Neugründungen zu blockieren beschädigt die rotarische Idee
Rotary ist kein »Closed Shop«
Jedes Jahr am 23. Februar wird in Rotary Clubs rund um die Welt feierlich an das legendäre erste rotarische Treffen erinnert. Der Gründungsmythos von Paul Harris und den drei Herren, die er 1905 in sein Büro in Chicago geladen hatte, ist immer gut für einen ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Rückblick auf die Anfänge Rotarys. Es geht dabei ja nicht nur um ein mehr oder weniger zufälliges Datum, sondern: Bei diesem ersten Treffen zeigten sich schon Grundstrukturen, die die rotarische Weltorganisation noch heute bestimmen: die verschiedenen Berufe der Mitglieder, ihre unterschiedliche Herkunft und auch ihre Bindung an unterschiedliche Religionen. Toleranz musste für die junge Bewegung nicht erst in einer Verfassung verankert werden, sie ist unserer Organisation quasi angeboren.
Nicht zuletzt deswegen entwickelte sich Rotary schnell über alle Erdteile. Eine überzeugende Idee führte zu einer machtvollen Organisation, die immer noch jedes Jahr Tausende für ihre Arbeit begeistert. Wollen wir diese Entwicklung stoppen? Wohl jeder, der mit Freude und Stolz die rotarische Nadel trägt, wird dieser Frage entrüstet widersprechen – und doch stagniert die Mitglie derentwicklung seit Jahren. Die Bindungskräfte nehmen aus unterschiedlichen Gründen ab; immer wieder verlassen hoffnungsvolle Neumitglieder ihren Club, weil sie nicht das finden, was sie gesucht hatten. Nur weil immer wieder neue Mitglieder gewonnen werden, schlägt sich dieser Negativtrend nicht in Zahlen nieder. Die aktuelle Mitgliederzahl von 1.236.000 entspricht dem Stand, den wir auch vor 15 Jahren schon hatten … In Deutschland sind die Bindungskräfte noch weitgehend intakt. Es ist immer noch für die allermeisten Mitglieder eine Lebensentscheidung, zu Rotary zu kommen. Außerdem konnten wir uns jahrelang, vor allem nach der Wiedervereinigung, über satte Zuwächse freuen — doch auch wir bleiben inzwischen weit unter unseren Möglichkeiten. Besonders bitter daran ist, dass es viele unerkannte Rotarier gibt, die unsere Ziele, Werte und Ideen teilen, die aber nur deshalb nicht zum Zuge kommen, weil wir sie nicht lassen.
AVERSION GEGEN NEUE CLUBS
Es gibt eine leider verbreitete Einstellung in Rotary Clubs, im eigenen Umfeld keine weiteren Clubs zuzulassen. Kaum jemand würde das offen zugeben. Und doch: Neugründungen von Rotary Clubs werden in Deutschland sehr kritisch gesehen, entsprechende Versuche werden in den meisten Fällen von bestehenden Clubs in der Region abgelehnt, ja geradezu bekämpft. Ausnahme: die Metropolen.
Unterhalb der Metropolen, in den Großstädten mit weniger als 300.000 Einwohnern, beobachte ich eine verhängnisvolle Tendenz: Vielfach haben hier Rotary Clubs schon mal vorsorglich beschlossen, keine weiteren Clubs zuzulassen. Die Begründungen gleichen einander: Die Anzahl zukünftiger Mitglieder sei begrenzt und diese würden von den alten Clubs aufgenommen oder es gebe nicht genügend Kandidaten, die „rotarabel“ (welch furchtbares Wort!) sind, das System sei seit Jahren eingespielt, ein weiterer Club würde da nur stören usw. In Klein- und Mittelstädten kommt als zusätzlicher Grund noch hinzu: Wir haben selbst schon große Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu finden, was soll da ein weiterer Club?
Wer dieser Argumentation zuneigt, sollte sich einmal ernsthaft selbst fragen: Wo stünde Rotary heute, wenn schon unsere Väter dieser Auffassung gefolgt wären? Mit dem Ziel, pro Stadt nur einen Rotary Club zuzulassen, wären viele der Freunde, die heute gegen neue Clubs sind, nie Rotarier geworden. Mit welchem Recht betrachten diese Freunde eigentlich heute Rotary als „Closed Shop“?
Paul Harris jedenfalls haben sie grandios missverstanden. Seine Botschaft war immer eindeutig. Bei feierlichen Anlässen gern zitiert wird sein berühmter Ausspruch von 1935, dass sich die Welt verändert und sich Rotary mit ihr verändern müsse. Das klingt immer eindrucksvoll, doch das ist nur ein Argument im Gedankengang des Rotary-Gründers. Gerne wird übersehen, dass dieses Zitat noch weitere Forderungen enthält, die Paul Harris seinen Freunden zurief, nämlich „dass wir nie selbstgefällig werden“ und „dass wir nie aufhören sollen zu wachsen“.
Harris betonte diese Gedanken, weil er gesehen hatte, dass sich Rotary Clubs nach erfolgreicher Gründung durchaus dynamisch weiterentwickeln, nicht unbedingt jedoch im Einklang mit der rotarischen Idee. Und Harris ging es immer um die Idee Rotarys als Serviceclub engagierter Bürger, die selbstloses Dienen — Service Above Self — als wertvolles Korrektiv in ihrer Gesellschaft vorleben. Die anderen zeigen, was verantwortliche Menschen zustande bringen, wenn sie nicht einfach darauf warten, dass etwas geschieht, sondern selbst aktiv werden.
MOTIVATION FÜR NEUGRÜNDUNG
Diese Idee ist einfach zu gut, um sie auf wenige zu beschränken.Was aber soll ein Governor tun, der einen weiteren Club gründen möchte und auf hartnäckigen Widerstand stößt? Er kann natürlich mit der Autorität von Rotary International im Rücken alle Bedenken ignorieren. Viel besser wäre es jedoch, die bestehenden Clubs ließen sich überzeugen, dass ein neuer Club ihnen nicht nur nichts wegnimmt, sondern im Gegenteil zur Bereicherung führt. Weil jeder Club die rotarische Idee ganz anders lebt.
So gibt es bei uns zwei Arten von Rotary Clubs, die in den Metropolen anziehend auf Kandidaten wirken: Die etablierten „ersten Clubs am Ort“, die immer schon interessant waren und in denen sich die Vorstandsmitglieder großer Unternehmen und höhere Beamte wohlfühlen. Weil es dort eine besondere Ehre ist dazuzugehören. Und es gibt die jüngeren Clubs, die eine schlagkräftige Gemeinschaft bilden und viel Spaß versprechen. Beide Arten von Clubs bieten ihren Mitgliedern einen deutlichen Mehrwert, auch wenn der ganz unterschiedlich aussieht. Die an Rotary interessierten Kandidaten wissen hier sehr wohl zu unterscheiden, zu welcher Art von Mehrwert und zu welchem Club sie tendieren.
Wichtig ist, dass wir uns von stereotypen Vorstellungen verabschieden, wer zu Rotary gehören darf und wer nicht. Die 25-jährige Rotaracterin gehört genauso dazu wie der 63-jährige frühpensionierte Verwaltungsexperte, wenn sie gleichermaßen begeistert von der rotarischen Idee sind. Unser Reichtum ist doch vor allem die Vielfalt in der Mitgliedschaft. Nur durch diese Vielfalt bleibt unsere Idee jung und lebendig. Ein „Closed Shop“ führt zur Erstarrung. Und was uns dann bevorsteht, können Ihnen die Clubs erzählen, die schon heute keine Kandidaten mehr finden.
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