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Zeit für Prioritäten: Zur aktuellen Steuerschätzung

Die jüngste Steuerschätzung aus dem Mai 2019 zeigt Mindereinnahmen von 121 Milliarden Euro auf. In den Medien wird daher schon über höhere Schulden spekuliert. Doch was bedeutet dies wirklich?

Lars P. Feld01.06.2019

Für das laufende Jahr und die vier darauffolgenden Jahre schätzt der Arbeitskreis Steuerschätzung auf Basis der aktuellen Projektion der Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Bundesregierung halbjährlich das voraussichtliche kassenmäßige Steueraufkommen ab. Der Arbeitskreis Steuerschätzung ist ein Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (BMF), dem neben dem BMF das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das Statistische Bundesamt, die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Länderfinanzministerien und die Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände angehören.

Kein Grund für Alarmismus
Hinter dieser Sachlichkeit versteckt sich folgendes: Erstens ist diese Schätzung zwar unabhängig, aber die Bundesregierung gibt dafür das zu erwartende Wirtschaftswachstum vor. Derzeit liegt diese Schätzung am unteren Rand der Prognosen. Bei einem höheren Wachstum fallen die Steuereinnahmen höher aus. Die Bundesregierung ist also eher vorsichtig.

Zweitens ist diese Schätzung eine Projektion. Geschätzte Mindereinnahmen bedeuten daher, dass die bei der Steuerschätzung des Vorjahres genannten Steuereinnahmen höher geschätzt wurden. Bund, Länder und Gemeinden müssen mit weniger Einnahmen als zuvor rechnen, aber weder sind Ausgabenkürzungen, noch Steuererhöhungen, noch Änderungen in der Verschuldungspolitik derzeit notwendig.

Drittens werden die Differenzen zur vorherigen Steuerschätzung in der öffentlichen Debatte über fünf Jahre auf 121 Milliarden Euro Mindereinnahmen kumuliert. Im Jahr 2019 rechnet der Arbeitskreis mit rund zehn Milliarden Euro weniger. Der Minderbetrag steigt in der Projektion im Zeitablauf an und wird gemäß dieser Schätzung für das Jahr 2023 rund 32 Milliarden Euro betragen. Diese Entwicklung ist kein Grund für Alarmismus. Viertens bedeuten die geschätzten Mindereinnahmen geringere Zuwächse der Steuereinnahmen, gleichwohl steigen diese durchaus weiter an. Das Steueraufkommen erhöht sich demnach im Jahr 2019 um 2,3 Prozent und im Jahr 2023 um 3,5 Prozent. Fünftens werden die im Vergleich zur vorherigen Steuerschätzung beschlossenen steuerrechtlichen Maßnahmen, insbesondere das Familienentlastungsgesetz, berücksichtigt. In diesem Jahr sind Mindereinnahmen von etwa fünf Milliarden Euro zu erwarten. Kumuliert bis zum Jahr 2023 mindern Rechtsänderungen die Einnahmen gemäß Schätzungen der Bundesregierung um knapp 50 Milliarden Euro. Dies beinhaltet die beabsichtigte Senkung des Solidaritätszuschlags.

Die Schuldenbremse funktioniert
Die aktuelle Steuerschätzung verdeutlicht vor allem eines: Die Bäume wachsen nicht in den finanzpolitischen Himmel. Sozialoder steuerpolitische Vorstellungen der beiden Koalitionspartner und daraus resultierende zusätzliche Mehrausgaben oder Mindereinnahmen lassen sich nicht gleichzeitig oder vollumfänglich finanzieren. Will man die Schuldenbremse einhalten, dann sind Prioritätensetzungen gefragt.

Die Schuldenbremse schränkt die Bundesregierung dahingehend ein, dass ein Kompromiss zur Realisierung der finanzpolitischen Vorstellungen das strukturelle, also das um konjunkturelle Effekte bereinigte Defizit nicht über 0,35 Prozent des BIP ansteigen lassen darf. Die Schuldenbremse erlaubt hingegen das Wirken von automatischen Stabilisatoren.

Die sich abschwächende Dynamik der Steuereinnahmen ist ein solches Ergebnis der sich abschwächenden Wachstumsdynamik. Höhere strukturelle Defizite würden jedoch bedeuten, dass der Bund dauerhaft nicht mit seinen Einnahmen auskommt. Damit würde er den Weg einer soliden Finanzpolitik verlassen. Die Schuldenbremse benötigt daher keine Reform. Aber: Die fetten Jahre sind erstmal vorbei.

Lars P. Feld

Prof. Dr. Lars P. Feld (RC Freiburg) ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Universität Freiburg, Direktor des Walter-Eucken-Instituts und seit 2011 Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im März 2016 wurde er für eine weitere Amtszeit bis 2021 benannt.

www.eucken.de