Rückkehr der Wirtschaft zu Mass und Mitte
»Finanzindustrie und Regierung entflechten«
Herr Steingart, in Ihrem neuen Buch befassen Sie sich damit, was und wer unseren Wohlstand bedroht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Gabor Steingart: Eine unheilige Allianz zwischen Regierungen und Banken bedroht den Wohlstand unserer Gesellschaft und unsere Wirtschaftsordnung. Denn Regierungen und Banken haben eine Sonderwirtschaftszone begründet, in der Risiko und Verantwortung entkoppelt wurden. Banken retten Staaten und Staaten retten Banken, und wenn beide nicht mehr weiter wissen, rufen sie die Notenbank um Hilfe.
Das hört sich merkwürdig an. Wie soll sich eine solche Verschwörung in einem demokratischen Land etablieren können?
Die Politiker sind kreditsüchtig. Sie kaufen sich an den Finanzmärkten Wohlstand dazu, um uns Wähler zu beeindrucken. Seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich diese Regierungsroutine eingeschlichen. Im Gegenzug wurden die Finanzmärkte nach den Wünschen der Wall Street dereguliert. Ein Aufsichtsverhältnis wurde in ein Abhängigkeitsverhältnis transformiert. Im Ergebnis ist eine Bastardökonomie entstanden – halb Staats-, halb Privatwirtschaft –, die nach anderen Gesetzen funktioniert als die Realwirtschaft.
Profitiert die Allgemeinheit denn nicht, wenn es dem Finanzsektor gut geht, und wenn die Regierungen Wachstumsförderung betreiben?
Bis zum Ausbruch der Finanz- und Bankenkrise konnte man so denken. Durch die Ereignisse, die den Steuerzahler weltweit Billionen gekostet haben, ist dieser Glaube an die rettende Wirkung des Kredits allerdings widerlegt.
Aber das ist doch genau das, was jetzt überall wieder als Rezept empfohlen und vielfach auch praktiziert wird: reichlich billiges Geld und wachsende Staatsverschuldung.
Das zeigt uns, dass die Gesetze der Bastardökonomie immer noch intakt sind. Es ist eine Art umgekehrter Sozialismus, der hier praktiziert wird: Der Staat rettet die Finanzelite, und belastet dafür den Bürger – durch Steuererhöhungen, durch Rettungsfonds für andere Staaten, durch eine Niedrigzinspolitik, die Sparguthaben und Lebensversicherungen entwertet. Jedes Unternehmen, jeder Bäcker, jede Maschinenfabrik, jedes Zahnlabor kann in die Pleite rutschen, aber die Banken bezeichnen sich als „systemrelevant“. Die Spielregeln der Marktwirtschaft gelten nicht mehr für alle. Hier wird das Vertrauen der Bürger in unser Wirtschaftssystem an einer sensiblen Stelle gestört.
Weil in einer historischen Ausnahmesituation besondere Entscheidungen getroffen wurden?
Diese historische Situation wurde durch eine zu enge, man möchte fast sagen symbiotische Beziehung von Staat und Finanzindustrie ausgelöst. Deshalb hilft ein Weiter-So, ein noch engeres Zusammenrücken der beiden, nicht weiter.
Wie müsste ein Neuanfang Ihrer Meinung nach aussehen?
Erstens: Finanzindustrie und Regierungsapparat müssen entflochten werden. Zweitens: Ein Untersuchungsausschuss in Berlin sollte das heutige Geflecht zwischen Banken und Politik detailliert ausleuchten. Drittens: Die Banken müssen wieder zu dem werden, was sie jahrzehntelang waren, zu Dienstleistern der Wirtschaft. Viertens: Wir sollten überlegen, ob man dem Parlament nicht das Budgetrecht wieder entzieht und ein Referendum über den Haushalt abhält. Die deutschen Bürger haben in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen, das sie mit Geld besser umgehen können als ihre parlamentarischen Vertreter.
Die Bevölkerung wählt doch auch jetzt schon immer den, der ihr am meisten verspricht. Warum sollte sich der Souverän in einer direkten Abstimmung anders verhalten als in allgemeinen Wahlen?
Unterschätzen Sie die Menschen nicht. Wenn es so wäre, wie Sie sagen, hätte in Deutschland die Linkspartei die absolute Mehrheit. Es gibt ganz offensichtlich ein breites bürgerliches Bewusstsein dafür, dass man sich anders verhalten muss, wenn man verantwortlich entscheiden will. Die Ersparnisse der deutschen Privathaushalte sind genau so hoch wie die deutsche Staatsverschuldung. Das zeigt, dass die Bürger die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und die Appelle des Ludwig Erhard nicht vergessen haben. Der Bürger weiß, was „Maßhalten“ bedeutet. Der normale Abgeordnete kann das Wort nicht mal buchstabieren.
Das klingt wunderbar. Und wenn das Wirtschaftswachstum dann nachlässt, und das Geld knapp wird, gehen sich die Bürger gegenseitig an den Kragen?
Das ist die entscheidende Frage. Gelingt es uns, eine Verantwortungskultur zu entwickeln, in der das nicht passiert? Wie schränkt man Ansprüche – auch die eigenen – an das Gemeinwesen ein? Wie setzt man Ziele, auch Wachstumsziele, so, dass sie auch ohne Schuldencocktail erreichbar sind? Ich glaube, dass es auch für reifere Volkswirtschaften wie unsere ein altersgerechtes Verhalten gibt.
Klingt gut, aber wie macht man das?
Das wird eine der großen Leistungen einer zivilisierten Gesellschaft sein, die bereit ist, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und nicht auf die jeweils nächste Generation zu übertragen. Das wäre ein großer Akt der Versöhnung. Ich finde die Volksabstimmungen der jüngsten Vergangenheit da ganz ermutigend. In Baden-Württemberg hat man sich schließlich zum Bau des Bahnhofs Stuttgart 21 durchgerungen.
Und wenn die Eliten so verkommen sind, wie Sie das beschreiben – werden sie das zentrale Recht des Parlaments, das Budgetrecht, freiwillig aufgeben, eine neue Verfassung verhandeln und die zur Abstimmung stellen?
Es gibt in der politischen und der ökonomischen Elite durchaus Köpfe, denen man das zutrauen kann. Eliten wandeln sich. In Russland war es ein Michail Gorbatschow, der die Transformation angestoßen hat.
Halten Sie Banker und Politiker für schlecht, weil nur Menschen mit besonderen Charaktereigenschaften heute hier ihren Berufsweg suchen – oder verformt die Branche die Menschen, die in ihr arbeiten?
Zu meiner Jugendzeit landeten die langweiligsten Kinder der Klasse am Ende der Schule bei einer Bank oder Sparkasse. Das war gut so! Die Bankangestellten, wie man sie nannte, bekamen einen Schreck, wenn sie das Wort Risiko nur hörten. Die heutigen Investmentbanker bekommen einen Erregungszustand. Die Wirtschaftsprofessorin Ann-Kristin Achleitner spricht von einer „verformten Generation“. Es ist an der Zeit, das wir zur Normalität, zu Maß und Mitte, zurück finden. Es wäre für unsere Volkswirtschaft und unsere Gesellschaft bekömmlicher. Das Interview führte Ursula Weidenfeld.