D1880
"Sittsames Verhalten bei Leibesübungen"
Neues aus dem Distrikt: Jürgen Franzke (RC Nürnberg-Neumarkt) hat ein Buch über den ältesten Sportverein Bayerns verfasst. Er war selbst Turner und Vorstand beim TSV Nürnberg 1846. Für den Sport- und Turnverein blickte er zurück auf 175 Jahre Bestehen und legt nun ein spannendes Werk vor.
Ihm geht es um den Sportverein als große Gemeinschaft: Wer in einer Mannschaft spielt, der bewegt sich in einer sozialen Gemeinschaft. Man hilft sich, streitet sich, versöhnt sich wieder und steht einander bei. In seinem Buch erinnert er an die Fechtschulen zu Albrecht Dürers Zeiten, beschreibt die Gedanken von Turnvater Jahn und die Gründung der Turnvereine in den 1840er Jahren.
Der TSV Nürnberg ist nicht nur der älteste Sportverein in Nürnberg, sondern in ganz Bayern. Jürgen Franzke, langjähriger Vorstand des Vereins, gratuliert mit einem Buch – die Bilder sind voller Verweise auf die Geschichte.
Ja, es stimmt, es hat im Jahr 2023 viele Nachrichten gegeben, die uns betrüben. Deshalb hier eine gute Nachricht: Die deutschen Sportvereine verzeichneten im Jahr 2023 so viele Mitglieder wie seit zehn Jahren nicht mehr. Punkten konnten vor allem Eishockey und Basketball.
Die Zählung, die der Deutsche Olympische Sportbund vorgelegt hat, zeigt: Das Corona-Tief ist überwunden, zum Stichtag 1. Januar 2023 zählten die mehr als 86.000 Sportvereine gut 815.000 neue Mitglieder, drei Prozent mehr als im Vorjahr und zugleich mit insgesamt 27,8 Millionen Mitgliedern der höchste Stand seit zehn Jahren.
Sport, so sieht es auch Jürgen Franzke, kann man heute überall machen. Allein beim Waldlauf oder im Fitnessstudio, in der Yoga- oder der Gymnastikgruppe, sogar zu Hause vor dem Fernseher oder dem Computer-Bildschirm. Ihm geht es um die Werte des Vereins: Wer in einer Mannschaft zusammen spielt, der bewegt sich in einer sozialen Gemeinschaft. Man hilft sich, streitet sich, versöhnt sich wieder und steht einander bei.
"Diese Werte, so alt sie sind, sind unvergänglich, zeitlos, also jung. Darauf können wir bauen, darauf können wir stolz sein!", schreibt der Autor, und man kann ihm in diesen Zeiten nur beipflichten. Die Gesellschaft driftet auseinander und redet teilweise nicht mehr miteinander, sondern nur übereinander.
Sportvereine aber, so erklärt Franzke, selbst passionierter Turner und noch aktiver Sportler, "haben Mitglieder von drei bis 90 Jahren, sind eine große Gemeinschaft – werden, wie der TSV Nürnberg, über 175 Jahre und sind doch ewig jung!" Der TSV Nürnberg ist damit nicht nur der älteste Sportverein der Stadt, sondern in ganz Bayern.
1846, im Gründungsjahr, ging es politisch turbulent zu, und weil sich der Verein der demokratischen Bewegung verbunden fühlte, wurde er 1850 gleich wieder verboten – wie alle Turnvereine, nicht nur in Bayern.
Und heute? Gerade der Breitensport leistet viel in Sachen gesellschaftlicher Herausforderung – man denke nur an die Integration oder den demographischen Wandel. Eben weil es in dieser großen sozialen Gemeinschaft um so viel mehr geht als um die bloße Freude an der Bewegung, hat Jürgen Franzke prominente Stimmen für sein Buch gefunden: Grußworte kommen aus der Politik und dem Sport. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) sind vertreten, auch der Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes, Jörg Ammon, sowie Dr. Alfons Hölzl, Präsident des Bayerischen Turnverband e. V., sowie des Deutschen Turnerbundes steuern ein Vorwort bei.
Man blättert in diesem Buch schon deshalb sehr gerne, weil es voller wunderbarer Bilder steckt: schon auf den ersten Seiten illustrieren Szenen aus Albrecht Dürers Trainingsbuch für Fechter und Ringer das Kapitel zur Vorgeschichte – das Werk des Nürnberger Künstlers aus dem Jahr 1512 war in Vergessenheit geraten und wurde erst vor 200 Jahren wiederentdeckt, und zwar im Britischen Museum im London. Es besitzt die größte Autographen-Sammlung von Dürer.
Es sind vor allem auch diese Verweise auf die Geschichte, die Franzkes Werk so liebenswert machen, ganz nebenher lernt man, dass es in Nürnberg zu Dürers Zeiten Fechtschulen gab und Frauen bereits in olympischen Zeiten im antiken Griechenland für den Ringkampf trainierten. Der nächste Blick geht in den Norden: in Hamburg war mit der Turnerschaft von 1816 der älteste durchgängig existierende allgemeine Sportverein der Welt entstanden.
Geturnt wurde in Hamburg in der 1817 angemieteten Johanniskirche an der kleinen Alster, sie war durch Napoleons Truppen entweiht worden. In Bayern bildeten die Gedanken von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn – geistige und körperliche Kraft – den Hintergrund für sportliches Tun: Im Kampf gegen Napoleon sollte die Jugend gestärkt werden. Turnen wurde als politisch angesehen, deshalb zeitweise mit Verboten belegt und durch die Obrigkeit kontrolliert. Tatsächlich wurde mit den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 die Zeit der napoleonischen Herrschaft beendet. Viele Turner waren mit Turnvater Jahn als Freiwillige in den Krieg gezogen.
Mit Beginn der 1840er Jahre kam es, in einer Welle der Liberalisierung, zur Gründung von Turnvereinen. Am 18. Oktober 1846 baten mehrere junge Männer den Nürnberger Magistrat um ein passendes Lokal für Turnübungen, eine Gaststätte am Spittlertorgraben wurde zum "Turnsaal". Die jungen Männer hatten vorher beobachtet, wie ein Lehrer vor dem Nürnberger Egidiengymnasium, das heutige Melanchthon-Gymnasium, Leibesübungen machte – die späteren Gründer des TSV 1846 sprachen ihn an, besagter Lehrer Völkel wurde zur treibenden Kraft und zum 1. Turnwart des Vereins. Später wurden der TV 1848 Erlangen sowie der TV 1848 Schwabach gegründet – hier trainierte übrigens Jürgen Franzke, er ist 1946 in Schwabach geboren und dort aufgewachsen, selbst als Turner an Reck, Barren und Pferd.
Turnen war anfänglich reine Männersache, bei Vereinsausflügen wurde "sittsames Verhalten" verordnet, der Sport wurde militärisch mit einer Art leichten Uniform aufgezogen. 1896 gab es eine erste Jubiläumsfeier: Es gab nun 1640 Mitglieder, davon 1508 Männer – tatsächlich durften mittlerweile auch Frauen in Pumphosen und Matrosenblusen zum Turnen kommen. Unter den Mitgliedern waren "acht Witwen, deren Kinder turnen, sowie 71 Damen".
Auch die Zeit des Nationalsozialismus bekommt in der Chronik ein Kapitel, eindringlich beschreibt der Autor, wie die Vereine gleichgestellt wurden und ihre Eigenständigkeit verloren. Statt der Vorstände gab es "Vereinsführer", es hieß, "im Geiste Jahns und des Nationalsozialismus" werde trainiert. Das Wehrturnen zugunsten der Sturmabteilung (SA) wurde eingeführt.
Nach dem 2. Weltkrieg und dem Wiederbeginn wuchsen die Vereinsangebote, auch die Anzahl der Mitglieder ist rasant gestiegen – schon weil immer mehr Sportarten entstanden sind: Und so findet sich in dem Buch ein letztes Kapitel, in dem all die Abteilungen des TSV 1846 genannt werden.
Neben Tanz und Turnen gibt es Rhythmische Sportgymnastik, Schwimmen, Tennis, Richtig Fit, Badminton, Handball, Haidong Gumdo, Leichtathletik, Wintersport, Bouldern, Eiskunstlauf, Fußball, Basketball, Rugby, Taekwondo und Taijiquan. Und übrigens: Eine Gymnastikgruppe trifft sich online und der karnevalistische Gardetanz gehört auch zum Verein.
Ulrike Löw (RC Nürnberg-Reichswald) ist seit 20 Jahren als Journalistin tätig. Ihr Schwerpunkt liegt bei rechtlichen Themen: Aktuelle Rechtsnews interessieren sie ebenso wie juristische Hintergründe, regelmäßig sitzt sie in Gerichtssälen und berichtet über Strafprozesse. Ab August 2021 ist sie Berichterstatterin des Distrikts 1880.
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