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So lukrativ wird es nicht
Die Energiewende ist nötig, wird aber langwieriger und kostenintensiver als viele glauben. Eine Replik auf den Beitrag von Thomas Unnerstall
Dem Resümee des Beitrags im Rotary Magazin vom August 2020 „Keine andere Wahl“, die Klimakrise sei akut und eine Energiewende unabwendbar, ist zuzustimmen. Nicht nachvollziehbar ist allerdings die Aussage, dass „wissenschaftliche Ergebnisse eindeutig zeigen, dass die Wende nicht nur machbar und bezahlbar, sondern dass sie sogar lukrativ sein kann“.
Zu den Fakten
Seit der Verabschiedung des Energieeinspeisungsgesetzes zur Förderung von regenerativen Energieanlagen (EEG) im Jahr 2000 wurden bis 2019 über 294 Milliarden Euro im Wesentlichen für Photovoltaik- und Windkraftanlagen ausgegeben. Um den Investoren die Rentabilität dieser Investitionen zu ermöglichen, gab es hohe Subventionen, die letztlich auch auf den kleinsten Stromkunden umgelegt wurden. Um einen dadurch verursachten weiteren Anstieg des Strompreises zu vermeiden, wurde die EEG-Umlage inzwischen vom Gesetzgeber für 2021 und 2022 gedeckelt und für diese beiden Jahre die erforderlichen weiteren Subventionen von elf Milliarden Euro zu Lasten des Bundeshaushalts übernommen.
Um die Größenordnung der bis 2019 getätigten Investitionsausgaben von 294,3 Milliarden Euro einmal zu verdeutlichen, soll ein Beispiel dienen, das ich aber nicht als Alternative verstanden wissen will: In unserem Club Murnau-Oberammergau haben wir einen sehr engagierten Kollegen, der lange Zeit die Organisation Rotary Doctors geleitet und darüber hinaus, von unserem und anderen Clubs unterstützt, elf Schulen für je 250 Kinder in Nepal gebaut hat. Die Kosten für eine Schule betragen rund 50.000 Euro. Für obigen Betrag könnten sechs Millionen gleichartige Schulen in Entwicklungs- und Schwellenländern errichtet werden.
Was wurde nun mit Hilfe dieser riesigen Investitionen für regenerative Energieanlagen bei uns erreicht? Die CO2-Emissionen verminderten sich in dem Zeitraum von 2000 bis 2018 von jährlich 820 Millionen Tonnen auf 700 Millionen Tonnen. Dies entspricht einer Einsparung von 120 Millionen Tonnen im Jahr 2018. Weltweit erhöhten sich im gleichen Zeitraum die CO2-Emissionen von 24.000 Millionen Tonnen pro Jahr auf 34.000 Millionen Tonnen. Das ist die Größenordnung, die wir vor Augen haben müssen und die zeigt, welch relativ kleinen Beitrag Deutschland überhaupt zur Klimaverbesserung beitragen kann (Quelle aller Daten: BmWi). Ab dem Jahr 2000 verdoppelte sich bis 2018 der Strompreis für private Haushalte. Inzwischen nimmt Deutschland für private Haushalte mit 30 Cent pro Kilowattstunde vor Dänemark den vorletzten Platz im Ranking aller EU-Länder ein. Das gleiche gilt für die Industriestrompreise, bei denen Deutschland vor Zypern ebenfalls den vorletzten Platz aller EU-Länder einnimmt.
Zur Zukunft
Nun zu den vom Autor behaupteten „wissenschaftlichen Erkenntnissen“, dass Deutschland ohne größere Probleme das politische Ziel der weitgehenden Klimaneutralität bis 2050 erreichen kann. Er bezieht sich hierbei als Quelle unter anderem auf den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Wenn er beim BDI einmal nachgefragt hätte, hätte er erfahren, dass der BDI 2018 dazu ein Gutachten beim Institut Prognos in Auftrag gegeben hat. Dieser Gutachter kommt zu folgenden Bedingungen, die von Deutschland erfüllt werden müssten, um das gewünschte Ziel einer Einsparung von 95 Prozent der Treibhausgas-Emissionen bis 2050 zu erreichen:
1. Der Strom in Deutschland wird vollkommen aus erneuerbaren Energien erzeugt. (Inwieweit ohne die Generatoren thermischer Kraftwerke die Netzstabilität überhaupt gewährleistet werden kann, soll hier nicht weiter diskutiert werden.)
2. Weiterhin werden 340 Terrawattstunden (TWh) synthetische Brenn- und Kraftstoffe importiert. (Woher und zu welchen Kosten?)
3. Die Anzahl elektrischer Pkw wird auf 33 Millionen erhöht. Zudem werden 8000 Kilometer Oberleitungen für Elektro-Lkw gebaut. (Welche weiteren Subventionen oder Gebote sind für die Pkw-Käufer und die Autoindustrie dafür noch erforderlich? Der zusätzliche Strombedarf muss ebenfalls regenerativ erzeugt werden.)
4. Bei Gebäuden ist bis 2050 eine durchschnittliche jährliche Sanierungsrate von 1,9 Prozent erforderlich. Die Raumwärme wird mit Wärmepumpen nahezu vollständig elektrifiziert. (Wo können die Wärmepumpen in Ballungsräumen installiert werden? Der Strom dafür muss ebenfalls regenerativ erzeugt werden.)
5. In der Stahl- und Zementerzeugung sowie in der Abfallwirtschaft müssen zwingend „CO2-Capture- und Storage-Technologien“ zum Einsatz kommen. (Das ist für Anlieger gefährlich.)
6. Die Emissionen der Tierhaltung müssen deutlich reduziert werden – etwa mit Hilfe von „Methanpillen“ für Rinder.
7. Die kumulierten Mehrinvestitionen zur Erreichung des Ziels betragen nochmals 1170 Milliarden Euro.
Als Autor dieses Artikels denke ich nicht, dass vorstehende Voraussetzungen leicht zu erfüllen sind. Jeder Leser kann sich dazu aber selbst ein Urteil bilden. So „lukrativ“, wie der rotarische Freund Dr. Thomas Unnerstall die Erfüllung des Ziels der Klimaneutralität in Deutschland in der Augustausgabe des Rotary Magazins für 2050 verspricht, wird es offensichtlich aber nicht gehen.
Zur Person
Roland Farnung, RC Murnau-Oberammergau, war über 26 Jahre Vorstand und Vorstandsvorsitzender, davon 13 Jahre in Aktiengesellschaften des Maschinenbaus und 13 Jahre in der Stromwirtschaft. Zuletzt war er bis 1998 Vorstandsvorsitzender der RWE Energie AG und Mitglied des Vorstands der RWE Holding.