Euro-Krise
Die Zweifel wachsen
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. September 2012 zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM brachte in drei Punkten Klarheit:
- Über die Zweckmäßigkeit der Rettungspolitik, ihrer einzelnen Instrumente sowie über die ganze Architektur und Zukunft der Europäischen Währungsunion zu entscheiden ist Sache der demokratisch legitimierten Staatsorgane, nicht dagegen Angelegenheit des BVerfG.
- Die deutsche Haftung ist auf den Anteil am ESM-Volumen von 27,5 Prozent, gegenwärtig also auf 190 Mrd. Euro, beschränkt. Eine gesamtschuldnerische Haftung der ESM-Gesellschafter für dessen Verpflichtungen gibt es also nicht. Jede Erhöhung des Haftungsvolumens muss erneut durch den Haushaltsgesetzgeber, also den Deutschen Bundestag, bewilligt werden.
- Sollten die angekündigten Staatsanleihekäufe der EZB dem Ziel einer dauerhaften Staatsfinanzierung dienen, so wäre dies eine nach dem Maastricht-Vertrag unzulässige monetäre Staatsfinanzierung, die EZB würde damit ihr Mandat überschreiten. Näheres hierzu ist vom BVerfG zu erwarten, wenn über den Eilantrag Peter Gauweilers in der Hauptsache entschieden wird.
Obwohl ich ein strikter Gegner der gegenwärtigen Rettungspolitik bin, hat das Gericht aus meiner Sicht recht weise entschieden: Niemand kann der Politik die großen Entscheidungen über die deutsche und die europäische Zukunft – und damit verbunden auch das Risiko schwerer Irrtümer und Fehlentscheidungen – abnehmen. Die Folgen tragen zwar die Bürger. Aber diese haben ja das Wahlrecht und das Recht zur politischen Betätigung. Dass die Bürger gegenwärtig mehrheitlich einen Kurs mittragen, den viele von ihnen als verfehlt und riskant empfinden, steht auf einem anderen Blatt. Wenn die Passivität der Bürger dazu führt, dass unterschiedliche Konzepte auf der Ebene der politischen Parteien gar nicht zum Tragen kommen, so ist auch dies ein implizites Ergebnis politischer Willensbildung.
Ungelöste Fragen
Gegenwärtig besteht die deutsche Politik darin, neue Hilfszusagen gegen neue Versprechungen der Krisenländer einschließlich Frankreichs zu tauschen. Da Deutschland sich aber nicht einmal traut, im Falle Griechenlands auf die Einhaltung von Abmachungen zu pochen und notfalls ein Ausscheiden dieses Landes aus der Währungsunion hinzunehmen, ist völlig klar, dass das Sündenregister Italiens, Spaniens oder Frankreichs niemals ausreichen wird, um sanktioniert zu werden. Deutschland ist ein Gefangener seines Verlangens geworden, an der Währungsunion um jeden Preis festzuhalten.
Die grundlegenden Probleme dieser Politik sind nach wie vor ungelöst: Innerhalb einer Währungsunion können Wettbewerbsunterschiede nicht durch Anpassung von Wechselkursen korrigiert werden. Preise, Löhne und alle Kostenelemente müssen also hinreichend flexibel sein, um bestehende Unterschiede auszugleichen, sonst entstehen unterschiedliche Regionalkonjunkturen, die regional unterschiedliche Leistungsbilanzsalden, Beschäftigungsprobleme oder auch Überhitzungserscheinungen mit sich bringen können. Exakt das ist seit Beginn der Währungsunion in Europa geschehen. Hätten wir noch nationale Währungen, so wäre gegenwärtig der Abwertungsbedarf Frankreichs bei 20–25 Prozent, der von Italien bei ca. 30 Prozent und der von Griechenland bei mindestens 40 Prozent anzusetzen. Fiskalische Transfers oder die Finanzierung von regionalen Staats- und Leistungsbilanzdefiziten durch Notenbankkredit, wie im Augenblick, können allenfalls Symptome mildern, nicht aber die Ursachen unzureichender Wettbewerbsfähigkeit beseitigen.
Staatshaushalte von Ländern mit eigener Notenbank haben grundsätzlich niemals ein Solvenzproblem, solange sie sich in eigener Währung verschulden. Notfalls kann kann ja die eigene Notenbank genügend Geld drucken, um alle Verpflichtungen einzulösen. Das kann zwar zu Inflation und zum Verfall der eigenen Währung führen, die Rückzahlung der Staatsschulden und der Zinsendienst sind aber niemals gefährdet. In der Währungsunion dagegen hat das einzelne Land keinen Zugriff auf die Notenbank. Eine Staatspleite wird also genauso möglich wie bei Ländern, die sich in Devisen verschuldet haben.
Deshalb ist es in einer Währungsunion so wichtig, dass die Solidität der Staatshaushalte der beteiligten Ländern außer Frage steht. Das ursprüngliche Maastricht-Konzept sah vor, dass die Länder selbst durch solide Finanzpolitik für die Akzeptanz ihrer Staatsanleihen sorgen müssen, deshalb das No-Bail-Out-Prinzip. Jetzt dagegen sollen Beistandsmechanismen die staatliche Kreditaufnahme von Marktrisiken abschirmen. Dafür soll eine solide Haushaltspolitik für alle verbindlich und notfalls von der europäischen Ebene zentral durchgesetzt werden. Diesem Ziel dienen die Bestimmungen des Fiskalpakts. Der Verfasser glaubt allerdings nicht, dass es gelingen wird, die Autonomie der nationalen Haushaltswirtschaft entsprechend einzuschränken.
An dieser Stelle kommt die Geldpolitik der EZB ins Spiel. Sie hat schon seit 2010 in wachsendem Umfang die Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer mit Notenbankkrediten über das sogenannte Target2-System vorfinanziert. Daraus hat jetzt die Bundesbank Forderungen gegen die EZB von 750 Mrd. Euro angehäuft. Daneben hat die EZB durch eine Politik des extrem leichten Geldes für die südeuropäischen Banken die Möglichkeit geschaffen, weiter in großem Stil Anleihen ihrer Länder zu kaufen. Zusätzlich will sie demnächst auch wieder Anleihen der Krisenländer in grundsätzlich unbegrenztem Umfang kaufen, um deren Zinskosten zu senken.
Falsche Argumente
Die dadurch bewirkte Geldschwemme verhindert zwar zunächst die Pleite im Süden, dass Geld flutet aber weiter in die Nordstaaten, heizt dort die Wirtschaft an, macht Kredit sehr billig und bringt auf mittlere Sicht die Gefahr höherer Inflation mit sich. Da aber die Zinsen niedrig bleiben müssen, damit Staaten und Unternehmen im Süden nicht pleite gehen, zahlen am Ende die Sparer im Norden mit der teilweisen Entwertung ihrer Geldvermögen für den übermäßigen staatlichen und privaten Verbrauch im Süden.
Die Mehrheit der Experten ist sich sogar darin einig, dass nur durch eine vermehrte Inflation im Norden die Wettbewerbsnachteile der südlichen Krisenstaaten abgebaut werden können, solange man Deflation und rapide steigende Arbeitslosigkeit im Süden vermeiden will. Ob die Rezeptur aber funktioniert, ist ungewiss. Ein Vermögensverzehr für die Sparer des Nordens ist damit allemal verbunden.
Quasi zum Trost wird den Deutschen immer wieder erzählt, welche positiven Wirkungen der Euro für sie gehabt habe und künftig noch haben werde. Die nähere Betrachtung der Fakten entlarvt dies jedoch als Legende. Weder hat der deutsche Außenhandel besonders vom Euro profitiert, noch das Wachstum und die Beschäftigung. Dies zeigt die Analyse der Daten. Auch theoretisch gibt es überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Größe eines Währungsraumes etwas mit seinem wirtschaftlichen Erfolg oder seiner Stabilität zu tun hat. Auch gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Stabilität des Friedens in Europa und einer gemeinsamen Währung.
Selbst das Aufwertungsgespenst, das immer wieder an die Wand gemalt wird, falls der Euro auseinander bräche, ist teils nicht existent und teils nicht bedrohlich. Schon ein paar allgemein zugängliche Zahlen der offiziellen Außenhandels- und Wechselkursstatistik entlarven viele gängige Behauptungen als dummes Gerede: Als das Währungssystem von Bretton Woods mit seinen festen Wechselkursen Ende der sechziger Jahre zuerst knirschte und dann zusammenbrach, hörten sich die Warnungen von Franz-Josef Strauß, Helmut Schmidt oder Karl Klasen genauso an wie jetzt jene der Euro-Befürworter. In nur wenigen Jahren wertete die D-Mark damals gegenüber dem Franc um 30, Dollar und Lira um 40 und dem Pfund um 50 Prozent auf. Gleichwohl brachten die turbulenten siebziger Jahre einen Anstieg des deutschen Exports um 180 Prozent. In den gleichfalls von Wechselkursbewegungen und Währungskrisen gekennzeichneten achtziger und neunziger Jahren stieg der deutsche Export jeweils um gut 80 Prozent. Von 2000 bis 2010, in der neuen Euro-Ära, wuchs der deutsche Export dagegen „nur“ um 60 Prozent, und dieses deutlich verlangsamte Export-Wachstum fand vor allem außerhalb des Euroraums statt. Divergierende Theorien sind legitim, aber man sollte sie doch stets an der Wirklichkeit testen.
Eine Kernbehauptung der Euro-Befürworter, das Fehlen von Wechselkursbewegungen sei gut für den Außenhandel, kann durch den einfachen Blick in Basisstatistiken widerlegt werden. Da muss man nicht einmal die Außenhandelstheorie bemühen. Gegenüber dem Dollar hat der Euro seit 1999 bis Ende 2011 um 30 Prozent aufgewertet, gegenüber dem Pfund um 37 Prozent, beides hat dem Außenhandel nicht geschadet. Die Tschechische Krone wiederum ist seit 1999 gegenüber dem Euro im Wert um 29 Prozent gestiegen, gleichwohl wächst der deutsche Handel mit Tschechien in beiden Richtungen schneller als der Handel mit den Krisenländern des Euroraums.
Das Zusammenbrechen des Euroraums sollte man zwar nicht mutwillig herbeiführen, vor katastrophalen Folgen für den deutschen Außenhandel muss man aber auch keine Angst haben.