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Titelthema

Ami, go home!

Titelthema - Ami, go home!
© Illustration: Brian Stauffer

Nach dem Ende der US-Imperialismuspolitik hat der typisch deutsche Antiamerikanismus seine Daseinsberechtigung verloren.

Torben Lütjen01.10.2021

Wir ahnten es schon vorher, aber die Macht der Unmittelbarkeit der Bilder vom Flughafen in Kabul hat es jetzt zur Gewissheit gemacht: Die USA sind endgültig in ihre postimperiale Phase eingetreten. Postimperial, das ist nicht das Gleiche wie präimperial. Die USA sind mit den globalen Angelegenheiten zu sehr verstrickt, als dass sie der Welt vollständig und sofort den Rücken zukehren könnten. Und noch eine ganze Weile werden wir, weil man sich so gründlich eingeschliffene Reflexe nicht einfach abtrainieren kann, auch bei der nächsten Krise auf die Reaktion Washingtons warten.

Nichts davon aber kann darüber hinwegtäuschen, dass es nur noch um Rückabwicklung geht. Den USA sind nicht nur die materiellen Ressourcen zu schade, die es brauchen würde, um die globale Führungsrolle weiter auszuüben. Es sind vor allem die für solcherlei notwendigen ideologischen Ressourcen, die final versiegt sind. Die USA glauben nicht mehr an ihre Mission und ihre moralische Überlegenheit. Das liegt nicht nur am isolationistischen Nationalismus der amerikanischen Rechten. Im Zuge der Totalabrechnung mit der amerikanischen Geschichte, die jetzt primär nur noch von ihren dunklen Seiten her erzählt wird, hat auch der US-Liberalismus den Glauben daran verloren, die Welt moralisch nach seinem Bild formen zu können. Wer die eigene Geschichte eher als Schandfleck denn als Ruhmesblatt empfindet, der hat sein Sendungsbewusstsein verloren.

Trump beerdigte den US-Imperialismus

Die Frage ist: Was passiert nach Amerikas „Farewell-Tour“ mit dem Bild der USA in unseren Köpfen? Denn das Verhältnis vieler Deutscher zu Amerika blieb stets hochgradig ambivalent: Schutzmacht einerseits, ungeliebter Hegemon andererseits. Bei aller Ambivalenz gab es daher auch in Deutschland einen ausgeprägten Antiamerikanismus. Wie bei vergleichbaren anderen Ressentiments geht es auch beim Antiamerikanismus darum, verschiedene Ängste und Probleme auf eine einzelne Sache zu projizieren. Kurzum und salopper ausgedrückt: Alles, was schieflief im 20. Jahrhundert, wurde gerne den USA zugeschrieben – wenngleich es sich oft um allgemeine Modernisierungsprozesse handelte.

Der europäische und auch spezifisch deutsche Antiamerikanismus hatte dabei historisch verschiedene Ausprägungen. Zunächst, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war das Ressentiment primär kulturell getrieben: Die amerikanische Populärkultur als intellektuelle Verflachung und Kulturverfall, die Entwertung traditioneller Moralvorstellungen durch eine entfesselte Konsumgesellschaft. Noch in Theodor Adornos Klagen über die lediglich der Unterhaltung dienende „Ware“ amerikanischer Jazz-Musik schwang diese Art von Kulturpessimismus mit: der oberflächliche „Yankee“ als Zerstörer europäischer Kunst und Kultur.

Die Hauptströmung des Antiamerikanismus nach 1945 allerdings hatte eine andere Stoßrichtung und kam eher von links, und ihr dürfte bald die Luft ausgehen. Seitdem die USA spätestens in Vietnam ihre Unschuld verloren hatten, bedeute Antiamerikanismus vor allem Antiimperialismus. Eine ganze Generation linker Studenten marschierte in den 1960er Jahren auf den Straßen deutscher Metropolen gegen den vermeintlichen Kriegstreiber USA. Dabei war auch die Einstellung der 68er zu den USA ambivalent, denn die Kohorte der nach 1945 Geborenen war als erste vollständig von den USA geprägt, vom Musik- bis zum Kleidungsstil. Selbst in ihren Protestformen – den Sit-ins, Walk-ins, Teachins – verrieten sie noch ihre uneingestandene Faszination. Als dann schließlich später einer ihrer Repräsentanten, der SPD-Kanzler Gerhard Schröder, die deutsche Außenpolitik zu verantworten hatte, da wurde die tiefe Prägung, die dieses Amerika-Bild hinterlassen hatte, offenbar. Als er mit seinem (historisch fraglos richtigen) Nein zum Irakkrieg 2002 Wahlkampf machte und dabei von ihm und von anderen kräftige antiamerikanische Parolen zu vernehmen waren, da wurde deutlich, wie fruchtbar noch immer der Schoß war, aus dem all das ursprünglich gekrochen kam.

Überhaupt waren die frühen 2000er Jahre noch einmal ein letzter Höhepunkt des Antiamerikanismus in Deutschland. George W. Bush war dabei ein dankbares Ziel, vereinte er doch gleich zwei Stereotype in seiner Person: das des texanischen Cowboys, der erst schießt und dann denkt, und dann das des christlichen Missionars. Beim nächsten republikanischen Präsidenten aber wurde die Lage diffuser. Als Donald Trump 2017 ins Weiße Haus einzog, war das merkwürdigerweise nicht von einer ähnlichen Flut des Antiamerikanismus wie bei Bush begleitet. Zwar wurde er von den allermeisten Deutschen zutiefst verabscheut. Aber Trump war als Figur in seiner monströsen Absurdität einerseits zu singulär, um ihn als „typischen“ Amerikaner zu interpretieren, und andererseits wurde er eher als amerikanische Spielart einer global aufstrebenden nationalistischen Rechten interpretiert.

Der Ruf nach dem großen Bruder

Vor allem aber brach Trump schließlich brachial mit allen strategischen und ideologischen Grundprämissen der amerikanischen Außenpolitik. Der Nato stand er kritisch gegenüber, die USA wollte er aus allen Händeln der Welt am liebsten komplett raushalten, und hätten ihn der Kongress und sein Kabinett nicht daran gehindert, dann hätte er die Rückabwicklung schon weiter vorangetrieben. Der Kollaps in Afghanistan war bekanntermaßen auch seinem Rückzugsplan und den „Friedensverhandlungen“ mit den Taliban geschuldet, die nur ein Ziel verfolgten: einfach nur raus, und das so schnell wie möglich, ohne Rücksicht auf Verluste. Für die Linke hätte Trump eigentlich eine Irritation sein müssen, denn im Grunde war er der finale Vollstrecker der Beerdigung des amerikanischen Imperialismus.

Es heißt, man solle vorsichtig sein, was man sich wünscht – es könnte schließlich wahr werden. Wenn die USA sich nun weiter zurückziehen werden, dann wird es ungemütlich werden, vor allem für die Deutschen, die noch immer gerne so tun, als sei das Land eine etwas zu groß gewordene Schweiz. Denn wir haben es uns über Jahrzehnte auch intellektuell bequem gemacht unter dem Schutz der USA, unsere Vorurteile gepflegt, uns empört, wenn irgendwo auf der Welt eine Mission der USA wieder krachend gescheitert ist, uns gewundert über den lange Zeit naiven Glauben der Amerikaner in die Exportierfähigkeit ihres Demokratiemodells. Aber wenn es eng wurde, wenn etwa in Bosnien in den 1990er Jahren ein Genozid im Gange war, den wir Europäer allein nicht stoppen konnten, dann haben wir nach dem großen Bruder gerufen. Das war schon damals peinlich, und gelernt haben wir nichts daraus; die Europäer können ohne die USA mittlerweile nicht einmal mehr einen Flughafen sichern.

Das Ende der amerikanischen Hegemonie wird der Antiamerikanismus nicht lange überleben. Er hat uns intellektuell gut abgeschirmt von einer potenziell immer gefährlichen und chaotischen Welt, die moralisch nicht anders als ambivalent sein kann. Es wird Zeit, sich ihr bald zu stellen.

Torben Lütjen

Dr. Torben Lütjen ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Von 2015 bis 2016 war er in Vertretung von Prof. Franz Walter Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur deutschen und amerikanischen Politik.

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