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Die SPD in Bedrängnis

Angriff von allen Seiten

Über das „Sandwich“-Dilemma der SPD

Klaus-Peter Schöppner01.09.2016

In der SPD rumort es gewaltig. Nach dem dritten Sommer des demoskopischen Missvergnügens mit Sonntagsfragenwerten um die 20 Prozent droht die nächste Bundestagswahlpleite. Sozialpolitik ist kein SPD-Alleinstellungsmerkmal mehr. Als Konsequenz wird die Partei von allen Seiten angegriffen: Von ihren mageren 25,7 Prozent im Jahre 2013 würde heute nur knapp mehr als die Hälfte die SPD wiederwählen. Sie verliert an alle Lager: vornehmlich an Union und Grüne, aber auch an die Linke, FDP, sogar an die AfD. 25 Prozent ihrer damaligen sind inzwischen Nicht-Wähler. Die SPD, die früher die Stammwählerpartei schlechthin mit einem klaren Milieu war, ist heute die Partei mit der volatilsten Wählerschaft. Und den unklarsten Zukunftsperspektiven. Die SPD verkörpert weder das „Wollen“ noch das „Wir“. Schon gar nicht Klarheit, sondern politisches Lavieren: Rot-Rot-Grün statt Schwarz-Rot? Ein neuer Spitzenkandidat statt Gabriel? Die Linken links überholen? Mehr Mitte wagen?

Warum nicht ganz einfach die Vielzahl der Gründe dieses Absturzdesasters analysieren und kluge und ruhige Entscheidungen treffen? Weshalb nicht erst einmal feststellen, welche Wähler warum wohin gewechselt sind? Nachfolgend eine kurze Hilfestellung, die die Gründe und Richtung dieser Wählerflucht benennt:

„Sandwich“-Partei
Lange Zeit war die Partei konkurrenzlos im Mitte-Links-Spektrum. Dieser Raum ist nun entscheidend geschrumpft. Und wird von Alternativen nur so umzingelt: links von den wirklichen Systemveränderern der Linken, in der Mitte von der sozialdemokratisierten CDU. Bei den Jüngeren von Grün. Unter den Zukunftsverängstigten von der AfD.

Der Verlust der Parteiseele
Zwar reagierte Gerhard Schröder 2003 mit der Agenda 2010 richtig auf die damalige Wirtschaftskrise. Gleichzeitig aber zerstörte er die Bande zu den Gewerkschaften und machte so die Linke zur ernsthaften Konkurrenz der „Ich-will-so-bleiben-wie-ich-bin“-Wähler. Nicht von ungefähr zeigt seit 2004 die Kurve der Zukunftsverängstigten steil nach oben. Trotz immer besser werdender Wirtschaftsdaten.

Verschwindendes Wählermilieu
Arbeiterparteien werden heute nicht mehr benötigt, ganz einfach, weil es keine Arbeiter-Arbeit mehr gibt. Digitalisierung, Automatisierung und Informationstechnologie ersetzen Hammer, Schrauber, Werkbank. Und Roboter die Werktätigen. Die Arbeit splittet sich immer mehr auf in diejenige für hochqualifizierte und die für ungelernte Kräfte. Der einstige Arbeiterstolz auf die „ehrliche Arbeit“ ist durch Computer zunichte gemacht. Gleichzeitig ist eine irreversible Flexibilisierung in Gang, so dass ein starres „Weiter so“ keinen Zuspruch mehr findet. Diejenigen, die Veränderungen eher als Risiken statt neuer Chancen betrachten, sind mehrheitlich ins Lager der Linken oder der AfD gewechselt.

Die Krise der Volksparteien
Die SPD hat ihre Mitgliederzahlen halbiert. Lange Jahre lebte sie gut von ihrem sozialdemokratischen Ortsvereins-Organisationsgrad. Mit Gartenfesten, Stammtischen, Solidaritätsbezeugungen. Nun gibt es weniger Personal, weniger Freizeittreffs, weniger Junge. Ein Dinosaurier stirbt, die SPD bietet nur noch wenigen Genossen Heimat­ersatz – und treibt sie überproportional zu den Nichtwählern.

Die Kanzlerin
Zwar hat Angela Merkel viele Wähler im rechtskonservativen Lager vergrault und damit auch ihrer Union ein Nichtwähler-Problem beschwert. Dafür hat sie deutlich mehr Wähler in der sozialdemokratischen linken Mitte hinzugewonnen. Mitte-links ist es für die Genossen unangenehm eng geworden, wenn es nicht sogar zum CDU-Terrain gezählt werden muss. Und linksaußen kann die SPD als Regierungspartei nicht den Kampf mit den Linken aufnehmen.

Die Bürgersorgen
Lange Zeit war die SPD die Partei der Sorgen „kleiner Leute“: derjenigen, die Abstiegsängste umtrieb, die Empathie benötigten und soziale Sicherheit wählten. An deren Stelle ist nun vielerorts die „Man-wird-doch-noch-mal-sagen-dürfen“-AfD getreten. Gerade bei den „Warum-die-und-nicht-ich-Frustrierten“ verfängt diese Solidarisierung der Zurückgebliebenen außerhalb der Sozialdemokratie. Zumal bei vielen der Eindruck entsteht, für sie sei wenig, für die Flüchtlinge viel Geld da. In Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg hat die AfD die Genossen bereits überholt.

Das Toyota-Syndrom
Nichts ist unmöglich – besonders bei Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Obwohl im Bund halbwegs erfolgreich in der Koalition mit der Union, setzen nun viele auf ein Zusammengehen mit Grün/Links. Die SPD lässt keine Partei als Koalitionspartner aus. Wer SPD wählt, wählt eine große Wundertüte – und weiß nicht, ob eher rechte oder linke Politik dabei herauskommt. SPD wählen heißt Unsicherheit wählen – oder eben Nichtwählen ins Kalkül ziehen.

Die ständige Zerstrittenheit
Ohnehin sind Sozialdemokraten mit ihrer Mitredetradition schwer zu bändigen. Was derzeit aber innerparteilich um Kurs, Kandidat, Konzept und Koalition gestritten wird, lässt sie überall als planlos und zwistbewusst erscheinen. Doch gerade in einer Zeit, in der durch die Komplexität politischer Entscheidungen Argumente bedeutungsloser werden, ist Geschlossenheit gefragt – und Streit das sicherste Mittel, Wähler zu vergraulen.

Die Führung
So etwas gibt es nicht bei den Genossen: Kein Brandt, kein Schmidt, kein Schröder: „Mit dem ist die SPD gegen Merkel chancenlos!“, so ein häufiges Urteil über Parteichef Gabriel, obwohl der in den Jahren als Vizekanzler zum verantwortungsvollen Politiker gereift ist. Obwohl mitverantwortlich für das relativ hohe Regierungsansehen, hat er wenig Unterstützung, das Image als politaktuelle Windfahne hängt ihm nach: sprunghaft, unernst, schroff. So immer noch seine zumeist genannten Attribute. Und sonst? Steinmeier: Zwar hoch angesehen, aber Wahlverlierer 2009 und als Außenminister für staatstragende Worte, nicht aber für die Niederungen der Bürgersorgen im Inneren zuständig: Scholz? Lokale Größe! Schulz? Bundespolitisch ein leeres Blatt. Nahles? Gegen Merkel?! Kraft:? Klug genug, um nicht zu wollen. Nichts da und nichts in Sicht! Vor allem keiner, der die Wechselwähler zurück zur SPD lotst.

Bedauernswerte SPD also. Doch das muss nicht für alle Zeiten gelten. Chancen‚ eine „Hin zu“- statt „Weg von“-Partei zu werden, gibt es zuhauf. Vor allem mit einem Thema, das die Deutschen bewegt wie kein anderes und bei dem alle Parteien bislang Brachland hinterlassen: Sicherheit in der Zukunft! Selten waren Unsicherheit und persönliche Zukunftsängste größer als heute. Der überschaubare persönliche Schutzzeitraum ist von fünf Jahren auf sechs Monate geschrumpft. Und wer nach der Verantwortlichkeit für Lebenssicherheit fragt, bekommt als Antwort oftmals „der Zufall“ zu hören. Die Zukunft macht uns in Gestalt von Überalterung, Globalisierung, Finanzkrise, Migration, Digitalisierung etc. enorme Angst. Doch bislang wirft niemand den Rettungsanker.

Das wäre das wirkliche Megathema der deutschen Sozialdemokratie: Sicherheit im Wandel! Den Zusammenhalt der Bevölkerung stärken, Zukunftsängste abbauen. Verdeutlichen, dass Zukunft nicht nur Risiken, sondern vor allen Chancen bietet.