Fairer Wettbewerb sei in Zeiten einer Wirtschaftskrise besonders gefährdet, meint Theodor Thanner, Generaldirektor für Wettbewerb in Österreich.

01.04.2021

Der Chef der Bundeswettbewerbsbehörde gilt als hartnäckig und unbeugsam. Er scheut keine Konfrontation mit mächtigen Lobbyisten. Sein Credo: Nur Wettbewerb, die Möglichkeit zur Auswahl, hält die Preise am Boden.

Herr Thanner, welche Auswirkungen haben Lockdowns und Geschäftsschließungen auf den Wettbewerb?

Wir sehen, dass der Wert des Wettbewerbs geringer geworden ist. Es wird sehr wahrscheinlich zu Konzentrationen kommen, die Großen werden die Kleinen fressen. Technisch nennen wir das Fusion. Aber Unternehmenszusammenschlüsse lassen die Preise steigen und das geht zu Lasten der Konsumenten.

Ist in der Krise auch die Versuchung für Preisabsprachen und Marktaufteilung größer?

Wir sehen jedenfalls, dass die Kartelle munter weitergehen.

Die sind vom Lockdown nicht eingebremst?

Ganz im Gegenteil. Diesem Trend müssen wir stark entgegenhalten, weil die Kartellierung auch zu Preiserhöhungen führt, und alle diejenigen, die sich an die Regelungen halten, benachteiligt sind. Der Großteil hält sich an die Regelungen, nur ein kleiner Teil nicht.

Wir haben durch Corona die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Darf man da als Kontrollorgan so streng sein wie sonst?

Bei einem Kartellverfahren, das schon seit einiger Zeit läuft, wurde allen Ernstes die Frage gestellt: Wollt ihr weiter untersuchen oder stellt ihr jetzt ein? Selbstverständlich untersuchen wir weiter. Die Regeln sind klar, da kann es keine Ausnahmen geben.

Gibt es Branchen, die besonders anfällig sind für Tricksereien?

2021, entscheider, april

Theodor Thanner: „Respekt muss man sich erarbeiten“ © Hubert Nowak

Ich möchte keine Branche unter Generalverdacht stellen. Je konzentrierter ein Markt ist, umso intensiver gibt es Versuche, zu kartellieren. Es gibt internationale Untersuchungen, die manche Branchen als anfälliger bezeichnen als andere, aber so generell würde ich das nicht sehen. Es ist interessanterweise mehr eine Generationenfrage. Die jungen Manager sind alle schon durch Compliance-Schulungen gegangen, die sagen, wir machen das nicht. Der 60-jährige Verkaufsleiter hat sein Leben lang Preise fixiert, der sagt sich, warum soll ich das jetzt ändern?

Zwei Branchen sind zuletzt aber schon sehr aufgefallen. Im Bausektor haben Sie über mehrere Jahre 1800 Bauvorhaben auf Preisabsprachen und Marktaufteilungen untersucht und ein österreichweites Kartell aufgedeckt. Da sind jetzt diverse Gerichtsverfahren anhängig. Und im Lebensmittelhandel wurde Rewe 2013 wegen Marktmissbrauchs zu fast 21 Millionen Euro Strafe verurteilt und Spar 2015 wegen Preisabsprachen bei Molkereiprodukten  sogar zu 30 Millionen Euro. Funktioniert die abschreckende Wirkung?

Natürlich. Wir haben jetzt im Lebensmittelsektor gemeinsam mit den Unternehmen bereits Nachhaltigkeitselemente verankert, mit Spar und auch mit Rewe. Da ist die Schwelle für Kartellierungen sicher sehr hinaufgegangen, das heißt die Unternehmen wissen, dass das ein Hardcore-Delikt ist, immer zu Lasten des Konsumenten. Es gibt internationale Untersuchungen, die sagen, dass da die Preise 20 bis 30 Prozent höher sind. Und auch im Bausektor gibt es Gespräche mit dem Fachverband der Bauindustrie über wirksame Compliance-Programme.

Ist bei den Preisen der kleine österreichische Markt nicht generell benachteiligt gegenüber einem großen Markt wie Deutschland?

Eine Untersuchung der Arbeiterkammer hat Wien und Berlin verglichen – in Berlin sind idente Produkte um ein Drittel billiger. Das sieht man schon zwischen Salzburg und Freilassing. Natürlich sind bei geringeren Mengen, zum Beispiel im Lebensmittel- oder Drogeriesektor, bei gleichen Transportkosten die Preise höher. Und es ist ein Unterschied, ob ein flacher Ballungsraum oder eine Gebirgsregion zu versorgen ist. Wir sind aber in Österreich schon daran gewöhnt, dass wir mehr zahlen.

Alle Staaten, auch Österreich, stützen jetzt die Wirtschaft mit Milliarden aus Steuermitteln. Kann sich das auf den freien Wettbewerb auswirken?

Die Frage ist, ob es durch die Gewährung von Beihilfen zu Schieflagen kommt, das lässt sich nicht ausschließen. Eine Beihilfe kann natürlich zu einer anderen Stellung im Markt führen, wenn nicht gewährleistet ist, dass alle eine idente Stützung bekommen. Das Problem gibt es europaweit. Wir haben in manchen Branchen jetzt schon starke Konzentrationen. Im Lebensmittelsektor, im Handybereich haben wir drei Player, im Möbelhandel im Grunde nur zwei Player. Je weniger Player, desto höher die Preise. Da werden wir daher sehr genau schauen, dass der Konsument nicht draufzahlt und dass die Innovation nicht unter die Räder kommt.

Apropos Innovation, fördert die Pandemie nicht auch die Kreativität?

Wir sehen schon einzelne Bereiche, wo es neue Geschäftsmodelle gibt.

Neue Geschäftsmodelle im Sinne von Umgehungen oder im klassischen positiven Sinn?

Auch im klassischen positiven Sinn. Neue Geschäftsmodelle sind ja ein Charakterist kum für Wettbewerb. Viele sagen, sie sind für Wettbewerb – aber beim Anderen! Und das kann nicht sein. Letztlich profitieren tagtäglich alle vom Wettbewerb, beim Handy, bei der Pizza, beim Auto. Dafür kämpfen wir, auch in engem Kontakt
mit meinem deutschen Kollegen, dem Kartellamtspräsidenten Andreas Mundt.

Das heißt, die Wettbewerbsbehörde muss gerade in Krisenzeiten auch ganz genau hinschauen?

Natürlich. Die Fusionswelle war im Vorjahr nicht so stark, das wird heuer kommen, und da werden wir wachsam sein. In Coronazeiten wollen wir außerdem den Gesundheitssektor, den wir aus anderen Gründen schon früher genauer angesehen haben, noch intensiver beobachten.

Diese Analyse des Gesundheitsmarkts hat 2019 ergeben, dass „eine effektive und wettbewerbskonforme medizinische Versorgung in bestimmten Regionen in Österreich nicht gegeben ist“. Das war damals bezogen auf den Ärztemangel im ländlichen Raum und auf Apotheken. Wie hat sich Corona da ausgewirkt? 

Es hat sich an unserem Befund bisher nichts geändert. 900.000 Österreicher müssen mehr als neun Kilometer bis zur nächsten Apotheke fahren. Vor allem im ländlichen Bereich. Da geht es um ärztliche Hausapotheken, da gibt es großen Widerstand der Apothekerkammer. Wir schauen uns jetzt gerade die Medikamentenverfügbarkeit genauer an, da gibt es durchaus änderungswürdige Punkte, das werden wir demnächst publizieren. Da ist sicher Platz für mehr Wettbewerb.

Ist da nicht auch der Gesetzgeber gefordert?

Natürlich, da gibt es auch Vorschläge von uns.

Laufen da bei manchen Prüfverfahren hier auch mal die Telefone heiß?

Das kommt durchaus vor, aber da sind wir so weit selbständig und unabhängig, dass das bei uns keine Rolle spielt.

Damit sind wir beim Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Politik. Gehen die politischen Interessen immer konform mit Wettbewerbsregeln? Sie kennen ja die Politik aus Ihren früheren Funktionen auch sehr genau.

Unser großer Vorteil ist, dass die Wettbewerbsregeln europäische Regeln sind. Es ist schwer, die Grundregeln national zu ändern, nämlich dass es Prüfungen von Unternehmenszusammenschlüssen und Kartellbildungen gibt.

Das klingt jetzt sehr weich. Kann die Wettbewerbsbehörde wirklich fern vom politischen Alltag agieren?

Klar gibt es Zielkonflikte. Wir beobachten die Abläufe, aber wir geben uns unser Arbeitsprogramm selbst. Wir sind vom Konstrukt her unabhängig und weisungsfrei, das verteidigen wir auch sehr stark. Aufsichtsorgan ist der Nationalrat, und wir richten uns nicht nach tagespolitischen Befindlichkeiten.

Persönlich macht man sich wohl auch nicht nur Freunde, wenn man ständig Marktmachtmissbräuchen, Kartellen et cetera auf der Spur ist, oder?

Das ist richtig. Aber Everybodys Darling ist Everybodys Depp. Die Regeln gelten für alle gleich. Man muss Konfrontationen aushalten, da gilt es, Flagge zu zeigen, gemäß unserem Auftrag und für das Team. Das geht manchmal auch ins Persönliche, das räume ich durchaus ein, wenn man Vorschläge macht, die einer Lobbygruppe nicht passen. Da kriegt man schon manchmal persönliche Schreiben und sogar Drohungen.

Die rotarische Frage „Wird es der Freundschaft dienen?“ ist wohl nicht immer mit Ja zu beantworten?

Auch derartige Schreiben habe ich schon gelesen.

Das Gespräch führte Hubert Nowak.


Zur Person

Dr. Theodor Thanner, RC Salzburg-Paracelsus, absolvierte ein Jurastudium in Salzburg, hatte mehrere Funktionen im Salzburger Landesdienst und in Bundesministerien – darunter Büroleiter des Salzburger Landeshauptmannes und Kabinettchef im Innenministerium. Seit 2007 ist er Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde.