Titelthema
Querfront der Querdenker
Männer mit Reichskriegsflagge, Frauen mit Rastalocken: Weil der Populismus
in Wahrheit eine antiautoritäre Bewegung ist, versagt er im Kampf gegen die Pandemie. Eine Geschichte über Autoritäten ohne Autorität.
Kann es wirklich sein, dass ein Fetzchen Stoff uns jetzt doch entzweit? Möglich erscheint das jedenfalls in diesen Tagen im Herbst 2020, da die zweite Welle der Pandemie läuft und mit jedem Tag sichtbarer wird, dass der große Konsens vom Frühjahr des Jahres kaum wiederholbar ist. Es war ein gesellschaftlicher Schulterschluss, den manche dieser hochgradig individualisierten und hedonistischen Gesellschaft nicht zugetraut hätten – und der die anderen sogleich reflexhaft davor warnen ließ, dass in einem solchen Zustand des faktischen Ausnahmezustands die autoritäre Versuchung wächst.
Gegen den totalitären Staat?
Die Besorgnis war unangebracht. Die demokratische Normalität ist längst zurückgekehrt: Wir streiten wieder, nicht nur über das Tragen einer Gesichtsmaske. Und auf den ersten Blick scheint sich auch der Inhalt des Streits in vertrauten Koordinaten zu bewegen: Während die einen auf die Gefährdungen der Allgemeinheit hinweisen, an das Kollektiv appellieren und notfalls mit Verboten das Verhalten der Bürger regulieren wollen, weisen die anderen auf die Gefährdungen der Freiheit hin und plädieren für individuelle Verantwortung.
Indes: In Wahrheit ist keineswegs alles wie gewohnt. Die Konfliktlinie ist bekannt – die Konfliktparteien jedoch stehen teilweise auf merkwürdigen Seiten. Zumindest auf der rechten Seite des politischen Spektrums nämlich sind die Reaktionen aus historischer Perspektive äußerst unorthodox. Dabei lieferte die Pandemie ja das perfekte Drehbuch zum Handeln für Parteien, die immer wieder als „autoritär“ tituliert werden. Ein fremdartiger Virus, entstanden im Land einer aggressiven neuen Supermacht, einzudämmen nur durch die Disziplinierung der Bürger seitens eines starken Staates: Eigentlich hätten rechtspopulistische Parteien, die ja schließlich immer und überall als „autoritär“ eingestuft werden, besonders energisch auf drakonische Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus dringen sollen.
Doch so war es nicht. Es gab Ausnahmen, aber insgesamt gilt: Die meisten Rechtspopulisten in westlichen Demokratien gehörten und gehören zu den Wortführern des „Widerstandes“ nicht nur gegen den Lockdown, sondern auch gegen weit sanftere Eingriffe – und zwar oft im Namen der individuellen Freiheit und unter Verweis auf die Bedrohung durch einen übergriffigen, oder wie es hier auch gerne in schriller Übertreibung heißt: totalitären Staat.
Wer sich gegängelt fühlt
Man könnte das noch für den pawlowschen Reflex eines politischen Lagers halten, das in vielen Ländern eine chronische Oppositionsrolle ausfüllt (wie etwa die AfD hierzulande) und daher grundsätzlich dagegen ist, überdies immer und überall die Verschwörung der Eliten wittert. Nur: Was erklärt dann das anfängliche Zögern und anschließend erratische Verhalten der mittlerweile ins rechtspopulistische Fahrwasser geratenen Konservativen Partei in Großbritannien und ihres Premierministers Boris Johnson? Und wie bei so vielen anderen Phänomenen, verdichtete sich auch im Fall der Pandemie die Geisteshaltung der Neuen Rechten am eindrücklichsten in den Worten und Taten des amerikanischen Präsidenten. Donald Trump jedenfalls wurde schnell zu einer Art globalem Cheerleader des Widerstandes gegen die Maßnahmen (in diesem Fall teilweise auch die seiner eigenen Regierung!), Anführer all jener, die die ganze Sache für einen gewaltigen Schwindel halten, Teil einer großen Verschwörung von Wissenschaftlern und Bürokraten gegen das eigene Volk.
Warum aber reagieren jene immer wieder als „konservativ“ und „autoritär“ apostrophierten Parteien und Politiker dann mit einer solchen Nonchalance auf die Bedrohung, statt alle nationalen Ressourcen zu mobilisieren?
Die Antwort ist einfach: Weil es sich eben beim zeitgenössischen Rechtspopulismus in Wahrheit nicht um eine autoritäre Bewegung handelt. Oder präziser: Während die ultimativen politischen Ziele von AfD und anderen durchaus autoritär sind, ist es die tieferliegenden Geisteshaltung nicht. Im Kern des modernen Rechtspopulismus steht im Gegenteil ein antiautoritärer Impuls. Es geht den Anhängern dieser Parteien um eine Form der Selbstermächtigung, die sie befreien soll aus den so empfundenen Gängelungen der politischen und moralischen Autoritäten.
Peinliche Selbstdarstellung
Selbstermächtigung, oder wie es auf Neudeutsch auch häufiger heißt: Self-Empowerment – das ist eigentlich ein Begriff, den wir eher für emanzipatorische Bewegungen auf der Linken reservieren. Aber in der Rhetorik der AfD etwa wimmelt es geradezu von Begriffen wie dem „mündigen Bürger“ oder auch dem „notwendigen Geist der Aufklärung“. In den Selbsterzählungen der Anhänger findet man nicht selten eine klassische Emanzipationserzählung – wie man irgendwann aufgewacht sei und realisiert habe, dass das alles Lügen seien: Der Medien, der Politiker, überhaupt all jener, die mit ihrer Beschreibung der Realität die eigene Weltsicht einschränken oder korrigieren – anders als all die „Schlafschafe“, die weiter an die offizielle Version der Dinge glauben. Doch ist das nicht alles nur eine Maskerade, eine perfide Form der Selbstinszenierung, der Populisten in die Rolle der aufrichtigen Non-Konformisten gegen ein übermächtiges Establishment versetzt? Gewiss ist es das auch. Aber selbst dann wäre es interessant. Denn den fraglos ganz uneingeschränkt autoritären rechten Bewegungen der Vergangenheit wären solche Ideen der individuellen Selbstermächtigung gewiss nie in den Sinn gekommen. Klassische Konservative waren zutiefst elitär und keineswegs der Meinung, dass jeder eine kompetente Meinung über die Führung der Staatsgeschäfte hatte. Im Faschismus wiederum war der individuelle Anspruch auf Wahrheit im Grunde suspendiert. Hier war und ist es der von der Vorsehung erwählte Führer, in dem sich die Wahrheit manifestiert.
Nichts davon aber findet sich im modernen Rechtspopulismus, und das erklärt einiges, was einen sonst ratlos zurück ließe. Von autoritär eingestellten Wählern würde man ja eigentlich erwarten, dass sie hierarchische und straff geführte, disziplinierte Organisationen bevorzugen. Das aber ist weit entfernt von der Organisationswirklichkeit der meisten rechtspopulistischen Parteien, denkt man nur an das permanente Chaos in der AfD, die Vielstimmigkeit ihrer Funktionäre und das ungehemmte Übereinanderherfallen der Führungsfiguren der Partei – was aber eben ihre Wähler ja kaum abzuschrecken scheint.
Selbst die Sache mit der vermeintlichen Fixierung auf die starke Führerfigur an der Spitze dieser Parteien, was wohl als Nachweis einer autoritären Geisteshaltung dienen könnte, ist komplizierter. Populistische Parteiführer sind keine Charismatiker wie die Führer der totalitären Massenbewegungen der Vergangenheit. Die Währung, mit der sie handeln, ist daher auch nicht Autorität, sondern Authentizität. Sie stehen nicht über den Dingen, haben nicht Zugang zu einem überlegenen Wissen, wie die von der „Vorhersehung“ geschickten Charismatiker. Ihr Wissen ist das Wissen des Jedermann, der Common Sense, sie exekutieren nur, was in den Augen ihrer Anhänger eine Selbstverständlichkeit ist.
Vereint in ihrer Paranoia
Und da schließt sich der Kreis zur Pandemiebekämpfung, denn es erklärt, warum Figuren wie Trump oder Johnson eben buchstäblich die Autorität fehlte, einen härteren Kurs einzuschlagen. Zentral für den „Autoritären Charakter“ wie er von Theodor Adorno und anderen Mitgliedern der „Frankfurter Schule“ in den 1930er Jahren in den sozialwissenschaftlichen Diskurs eingeführt wurde, war dessen unheilbare Fixierung auf die starke Vaterfigur: der Vater als moralische Instanz, als Beschützer, aber auch als Strafender. Nichts davon (außer vielleicht die Rolle des Beschützers) assoziiert man jedoch mit den meisten populistischen Ikonen der Bewegung, mit den Salvinis, Straches oder Trumps. Sie sind eigentlich das Gegenteil der strengen Vaterfiguren der Autoritarismusforschung, die ihre Zöglinge züchtigen und erziehen wollen. Eher sind es moderne Post-68er-Kumpel-Väter, die ihren verzogenen Kindern gegen die bevormundenden Lehrer den Rücken stärken und sie weiter dazu anstacheln, sie sollten sich nicht vorschreiben lassen, wie sie leben, was sie zu fühlen und woran sie zu glauben hätten. Die Vorstellung, Trump könnte seinen Anhängern auch nur ansatzweise ein Opfer abverlangen, war daher von vornherein absurd.
Irgendwann wird die Pandemie beendet sein. Anders als die wirklich großen Fragen unserer Zeit – soziale Ungleichheit, Einwanderung, Klimawandel – hat sie kaum das Potenzial, eine bleibende Konfliktlinie zu etablieren. Doch hat sie wie unter einem Brennglas deutlich gemacht, mit welcher Art von Herausforderung liberale Demokratien umzugehen haben. Der moderne Rechtspopulismus wird nicht so sehr von autoritären Impulsen getrieben, träumt nicht von Gleichschaltung (wäre dazu auch kaum in der Lage) oder Gleichschritt. In Wahrheit ist er – wie andere antiautoritäre Gruppen vor ihm – eine Bewegung des institutionalisierten Misstrauens. Die Parole der 68er, traue niemanden über 30, hat der zeitgenössische Populismus erheblich erweitert und auf alles bezogen, was nicht Teil der eigenen gefühlten Wirklichkeit ist. Die eigentliche Essenz des Populismus und das Resultat dieser entgleisten Aufklärung, ist daher, natürlich, der Verschwörungsglaube, die grundsätzliche Infragestellung von allem und jedem. Das erklärt auch die merkwürdigen Bilder, die der Protest gegen die Coronamaßnahmen zumindest in Deutschland produziert hat, wo es weder Rechtsextremisten noch der AfD gelungen ist, die Szene ganz zu dominieren, sondern sich ein merkwürdig heterogenes Bild zeigte: Männer mit Reichskriegsflaggen neben Heilpraktikerinnen mit Rastalocken. Eine Querfront selbsternannter Querdenker, in nichts vereint – außer in ihrer Paranoia und der Überzeugung, dass irgendwas stets gehörig faul ist im Staate.
Buchtipp
Torben Lütjen
Amerika im Kalten Bürgerkrieg,
wbg Theiss,
208 Seiten, 20 Euro
Dr. Torben Lütjen ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Von 2015 bis 2016 war er in Vertretung von Prof. Franz Walter Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur deutschen und amerikanischen Politik.
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