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Ein Jahr Trump-Show

Das erste Jahr des 45. US-Präsidenten steht für Zumutungen – und Erfolge. Während die Welt entsetzt ist, scheint die Mehrzahl seiner Anhänger zufrieden

Ansgar Graw01.02.2018

 

Er ist der Polemiker, der kaum noch überrascht, wenn er afrikanische Staaten und Haiti, mit einem massiven Einschlag ins Rassistische, als „Drecksloch-Länder“ verunglimpft. Aber auch der Deregulierer, der es sich als persönliches Verdienst anrechnet, dass die Arbeitslosigkeit in den USA rasant sinkt und Aktienkurse und Konjunkturzahlen steil nach oben klettern. Er hielt zu seinem Amtsantritt im Januar 2017 eine Rede, die erkennbar getragen war von den nationalistischen Endzeit-Phantasien seines damaligen Vordenkers Steve Bannon; jetzt, ein Jahr später, hat er seinen bereits zuvor aus dem Weißen Haus gefeuerten Chefstrategen ins publizistische Abseits befördert, weil er sich in seiner Eitelkeit von ihm verletzt sah. Wird der Präsident künftig kalkulierbarer? Bislang lautet der Befund eher: Im West Wing nichts Neues.

Konträre Wahrnehmungen
In Deutschland stößt man auf zwei verbreitete Fehlwahrnehmungen des Phänomens Donald J. Trump. Da sind die einen, die Amerika mit der deutschen Elle messen und aus einer Warte der amerikakritischen Arroganz oder des amerikafreundlichen Fremdschämens nicht nachvollziehen können, dass ein Mann mit diesem vulgären Benehmen, diesem Mangel an Wahrhaftigkeit und dieser Abgestumpftheit gegenüber moralischen Standards zum Präsidenten gewählt werden konnte. Und da sind die anderen, die, teilweise mit einer heimlichen Sympathie für Trumps Attacken gegen die offene Gesellschaft des Westens, erklären: „Die Amerikaner sind halt anders, die mögen solche Rebellen und Systemkritiker.“

In den USA gelten, soviel zur ersten Fehlwahrnehmung, gänzlich andere Standards als in Mitteleuropa, weil dieses Land viel stärker polarisiert ist als etwa Deutschland mit seiner im Zweifel immer wieder großkoalitionären Grundverortung. Doch dieser Befund darf nicht die zweite Fehlwahrnehmung als richtig erscheinen lassen. Denn nicht „die Amerikaner“ haben Trump ins Weiße Haus gewählt. Er ist der legitime Sieger demokratischer Wahlen. Aber seine Rivalin Hillary Clinton erhielt im November 2016 bekanntlich fast drei Millionen Stimmen mehr als er. Es war also nur ein (ausreichend großer) Teil Amerikas, der ihn wählte, und der unterlegene andere Teil denkt über den 45. Präsidenten der USA ähnlich ablehnend wie viele Europäer.

Mit einem Präsidenten Bush arrangierten sich irgendwann auch die Demokraten, und mit Obama die Republikaner: „Wir haben ihn nicht gewählt, aber, hey, er ist Präsident!“ Bei Trump ist das anders. Man ist für ihn oder sein entschiedener Gegner. Ein Drittes gibt es nicht. Im Dezember 2017 bescheinigten ihm Umfragen von Gallup und von CNN eine Zustimmungsrate von 35 Prozent. Kein anderer Präsident stand nach rund 330 Tagen im Weißen Haus so miserabel da. Obama, Vater und Sohn Bush, Clinton, Carter, Kennedy oder Nixon, alle lagen oberhalb von 50 Prozent, und Reagan, der später zu einem der populärsten Präsidenten werden sollte, erreichte mit 49 Prozent ebenfalls einen deutlich besseren wert.

Doch dann wiederum diese Zahlen: Laut Gallup waren Mitte Januar 2018 61 Prozent der republikanischen Wähler „zufrieden mit der Richtung“, die ihr Land nimmt – das ist der höchste Wert seit 2007 für die „Grand Old Party“ und hat viel mit der Steuerreform zu tun. Im Oktober lag der Republikaner-Wert nur bei 38 Prozent. Und mindestens ebenso wichtig: Die Zufriedenheit der wahlentscheidenden Unabhängigen stieg seit Oktober von 20 auf immerhin 31 Prozent.

Zufrieden mit der "Richtung" 
Während Touristen in Metropolen wie Washington oder Houston nach wie vor Amerikaner treffen können, die sich für die Wahl Trumps entschuldigen, werden sie bei Reisen ins Buchanan County im westlichen Virginia, nach Pennsylvania oder andere Regionen im mittleren Westen oder im Süden ein gänzlich anderes Amerika erleben. Da wurden alte Industrien wie Kohle und Stahl abgewickelt, und Trump erweckte den Anschein, für diese tatsächlich gesellschaftlich abgehängten „vergessenen Amerikaner“ kämpfen zu wollen. In diesen Milieus ist die Begeisterung für Trump heute kaum geringer, als sie 2016 im Wahlkampf war. 82 Prozent der Amerikaner, die angeben, im November 2016 für Trump gestimmt zu haben, würden >ihn nach einer Umfrage von Politico. com wiederwählen.

Nur sieben Prozent bedauern ihre Entscheidung. Zum Vergleich: Hillary Clinton würde nach dieser Umfrage von 78 Prozent ihrer Wähler erneut die Stimme bekommen, während acht Prozent ihr Bedauern äußern. Bei einem so knappen Ergebnis wie jenem von 2016, bei dem 77.000 Wähler in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania den Ausschlag für Trump gaben, zählt zwar jedes Promille. Aber wenn ihn nicht andere Faktoren ins Stolpern bringen, hat Trump derzeit reale Aussichten auf eine Wiederwahl. In den noch über zweieinhalb Jahren bis zur nächsten Wahl kann, in beide Richtungen, viel passieren, angefangen bei den mutmaßlich positiven Effekten der Steuersenkung.

Sie soll in den kommenden zehn Jahren rund 1,5 Billionen Dollar betragen und wird für die meisten Bürger erstmals im Frühjahr 2019 spürbar, wenn sie ihre Steuererklä- rungen für das laufende Jahr einreichen. Grob skizziert lassen sich diese beiden Amerikas unterscheiden: Trump rekrutiert seine Anhänger eher unter älteren Weißen mit niedrigerer Schulbildung, die vor allem auf dem Land und in „Suburbia“, den Vororten, wohnen. Schwach ist seine Basis in den Küstenstädten und in den Großstädten sowie bei den Menschen mit höherer Bildung.

Erfolg durch Deregulierung
Allerdings ist die Realität nicht so holzstichartig wie dieser Steckbrief. Interessant ist, dass Trump bei den weiblichen Wählern (42 Prozent) trotz seiner vulgären Sprüche und den (von ihm bestrittenen) Vorwürfen, mehrere Frau sexuell genötigt oder belästigt zu haben, nur unwesentlich schlechter abschnitt als vier Jahre zuvor Mitt Romney (44 Prozent). Und bei den Hispanics (29 Prozent) kam Trump gar auf ein besseres Ergebnis als Romney (27 Prozent), obwohl er im Wahlkampf alle Zuwanderer indirekt in die Nähe der Kriminalität rückte Dass Trumps Anhängerschaft ein Jahr nach dem Amtsantritt noch so weitgehend geschlossen hinter dem Präsidenten steht, ist vor allem seiner Politik der Deregulierung zu verdanken.

Der Präsident hat rund 900 Auflagen gestrichen und aufgehoben, die unter seinem Vorgänger Barack Obama erlassen worden waren. Das betraf beispielsweise die Umweltschutzbehörde EPA, eines der Prestigeprojekte der vorherigen Regierung. An ihre Spitze setzte er mit Scott Pruitt einen republikanischen Juristen, der EPA zuvor dreizehnmal verklagt Forum und frühzeitig den Ausstieg aus dem Paris Klimaabkommen gefordert hatte. Dabei ist nicht jede Kritik an der Behörde unberechtigt. Obama hatte erst im Dezember 2016 die „Stream Protection Rule“ verschärfen und dadurch die Reinheitsstandards für Flüsse so hoch ansetzen lassen, dass der Kohletagebau wegen der unvermeidlichen Kotamination von Flusswasser mit Abraum praktisch gestoppt wurde.

Morgan Griffith, republikanischer Kongressabgeordnete aus der Buchanan-Region, ließ daraufhin in Tests nachweisen, dass renommierte europäische Tafelwasser wie Perrier, Evian und Pellegrino die Reinheitsauflagen der EPA nicht erfüllten, während Virginias James River die Hürde überraschend nahm. Trump strich diese Umweltauflage neben mindestens 30 weiteren. Im Dezember gab es weltweite Empö- rung darüber, als Trump das Territorium zweier nationaler Monumente in Utah, die von fünf indianischen Stämmen als heilig angesehen werden, um 85 Prozent reduzierte – von über einer halben Million Hektar auf 81.000 Hektar. Das betraf insbesondere Bears Ears in Utah.

Allerdings hatte erst Obama nicht einmal ein Jahr zuvor dieses Gebiet per Präsidialerklärung zum National Monument erklärt. In den fast acht vorangegangenen Jahren seiner Amtszeit sah Obama also ebenso wenig Notwendigkeit für den Schutz dieser beeindruckenden Felsformationen und archäologischen Fundstellen wie die Präsidenten vor ihm.

Künftige Projekte
Eines der Wahlkampfversprechen von Trump lautete, er werde nach „Obamas Krieg gegen Kohle“ diesen Energieträger wieder stärken. Doch hier kann der Präsident trotz seiner Einschnitte in den Umweltschutz keine Erfolge vorweisen: Erdgas ist dank moderner Frackingtechnologien wesentlich preiswerter zu fördern und mit einem viel geringeren Einsatz an Arbeitskräften. Darum sind seit Trumps Wahl Kohle-Aktien im Wert weiter geschrumpft, während der Dow Jones um über 27 Prozent stieg und die Marke von 25.000 Punkten überschritten hat. Ein Lieblingsprojekt Trumps bleibt der Bau einer Mauer entlang der Grenze zu Mexiko. Der Kongress verweigert die Finanzierung, und in Europa wird die Mauer oft von jenen Zeitgenossen verdammt, denen die Schließung der Balkanroute und das Flüchtlingsabkommen mit dem autokratischen Erdogan-Regime gar nicht schnell genug kommen konnte.

Zudem wird Trumps Plan gern verglichen mit der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze. Dabei ist der Unterschied offenkundig: Die SED-Regierung hinderte im Widerspruch zu den universalen Menschenrechten ihre Bürger daran, ein diktatorisch regiertes Land zu verlassen. Trump hingegen will die illegale Einreise in die USA durch die zusätzliche Härtung einer völkerrechtlich von allen Seiten anerkannten Grenze verhindern. Unmoralisch ist der Mauerbau also nicht, auch wenn der Autor dieses Milliardenprojekt volkswirtschaftlich für aberwitzig hält.

Denn die meisten illegalen Einwanderer in den USA kommen nicht in sternendunkler Nacht durch den Rio Grande oder die Wüste von Arizona, sondern sie reisen mit einem regulären Visum und missachten dann die Ausreisepflicht nach Ende der zugebilligten Aufenthaltsdauer. Nach Angaben des US-Heimatschutzministeriums gingen die illegalen Einreisen unter Trump um rund 40 Prozent zurück, offenkundig wegen der Debatte um die Mauer und einer strikteren Abschiebepraxis. Auf diesem Gebiet erzielt der Präsident also deutliche Erfolge, obwohl ihm sein Projekt verwehrt bleibt.

Ein wichtiger Grund für Trumps Wahlsieg war seine Kritik an der Political Correctness. Sie feiert vor allem an amerikanischen Universitäten fröhliche Urstände, wo harmlose Maskeraden zu Halloween etwa als Mexikaner unter Rassismus-Verdacht gestellt werden. Obama sprach sich mehrfach gegen politisch-korrekte Diskussionsverbote aus, aber gab ihnen mitunter doch nach und vermied Begriffe wie „islamischer Terrorismus“ oder „islamistischer Terrorismus“. Trump sprach sich nicht nur gegen PC aus, sondern verfolgte einen noch dümmeren Gegenentwurf, indem er alle Muslime unter Terrorverdacht stellte und im Wahlkampf ein generelles Einreiseverbot für Muslime forderte.

Amerikanische Gerichte wiesen ein gleich nach der Amtsübernahme ausgearbeitetes Gesetz, das die Einreise von Menschen aus verschiedenen mehrheitlich muslimischen Ländern unterbinden sollte, mehrfach zurück. Seit die Administration auch Nordkorea und Offizielle aus Venezuela auf die Liste setzte, ist es in einer entschärften Variante gültig. Natürlich ist die Pauschalisierung und Generalisierung von Vorwürfen gegen Muslime oder gegen angebliche „Shithole- Countries“ (die deutsche Übersetzung „Drecksloch-Länder“ ist übrigens nicht so akkurat wie etwa die französische Entsprechung „pays de merde“) kein überzeugender Beitrag gegen angebliche oder tatsächliche Denkverbote.

Aber um Feinheiten ging es Trump nie, der in seinem Vorleben als Bauunternehmer mit Vertretern von Mafia-Familien zusammen arbeitete und sich beim Betrieb seiner (dennoch in den Konkurs gerutschten) Casinos auf verurteilte KokainHändler stützte. Zurück zur Eingangsfrage: Wird Trump, der die Verbindungen zu seinem „Alt-Right“-Berater Steve Bannon abgebrochen hat, vom zweiten Jahr seiner Präsidentschaft an kalkulierbarer, präsidialer, vernünftiger? Wenig spricht dafür. „Trump verrückt die Welt“, dieser Befund bleibt, auch wenn der Präsident das Atomabkommen mit dem Iran zunächst mit einer Art letztem Ultimatum bis Mai verlängert hat und gegenüber Nordkorea zwischendurch erstaunlich moderate Töne anschlägt.

Ausblick
Trump kann in drei Jahren wiedergewählt werden, aber auch krachend verlieren – falls ihn nicht schon zuvor seine Skandale oder die Gesundheit zu Fall bringen. Die Russland-Untersuchungen gehen weiter, und die ständigen „Hexenjagd“-Behauptungen des Bedrängten ändern nichts an den inzwischen gesammelten Erkenntnissen, dass engste Berater und Angehö- rige im Wahlkampf versucht haben, mit Moskauer Emissären zu kooperieren, um belastendes Material über Hillary Clinton zu erhalten. Allerdings: Für ein Amtsenthebungsverfahren, das stets ein politisches und nicht ein juristisches ist, reichen diese Enthüllungen nicht, und seine Anhänger stören sich nicht daran. Trump werde Amerika wieder groß machen, glauben sie weiterhin in Zeiten, in denen das Vertrauen der NATO-Verbündeten in die westliche Führungsmacht sinkt und in den USA ernsthaft diskutiert werden, ob Oprah Winfrey 2020 als Präsidentschaftskandidatin zur Hoffnung der Demokraten werden kann. Die Politik als große Show foto: im land of the free.

Ansgar Graw
Ansgar Graw ist Chefreporter der Welt-Gruppe und war von 2009 bis 2017 deren Senior Political Correspondent in Washington. 2017 erschien von ihm "Trump verrückt die Welt" (Herbig). welt.de