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Gedanken über einen Beruf im Wandel

Zoo-Direktor – ein Traumjob?

Jörg Adler13.04.2013

Lokomotivführer, Feuerwehrmann, Zoodirektor – das war einst das klassische Ranking der beliebtesten Berufswünsche. Die Romantik der imposanten Dampfloks ist dahin und die Arbeit des Feuerwehrmannes ist in das technologisch hochgerüstete Rettungswesen eingeflossen. Und was ist aus dem Zoodirektor geworden, seit Bernhard Grzimek in den 1960er Jahren die höchsten Einschaltquoten im deutschen Fernsehen hatte (selbst in meiner sächsischen Heimat mit dem typischen Schnee auf dem Bildschirm)? Geht der Herr Zoodirektor noch auf Safari, geht er noch ins Fernsehen, geht er noch zu „seinen“ Tieren im Zoo, und baut er noch neue Tierhäuser? Ja, das alles und noch viel mehr ist geblieben, aber unter radikal anderen Umständen, unter den Bedingungen einer zunehmend aufgeklärten und gelegentlich in Aktionismus verfallenden Zeit mit EU-Haltungsrichtlinien, Mindestanforderungen für Gehegegrößen, Biostoffverordnung und Washingtoner Artenschutzabkommen, öffentlichen Ausschreibungen und öffentlichen Anhörungen, Managementkontrakt und Masterplan … Der Zoodirektor in einem Spannungsfeld zwischen Ambition und Leidenschaft einerseits sowie kommunalem Sparzwang und Regulierungswut andererseits, das ist heute die Realität, aus der man je nach Geschick das Beste machen darf.

Strukturelle Veränderungen

Seit 1995 bin ich nicht nur der klassische Zoodirektor im Allwetterzoo Münster, einem der „Top-Ten“-Zoos in Deutschland, sondern auch dessen Geschäftsführer; ursprünglich in einer Doppelspitze mit mir als Tiergärtner sowie einem Kaufmann, seit 2012 als alleiniger Geschäftsführer. Mit der zunehmenden Gründung von GmbH als einer möglichen Betriebsform von Zoologischen Gärten hat die Bezeichnung „Zoodirektor“ automatisch an Glanz und Bedeutung verloren, die neuen Chefs kommen auch aus der Wirtschaft oder der Verwaltung. Der Begriff Zoodirektor weicht dem Geschäftsführer, der immer häufiger vom Zoo und den Tieren weniger Ahnung hat, und dem deshalb oft ein Zoologischer Leiter zur Seite gestellt wird. Letztlich ist es auch egal, ob man Zoodirektor, Intendant (auch Zoos sind tägliche Inszenierungen) oder Geschäftsführer heißt – entscheidend ist, was hinten rauskommt. Und davon verstehen wir im Zoo ziemlich viel...

Vielleicht bin ich eine Art Übergangsmodell, das kommt mir so in den Sinn beim Schreiben dieser Zeilen für das Rotary Magazin. Ich bin immer noch der Klassiker, wenn es um gute Tierhaltung, Öffentlichkeitsarbeit oder das essentielle Betteln um Spenden geht (eine meiner Kerntätigkeiten). Gleichzeitig aber vermarkte ich den Zoo als Präsentationsplattform für neue Automodelle, fesche Bademoden oder atmosphärische Candlelight-Diner für Banker; letzteres auch ohne Skrupel, aber mit dem Angebot von legal anerkannten Spendenbescheinigungen! So neu ist das allerdings auch wieder nicht, wenn ich an die Völkerschauen bei Hagenbeck vor 100 Jahren denke. „Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe, und hinter tausend Stäben keine Welt.“ So beschrieb Rilke 1902 das Leben eines Panthers in einem der Pariser Zoos. Das Gedicht beschrieb die „Gefangenschaft“ eines Tieres zum Vergnügen des erlauchten Publikums. Doch nun sind 110 Jahre vergangen und kaum in einer anderen Kulturform hat es solch radikale Veränderungen gegeben wie in den Zoologischen Gärten. Sicher noch nicht überall und in demselben Tempo, aber immer mit dem Anspruch, dem Tier im Zoo ein lebenswerteres Umfeld zu schaffen. Nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“ haben wir in Münster in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Sammeln von Tierarten aufgegeben, vielmehr die Zahl der Arten reduziert und für die verbleibenden Tiere deutlich verbesserte Lebensbedingungen geschaffen (ganz aktuell z.B. einen höchst attraktiven Elefantenpark mit 5000 qm Fläche). Allerdings trifft die Reduzierung des Tierbestandes nicht immer die Zustimmung unserer jährlich knapp eine Million Besucher; die Trennung von Eisbären, Delphinen und anderen charismatischen Tierarten haben mir viele Mütter auch übel genommen.

Zweifelhafte Moral

In einer Demokratie ist es legitim, gegen Zoos zu sein und das auch zu verkünden. Dafür habe ich als Zoodirektor Respekt. Es ist aber auch in einer Demokratie nicht zielführend, mit Halbwahrheiten und fachlichem Kauderwelsch zu versuchen, die politischen Entscheider gegen Zoos in Stellung zu bringen, während gleichzeitig das Massenmorden in der Natur in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine Randnotiz wert ist. Brigitte Bardot ist Synonym für eine solche Doppelmoral: Sie kämpft in Frankreich gegen das tierschutz-ethisch und juristisch eindeutig legitime Töten von zwei betagten, an Tuberkulose erkrankten Zoo-Elefanten, und kündigt gleichzeitig an, im Falle des Tötens dieser Tiere nach Russland auszuwandern. Nun ist Russland zwar auf dem Wege zum Promi-Asyl für verkrachte französische Schauspieler, aber Russland ist auch ein Land, in dem der Natur- und Artenschutz in altbewährter Härte mit Füßen (oder Stiefeln) getreten wird.

Und da habe ich den Bogen zu meiner eigenen Arbeit im Zoo wiederhergestellt. Meinem großen Vorbild Bernhard Grzimek folgend, beschloss ich mit Beginn meiner Verantwortung als Direktor, jede Gelegenheit, jeden weitgehend akzeptablen Trick zu nutzen, den Allwetterzoo Münster in den Dienst zum Schutze der Biodiversität zu stellen (natürlich spreche ich im katholischen Münsterland besser von der Bewahrung der Schöpfung). So kümmern wir uns um die Rettung einer der bedrohtesten Primatenarten der Welt, der Goldkopflanguren in Vietnam, die ohne unser Engagement bereits ausgerottet wären. Wir versuchen mit einem Naturschutzbildungszentrum und einer Rettungsstation für bedrohte Tierarten in Kambodscha die Naturzerstörung zu bremsen und die Armut der Landbevölkerung zu lindern. Wir kämpfen in einem globalen Netzwerk für das Überleben der von einem Hautpilz bedrohten Amphibien und wir überwachen die letzten Bestände der Altweltgeier in Kambodscha, bevor sie dem Tod durch Diclofenac zum Opfer fallen.

Das Engagement für die Bewahrung der Natur gehört für mich zum Selbstverständnis eines modernen Zoologischen Gartens und ist gleichzeitig die aktive Umsetzung der Richtlinien aller internationalen Zooverbände.

Seltene Affen oder bedrohte Schildkröten zu retten kostet natürlich eine Menge Geld, das wir zusätzlich zu unseren Einnahmen beschaffen müssen. Die Zauberworte heißen: Marketing, Marketing und nochmals Marketing. Ob die 100 Folgen einer ARD-Doku-Soap, Auftritte bei Stefan Raab oder Harald Schmidt, Kanzelpredigt, Teenachmittag im Seniorenstift oder Vorträge in Rotary Clubs – ein Zoodirektor muss schmerzfrei sein bei der Wahl seiner Auftritte. Wenn an einem winterlichen Wochenende statt 1200 mehr als 10.000 Besucher in den Zoo strömen, nur weil sie die Höhe ihres Eintritts selbst bestimmen dürfen, wenn die Medien tagelang über den Zoo berichten, weil ein verwirrter Schwarzer Schwan sich in ein Tretboot auf dem münsterschen Aasee verliebt, dann rollt der Rubel – pardon, der Euro – und die Kassen klingeln. Dann ist dieser Zoo auch für Sponsoren interessant, weil sich „da etwas tut“.

Die häufigste Frage an mich lautet: „Haben sie ein Lieblingstier?“ Ja, es sind die Zoobesucher. Begeisterte Kinderaugen und zufriedene Eltern bei der Fütterung der Elefanten oder dem Spaziergang der Pinguine, dem Spiel der Meeressäuger oder der hautnahen Begegnung mit großen und kleinen Affen – das ist unser Konzept „Tiere begreifen“, unsere unschlagbare Stärke.

Zoodirektor, ein Traumberuf? Ja, und ich erfülle mir diesen Traum in einem fröhlichen Zoo, der auch zum Nachdenken anregt, zum Nachdenken über die Zukunft der Natur.