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Entscheider

"Wenn die Werke stehen, stehen auch wir"

Entscheider - "Wenn die Werke stehen, stehen auch wir"
Die derzeitigen Krisen überlagern und verstärken sich, sagt Rolf Schnellecke. Damit sei eine große Unsicherheit in die Welt eingekehrt © Marcel Schoon

Als Aufsichtsratsvorsitzender der Schnellecke Group, die eng mit der Automobilbranche verwoben ist, blickt Rolf Schnellecke mit Sorgen in die Zukunft.

01.09.2022

Aus einem Speditionsgeschäft hat Rolf Schnellecke ein international agierendes Unternehmen mit dem Schwerpunkt Mehrwertlogistik für die Automobilindustrie entwickelt. Derzeit steht das Familienunternehmen vor großen Herausforderungen.

Krieg in der Ukraine, Coronapandemie, steigende Inflation und drohender Gasmangel – Für Sie als Gesellschafter und Aufsichtsratsvorsitzender in der Logistik-, Karosserie- und Immobilienbranche könnten die schlechten Rahmenbedingungen noch schlechter werden. Blicken Sie sorgenvoll in die Zukunft?

Ich bin ein Mann, der eigentlich Zuversicht im Herzen trägt. Aber angesichts der Gesamtlage, in der wir uns in Europa und der Welt befinden, muss man sich Gedanken machen, wie es weitergeht. Sie haben die Krisen angesprochen, in denen wir uns befinden. Die sind ja nicht nacheinander aufgekommen und abgearbeitet, sondern sie überlagern und verstärken sich gegenseitig. Damit ist eine große Unsicherheit in die Welt eingekehrt, die wir bisher für berechenbar hielten. Das gilt nun nicht mehr.

Welcher dieser drei Punkte beunruhigt Sie derzeit am meisten?

Wenn ich von der Weltlage ausgehe, dann ist es natürlich der Ukraine-Krieg. Wenn ich von meinem Unternehmen ausgehe, dann machen mir nach wie vor die mehreren Krisenherde Sorgen. Die Pandemie, die noch anhält und derzeit viele Krankheitsfälle hervorruft, der Chipmangel in der Automobilindustrie, unter der wir ebenfalls darunter leiden, die Unterbrechungen der Prozessketten, Werksstillstände, Ausfallzeiten und Unplanbarkeiten, all das sind Dinge, die uns im Mark treffen. Nun kommt noch die Energiekrise hinzu. Das ist ein weiteres Erschwerniszeichen. Das sehen wir täglich an der Tankstelle. Wir haben natürlich eine größere Flotte an Lkws, die die Versorgung der Werke aufrechterhält. Im Moment macht es keine Freude unternehmerisch tätig zu sein.

Gehen wir mal bei den einzelnen Krisen ins Detail. Sie haben zuerst den Krieg in der Ukraine angesprochen. Viele Logistiker klagen, dass sie aufgrund des Krieges zu wenige Lkw-Fahrer derzeit haben. Ist das auch bei Ihnen ein Problem?

Ja, auch wir sind davon betroffen. Aber das ist nicht unser Hauptproblem. Als großes Logistikunternehmen für die Automobilindustrie waren wir natürlich auch in Russland tätig. Das haben wir eingestellt. Erhebliche Lieferungen aus Deutschland und den USA hatten wir zuvor nach Russland. Dabei handelte es sich um sogenannte CKD-Umfänge, also Automobilteile, die dann vor Ort zusammengebaut werden. Wir sprechen von größeren Containermengen, die verladen wurden. Wir waren auch betroffen durch indirekte Folgen des Krieges. Kabelbäume und bestimmte Teile für die Automobilindustrie wurden nicht mehr geliefert und die Werke standen. Wenn die Werke stehen, dann stehen auch wir. Hinzu kam Personalausfall. Da sprechen wir nicht nur von Fahrern. In Tschechien im Bereich der Modulmontage waren viele Ukrainer eingesetzt, die nun fehlen. Die Probleme häufen sich.

Im Karosseriebau stand bei Ihnen bereits die Produktion still?

Ja in der Folge der Stillstände in den Automobilwerken im In- und Ausland. Wir sprechen da auch nicht nur von einem Automobilhersteller. Da sind alle großen Konzerne betroffen, es zog sich durch die gesamte Branche. Die Versorgungsketten wurden unplanbar und unsicher.

Hinzu kommt die Coronapandemie mit geschlossenen Häfen, Schiffsstau in der Nordsee und Lieferketten, die dadurch unterbrochen sind. Sind Sie auch davon betroffen?

Indirekt. Wenn wichtige Teile für den Automobilbau fehlen und nicht rechtzeitig ankommen, dann stehen die Produktionsbänder. In dem Fall können wir auch den Nachschub nicht so liefern, wie es vorgesehen ist. Das führt zu erheblichen Auswirkungen in der Prozesskette und zu einer ständigen Stresssituation.

Ein jüngster Teil Ihrer Firmengruppe ist die Schnellecke Real Estate. Hier bieten Sie das gesamte Fachwissen als Logistikexperte für Bauprojekte wie Lagerhallen an. Fehlt es inzwischen aufgrund des Krieges an Baumaterialien?

Baumaterial ist nur die eine Seite. Was wir derzeit spüren, große Investoren bis hin zu internationalen Onlinekonzernen halten sich im Moment zurück. Sie warten ab, wie sich Deutschland und Europa entwickeln. Wir spüren eine große Verunsicherung bei Investoren, auch im Bereich von Logistikimmobilien. Ich denke, dass ist eine vorübergehende Situation. Aber man darf nicht unterschätzen, dieser Investorenbereich wie auch insgesamt die Wirtschaft, sind von erheblicher Verunsicherung derzeit gekennzeichnet. Das zeigt, wir leben in schwierigen Zeiten, in denen wir nicht sicher sein können, was morgen sein wird.

Haben Sie sich schon mit dem Gedanken beschäftigt, dass womöglich aufgrund des Gasmangels bei ihrem Karosseriebau-Unternehmen bald die Produktion stillstehen könnte?

Ja, natürlich befassen wir uns mit diesem Szenario. Wir wären leichtsinnig, wenn wir es nicht tun würden. Aber auch hier müssen wir schauen, was wir selbst in unseren Fabriken und im Bereich der Logistik steuern können. Das ist für uns händelbar. Wir sind nicht so abhängig von Gas wie zum Beispiel die Glasindustrie. Mehr Sorgen bereiten uns wieder die möglichen indirekten Folgen. Wenn keine Scheiben mehr hergestellt werden können, können auch keine Autos mehr gebaut werden. Dann stehen auch bei uns die Produktionen still. Das sind die drohenden fatalen Auswirkungen.

Bei all den genannten Herausforderungen sind bei uns in der Bundesregierung Krisenmanager gefragt. Sie selbst waren jahrelang in der Politik aktiv und zehn Jahre Oberbürgermeister in Wolfsburg. Trauen Sie der Ampelkoalition zu, diese Krisen zu bewältigen?

Man muss einräumen, dass das ein schwerer Ballast ist, der auf der Bundesregierung liegt. So schwierig hat es wohl kaum eine Regierung gehabt. Ich sag es Ihnen ganz ehrlich, auch wenn jeder weiß, dass ich der CDU angehöre, ich bin fast froh, dass wir eine Ampelkoalition haben. Ich stelle mir vor, dass die Entscheidung für Waffenlieferungen an die Ukraine eine konservative Regierung hätte treffen müssen. Die halbe Republik hätte auf den Zinnen gestanden und fast den Bürgerkrieg ausgerufen. Es ist im Moment gut, dass Entscheidungen wie das Weiterlaufen von Kohle- und Atomkraftwerken die Grünen mit sich ausmachen müssen und keine Revolution ausrufen können.

Aber wünschen Sie sich in diesen Punkten keine schnelleren Entscheidungen? 

Ja, sicherlich. Aber es braucht eben in der gesamten Regierung für Entscheidungen Rückhalt und es bedarf der Zustimmung dreier Parteien. Ich betone noch einmal: Dass nun drei Parteien in die Regierungsverantwortung eingebunden sind, tut uns eher gut.

Schieben wir mal die aktuellen Probleme beiseite und blicken auf die Automobilwelt. Die Transformation hin zum Elektroauto schreitet rasant heran. Welche Auswirkungen hat dies für Sie als Automobillogistiker?

Gottlob sind wir nicht im Produktionsbereich mit Teilen unterwegs, die Motor, Getriebe oder künftig wegfallende Komponente betreffen. Wir sind im Karosseriebau und in der Logistik tätig. Beides wird auch künftig bei E-Autos notwendig sein.

Sie schauen dem Transformationsprozess ganz entspannt zu.

Ganz entspannt würde ich nun nicht sagen, weil wir uns auch auf gravierende Veränderungen einstellen müssen. Natürlich sind wir dabei soweit wie möglich zu digitalisieren und zu automatisieren. Der Fachkräftemangel ist bei uns ebenfalls spürbar. Ausruhen können wir uns nicht. Im Gegenteil, wir sind in dieser Situation besonders gefordert.

Herbert Diess ist nun nicht mehr VW-Konzernchef. Kam diese Personalentscheidung vor wenigen Wochen für Sie überraschend?

Ja. Damit hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet. Herbert Diess hat sich in dem Transformationsprozess von Volkswagen große Verdienste erworben, die nachwirken. Ich vertraue Oliver Blume als seinen Nachfolger und wünsche ihm für seine große Aufgabe Erfolg und eine glückliche Hand

Schnellecke ist bis heute ein Familienunternehmen und dies bei einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro und einer Mitarbeiterzahl von17.000. Passen da noch die Strukturen eines kleinen Familienkonzerns?

Das bejahe ich. Wir sind ein 100-prozentiges Familienunternehmen und ich bin dankbar, dass die Familie auch in der Führung des Unternehmens verankert ist. Mein Schwiegersohn als CEO, mein Neffe als CAO und mein Sohn als Geschäftsführer real Estate stehen in der Leitung des Unternehmens. Das ist beruhigend. Aber natürlich hängt es wie überall von einer guten Führungsmannschaft insgesamt ab. Die können wir für uns behaupten, da bin ich zufrieden.

Ihr Unternehmen wurde mit dem SAP Innovation Award 2022 ausgezeichnet. Verraten Sie uns, was preiswürdig ist?

Wir erhielten diesen Award für unsere Digitalisierungsstrategie rund um den Digital Control Tower (DCT), mit dem wir die operativen Prozessdaten aus verschiedenen Systemen in Echtzeit abbilden und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz steuern und optimieren. Wir fühlen uns Innovationen verpflichtet und müssen intensiv mit der Zeit gehen. Unser Ehrgeiz muss es sein, vorne zu sein und voranzugehen. Wir haben einen eigenen IT-Bereich, der außerordentlich effektiv ist und alle Prozesse begleitet. Ich gratuliere all meinen Mitarbeitern zu dieser Auszeichnung. Es ist nicht der einzige Preis, den wir erhalten haben. Wir wurden unter anderem für gute Mitarbeiterführung geehrt und in die Logostics Hall of Fame aufgenommen. Ich will damit sagen, unser Anspruch als Familienunternehmen ist es, nicht nur verantwortlich für unsere Mitarbeiter und deren Zukunft zu sein, sondern auch mit innovativen Prozessen als Unternehmen vorne zu sein.

Also passt in Bezug auf Ihre Branche die Liedzeile von Herbert Grönemeyer: Stillstand ist der Tod?

Ja, das würde ich unterschreiben.

Sie sind nicht nur unternehmerisch tätig, sondern seit Langem auch Aufsichtsratsmitglied der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH. Sie hatten vergangene Saison nicht ganz so viel Freude gehabt, ins Stadion zu gehen.

Gelinde gesagt.

Glauben Sie, dass es mit Neu-Trainer Niko Kovac nun wieder besser wird?

Ja, das hoffe ich nicht nur, ich bin davon überzeugt. Wir haben einen wirklich erfahrenen guten Mann als Cheftrainer. Ich traue ihm viel zu. Die Mannschaft hat eh ihre Qualitäten. Wenn jetzt beides zusammenkommt, kann das was richtig Gutes werden.

 Wie lautet die Zielsetzung?

Da kann ich mich nicht als Einzelperson zu äußern, das muss der Aufsichtsrat als Ganzes tun.

Aber Sie haben doch eine Erwartung.

Aus meiner Sicht ist das Ziel ein einstelliger Tabellenplatz. Ich würde mich freuen, wenn wir vorne im Bereich der internationalen Plätze landen.

Muss dies nicht auch angesichts des Kaders das Ziel sein?

Meinen Sie die Championsleague?

Internationaler Wettbewerb. Platz 1 bis 6.

Ich habe ja gesagt, ich würde mich freuen, wenn wir uns für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren. Natürlich denke ich an die erfolgreiche Saison mit Trainer Oliver Glasner zurück, als wir Platz vier erreicht haben und dann Championsleague spielten. Dort sind wir aber gleich rausgeflogen. Das schmerzt noch immer. Wir haben jetzt die Chance uns nach vorne zu bewegen. Schauen wir mal auf die Frauen, die haben uns bei der Europameisterschaft doch große Freude bereitet.

Das stimmt.

Das war ein hochintelligentes Spiel, angriffsfreudig, aber auch von guter Taktik geprägt. Und vergessen Sie nicht, im Kader waren viele Spielerinnen des VfL Wolfsburg.

Ganz elegant haben Sie zum erfolgreicheren Teil der VfL-Fußballfamilie übergeleitet. Da können sich die Herren ein Beispiel nehmen, oder?

Ich war ja mal Präsident des VfL Wolfsburg und wir haben damals  die Weichen gestellt, dass wir zunächst in der Zweiten und dann in der Ersten Bundesliga mitspielen. Ich habe viele Höhen und Tiefen erlebt. Ich habe mich zutiefst geärgert, mitgelitten und mich als Oberbürgermeister königlich über die Deutsche Meisterschaft gefreut. Das gehört über die Zeit zum Wohl und Wehe einer Mannschaft. Ich darf feststellen, wir haben es immerhin geschafft, seit 1997 in der Ersten Bundesliga immer dabei zu sein.

Das kann nicht jeder große Verein von sich behaupten.

Ja, schauen Sie doch mal, wo Hamburg und Hannover heute stehen. Hätten wir auch nicht gedacht, dass mal der VfL Wolfsburg der einzige Nordverein in der Bundesliga sein würde. Ich freue mich, dass jetzt Bremen wieder dabei ist.

Das ist bei den beiden Vereinen aber auch das Ergebnis von Fehlentscheidungen und Missmanagement. Da können Sie für sich in Anspruch nehmen, im Management und im Aufsichtsrat besser gearbeitet zu haben.

Naja … wir haben uns, wenn es sein musste, auch in letzter Minute noch gerettet. Ein paar Mal sind wir eng am Abstieg vorbeigeschrammt.

Sie sind Mitglied im Rotary Club Wolfsburg. Was schätzen Sie an der rotarischen Gemeinschaft? 

Ich gehöre jetzt seit dreieinhalb Jahrzehnten zur rotarischen Gemeinschaft. Ich bin froh und dankbar einer solchen Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden anzugehören, die vereint in gemeinsamen Werten, ohne Übersteigertkeit die aktuelle Welt mitgestaltet. Es ist überaus wertvoll und macht Freude, in diesem Kreis zu diskutieren und sich persönlich und beruflich auszutauschen.

Ihre Familie hat im Jahr 2000 die Margarete-Schnellecke-Stiftung ins Leben gerufen, die in Not geratenen älteren Menschen im Raum Wolfsburg hilft. Sich für andere Menschen einzusetzen, liegt Ihnen anscheinend sehr am Herzen.

Ja, das gehört zu den Wertvorstellungen meiner Familie. Mein Vater starb als ich fünf Jahre alt war. Meine Mutter, die 100 Jahre alt wurde, war über 50 Jahre lang Witwe. Sie hat mühevoll unser kleines Speditionsgeschäft durchgebracht, bevor ich dann tätig werden konnte. Der liebe Gott hat ihr ein hohes Alter und lange Gesundheit trotz sorgenvoller Jahre geschenkt. Es entsprach ihrer und meiner Überzeugung, dass wir davon etwas zurückgeben wollen, insbesondere für ältere Menschen, die dieses Privileg nicht haben. Dafür ist die Margarete-Schnellecke-Stiftung gegründet wurden. Sie wurde zunächst von meiner Mutter und meiner Schwester geleitet, und wird es nun von meiner Tochter als Vorstandsvorsitzende. Da ist über die Jahre hinweg mit einigen Millionen Euro Gutes geleistet worden.

Das Gespräch führte Florian Quanz.