Forum
Wohin steuert die Automobilindustrie?
Der Weltautomobilmarkt bleibt ein Wachstumsmarkt, trotz der Konjunkturdelle. Doch es braucht neue Ideen, neue Technologien und die Unterstützung der Politik. Die große Herausforderung: Mobilität umweltverträglich zu machen.
Konjunkturabkühlung oder Krise? Meldungen über Gewinnwarnungen, Beschäftigungsabbau und Insolvenzen in Deutschlands Vorzeigeindustrie machen die Runde und sorgen für Verunsicherung. Ist die Lage nicht so schlimm wie die Stimmung oder ist die Lage sogar noch schlimmer? Halten wir uns an die Tatsachen.
Erstens: Der Weltautomobilmarkt ist in den letzten zehn Jahren dramatisch um fast 50 Prozent auf rund 84 Millionen Pkw und Geländewagen gewachsen. Jedem, der die Branche kennt, war bewusst, dass das nicht so weitergehen kann, sondern eine konjunkturell bedingte Abschwächung kommen würde. Die hat im Jahr 2018 begonnen und dauert gegenwärtig – mit Unterschieden von Markt zu Markt – noch an.
Zweitens: Besonders schmerzlich ist, dass sich das Wachstumstempo auf dem mittlerweile größten Automobilmarkt der Welt, China, deutlich verlangsamt hat. Aber: Der chinesische Markt ist ein stark politisch bestimmter Markt. Sollte die chinesische Regierung wie in der Vergangenheit mit Steuervergünstigungen in den Markt eingreifen, könnte sich das Bild schon sehr schnell wieder aufhellen.
Drittens: Langfristig gesehen bleibt der Weltautomobilmarkt ein Wachstumsmarkt. Während Europa und Nordamerika weitgehend gesättigte Märkte sind, stehen viele andere Märkte vor allem in Asien und auch in Lateinamerika noch immer am Anfang ihres Motorisierungsprozesses. Bis 2030 dürfte der weltweite Automobilabsatz auf deutlich über 100 Millionen Fahrzeuge jährlich wachsen.
Nur eine vorübergehende Delle?
Soweit spricht also alles dafür, dass es sich bei den aktuellen Schwächetendenzen um eine vorübergehende Delle handelt – wären da nicht noch ein paar andere Fakten.
Da ist zum einen die Diskussion um den Klimawandel und um bessere Luft in den Großstädten, die der Branche mächtig zusetzt. Ein technologischer Wandel vom Verbrennungsmotor zu alternativen Antriebskonzepten ist unausweichlich. Das verändert die Wertschöpfungsstruktur in der Automobilbranche und wird hohe Vorleistungen in Forschung und Entwicklung erfordern.
Zum anderen schwelt der Handelsstreit zwischen China und den USA, aber auch der Brexit und die Drohungen der TrumpAdministration gegen die europäische Automobilindustrie erzeugen Verunsicherung. Vor allem die deutsche Automobilindustrie mit einem Exportanteil von 70 Prozent und einem weltweit organisierten Produktionsnetzwerk wäre bei einer weiteren Ausbreitung protektionistischer Tendenzen hart betroffen.
Und dann sind da noch die Altlasten aus dem Dieselskandal, die die deutschen Automobilhersteller – abgesehen vom Imageschaden – viel Geld kosten. Das würde an anderer Stelle dringend benötigt. Also doch keine bloße Konjunkturabkühlung, sondern eine ausgemachte Autokrise? Die Wahrheit liegt wie meistens in der Mitte, was in diesem Fall die Sache jedoch nicht einfacher macht, denn die konjunkturelle Abkühlung und die gleichzeitigen strukturellen Herausforderungen potenzieren die Risiken und verstärken den Handlungsdruck. Die Situation für die deutsche Automobilindustrie ist jedenfalls durchaus als ernst zu bezeichnen: Nachdem die Automobilproduktion in Deutschland bereits im Jahr 2018 um zehn Prozent gesunken ist, wird sie in diesem Jahr voraussichtlich um weitere fünf Prozent zurückgehen. Das schlägt nicht nur auf die Ertragslage von Automobilherstellern und Automobilzulieferern durch, sondern mittlerweile auch auf die Beschäftigung.
Globale und lokale Themen
Die zweifellos wichtigste Herausforderung für die Automobilindustrie mit dem größten Bedrohungspotenzial ist, wie man die steigenden Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge am besten meistern kann. Dabei geht es gleichermaßen um globale wie auch lokale Themen: Global steht die Reduktion der klimarelevanten CO2-Emissionen im Vordergrund, lokal die Reduktion der Stickoxid- und Partikelemissionen.
Vor diesem Hintergrund spricht einiges für den elektrischen Antrieb, etwa sein hoher energetischer Wirkungsgrad oder die lokale Emissionsfreiheit. Dem stehen aber die begrenzte Reichweite und das hohe Gewicht der Batterien gegenüber. Ergibt es wirklich Sinn, in die ohnehin schweren SUVs auch noch Batterien einzubauen, die mehr als 600 Kilogramm wiegen, sodass das Gesamtgewicht solcher Fahrzeuge 2,5 Tonnen beträgt? Weiterhin ist das Problem der Energieinfrastruktur bei Weitem noch nicht gelöst: Was passiert, wenn in einer Wohngegend oder gar in einem Mehrfamilienhaus plötzlich massenhaft Elektrofahrzeuge geladen werden? In vielen Fällen würden die lokalen Netze zusammenbrechen. Auch die Beschaffung der erforderlichen Rohstoffe und – last but not least – das Recycling der Batterien ist nach wie vor nicht befriedigend gelöst. Und wenn immer wieder China als Beispiel für eine konsequente Elektrifizierungsstrategie genannt wird, sollte man nicht unterschlagen, dass China bis zum Jahr 2030 den Bau von 70 neuen Atomkraftwerken plant – auch um den wachsenden Strombedarf für die Elektroautoflotten zu decken.
Steigender Strombedarf
Die Brennstoffzelle wäre eine Alternative. Sie ist serienreif, hat zwar nicht den hohen energetischen Wirkungsgrad eines Elektroautos, ermöglicht aber trotzdem größere Reichweiten. Die Technik ist da, was fehlt, ist der Wasserstoff. Er muss aufwendig produziert werden und wird nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn dies großindustriell geschieht. Der Aufbau eines Netzes von Wasserstofftankstellen ist dann eher das kleinere Problem.
Was schließlich die synthetischen, CO2-neutralen Kraftstoffe anbelangt, so ist deren Potenzial ebenfalls noch nicht ausgeschöpft. Sie wären insofern die beste Lösung, weil man die bisherigen Motoren und auch die bestehende Tankstelleninfrastruktur nutzen könnte. Auch hier geht es aber um die hohen Produktionskosten. Sie würden nur sinken, wenn große Mengen produziert werden. Und da stellt sich wieder das alte Henne-Ei-Problem: Wenn es wenig Nachfrage nach Wasserstoff gibt, wird niemand in die Wasserstoffproduktion investieren, und wenn niemand in die Wasserstoffproduktion investiert, wird er teuer bleiben und es wird keine große Nachfrage geben.
Auch wenn der Ruf nach dem Staat in solchen Fällen immer umstritten ist: Ohne staatliche Vorleistungen in die Infrastruktur werden weder die Brennstoffzelle noch synthetische Kraftstoffe wirklich vorankommen. Allein bei Lkw auf Streckenverkehren ließe sich mit überschaubarem Aufwand eine Infrastruktur aufbauen und – steuerlich begünstigt – auch eine größere Verbreitung erreichen.
Da es bislang noch nicht die Rund-umLösung für das umweltverträgliche Fahrzeug der Zukunft gibt, sollte man jetzt auch nicht den Verbrennungsmotor fahrlässig in Bausch und Bogen verdammen. Bis sich alternative Antriebe durchsetzen werden, braucht man eine stabile Brückentechnologie – und das ist der optimierte, nämlich elektrifizierte Verbrennungsmotor. Neben der Antriebstechnik ist es vor allem die weitere Digitalisierung des Fahrzeugs bis hin zum autonomen Fahren, die die Automobilindustrie beschäftigt. Dort sehen sich Hersteller wie Zulieferer vor allem der Konkurrenz durch die großen Hightech-Unternehmen aus dem Silicon Valley ausgesetzt. Auch hier geht es um Arbeitsplätze, denn wenn es einen Treiber für mehr Beschäftigung in der Autobranche in den nächsten Jahren gibt, dann ist es die Digitalisierung.
Premium-Champion Deutschland
Das vollständig autonome Fahren ist sicher noch eine Vision. Aber es wird in einer schon überschaubaren Zukunft Anwendungsfelder geben, wo sich Autos selbst steuern werden. Einparken ist heute schon vollautomatisch möglich. In Parkhäusern testet man das automatische Fahren der Fahrzeuge an ihren Stellplatz. Vielleicht wird es in einigen Jahren auf wichtigen Transitstrecken separate Fahrspuren für autonome Fahrzeuge geben.
Wo steht die deutsche Automobilindustrie im Wettbewerb um das Auto der Zukunft? Zunächst darf man mit einer gewissen Beruhigung feststellen, dass die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer nach wie vor weltweit die Premium-Champions sind, das heißt im Markt für hochwertige Fahrzeuge, Aggregate und Komponenten eine herausragende Marktposition haben. Das gibt ihnen die Chance, auch in neuen Technologiefeldern eine führende Position einzunehmen. Dazu müssen sie aber vor allem ihr Angebot an Fahrzeugen mit unterschiedlichen Antriebstechnologien schnell erweitern. Gerade das Beispiel der Elektromobilität zeigt, dass andernfalls kleine, innovative Firmen in diesem Bereich eine starke Marktposition aufbauen können.
In der Digitalisierung steht die deutsche Automobilindustrie ihren internationalen Wettbewerbern in nichts nach, ist in einigen Bereichen sogar führend. Beim autonomen Fahren setzen sie vernünftigerweise auf die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Hightech-Konzernen und machen so aus vermeintlichen Konkurrenten Partner. Auch wenn es gegenwärtig nicht so aussieht: Die deutschen Hersteller und Zulieferer haben die Kraft und das Innovationspotenzial, ihre Marktposition global zu verteidigen und vielleicht sogar auszubauen.
Nicht ganz so gut wie für die Unternehmen sind die Aussichten für den Automobilstandort Deutschland: Vor allem die Automobilproduktion wird weiter in andere Regionen abwandern. China wird als Produktionsstandort an Bedeutung gewinnen, und gegenwärtig erleben wir eine zweite Welle des Aufbaus von Produktionskapazitäten deutscher Hersteller in Osteuropa. Der Höhepunkt automobiler Beschäftigung in Deutschland ist überschritten. Umso wichtiger ist es, dass die automobilnahe Forschung und die fahrzeugtechnische Entwicklung in Deutschland gehalten werden können.
Risikofaktor Politik
Überblickt man die aktuelle Situation in der Automobilindustrie, so muss man sagen, dass die größten Risiken nicht aus dem Markt, sondern aus der Politik kommen. Das gilt nicht nur auf globaler Ebene, wo vor allem der sich ausbreitende Protektionismus noch für ernste Probleme sorgen könnte. In Deutschland und Europa lässt man gegenwärtig nichts aus, um den Druck auf die Automobilhersteller zu erhöhen. Das mag angesichts der unbestreitbaren Verfehlungen, die sich einige Akteure geleistet haben, nachvollziehbar sein. Andererseits haben wir in Europa die schärfsten Grenzwerte im Hinblick auf die künftigen CO2-Emissionen von Pkw, und in Deutschland reißt die Diskussion um weitere Fahrverbote in Großstädten nicht ab.
Wäre es angesichts der aktuellen internationalen Unsicherheiten nicht an der Zeit, den politischen Dauerbeschuss auf die Automobilindustrie zu beenden? Leider muss man feststellen, dass sich die politischen Rahmenbedingungen – von der Umwelt- über die Energie- bis hin zur Steuerpolitik – vor allem auch für die vielen kleinen und mittelständischen Automobilzulieferer in Deutschland in den letzten Jahren nicht verbessert, sondern eher verschlechtert haben. Einen Exodus deutscher Automobilunternehmen, der angesichts der globalen Marktentwicklung nicht ausgeschlossen ist, kann sich ein wirtschaftlich so anfälliges Land wie Deutschland nicht leisten. „Autogipfel“ zwischen Politik und Industrie sind wichtig und richtig. Sie sollten am Ende aber auch zu konkreten Ergebnissen führen. Die Bewältigung der gleichzeitig konjunkturellen wie auch strukturellen Probleme gleicht einem Drahtseilakt mit unsicherem Ausgang.
IAA: miteinander oder gegeneinander?
Wenn sich vom 12. bis zum 22. September auf dem Frankfurter Messegelände die internationale Automobilbranche zur IAA trifft, wird manches anders sein als in den Vorjahren. Denn zum einen haben in unsicheren Zeiten der Autoindustrie zahlreiche Marken ihre Teilnahme an der einstigen Nabelschau der Welt abgesagt, darunter Dacia, Mazda, Peugeot, Lexus, RollsRoyce, Cadillac, Aston Martin, Mitsubishi, Nissan und Toyota. „Ganz sicher auch aus Kostengründen“, sagt Branchenexperte Willi Diez. Er sei gespannt auf die Besucherzahlen, denn die automobilaffinen Besucher kämen vor allem, um Luxusmarken und hochmotorisierte Fahrzeuge zu erleben, so Diez.
Zum anderen haben zahlreiche staatlich geförderte sowie politisch motivierte Lobbygruppen massive Proteste gegen die PS-Branche rund ums Messegelände angekündigt. Je ein Vertreter von Fridays for Future und Greenpeace werden aller Voraussicht nach an einer vom Verband der Automobilindustrie (VDA) organisierten Podiumsdiskussion zur Mobilität von morgen teilnehmen. Willi Diez begrüßt die Einladung des VDA: „Messen sind seit jeher ein Treffpunkt zum Austausch, da ist es gut, wenn sich unterschiedliche Ideen gegenseitig befruchten. Es muss sich aber in Bahnen des demokratischen Diskurses abspielen.“ Der VDA zeige mit seiner Einladung zur gemeinsamen Diskussion, dass er verstanden habe, dass die Zeiten der gegenseitigen Bauchpinselei hochrangiger Autofunktionäre passé sind. Die Aktivisten von Fridays for Future seien die potenziellen Kunden von morgen. Der Verband müsse ihnen erklären, dass man die Notwendigkeit zum Umdenken verstanden habe, aber jetzt erst einmal Brückentechnologien brauche, so Diez.
Weitere Artikel des Autors
9/2021
Upgrades aus der Luft
9/2020
Auf der Standspur
11/2015
Das Auto wird künftig Büro und Lounge sein
Mehr zum Autor