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Geankert im Kaukasus

Forum - Geankert im Kaukasus
Wer sich in die Berge wagt, braucht Beistand von oben: Kirche am Fuße des Kaukasusgebirges © Adobe Stock (2) Oleksandr Kotenko, Dexdrax

Verleger, Gastronom, Reiseleiter: Der Unternehmer Rainer Kaufmann hat sich in Georgien ein kleines Imperium geschaffen.

Dietmar Schumann01.02.2024

Nach drei Wochen mit Rainer Kaufmann durch Georgien schwirrt mir der Kopf. Dieser Mann ist ein wandelndes Georgien-Lexikon. Er weiß alles über das kleine Land im Kaukasus. Über seine Berge, Kirchen und Friedhöfe, seine Weine, über seine Geschichte und Kriege, über die Kämpfe seiner Eliten und den Einfluss fremder Mächte. Er würzt seine Berichte mit zahlreichen Anekdoten. Über Eduard Schewardnadse und Michail Saakaschwili zum Beispiel. Die gescheiterten ehemaligen Hoffnungsträger Georgiens, die er persönlich erlebte. Denn Rainer Kaufmann ist gelernter Journalist. Ich hatte ihn kennengelernt im Jahr 2001, als ich für das ZDF in Georgien unterwegs war. Ich suchte einen zuverlässigen Informanten und Producer. Einen, der Bescheid weiß über die Zustände im Land und auch TVDreharbeiten organisieren kann, und ich hatte Glück. Ich fand Rainer Kaufmann.

Durch Zufall nach Georgien gekommen

Dass es den Mann, der vor 73 Jahren in Bruchsal zur Welt kam, einmal aus dem Badischen in den Kaukasus verschlagen würde, war reiner Zufall. Nach Abitur und Bundeswehr hatte Kaufmann 1973 ein Volontariat bei den Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe begonnen. Ein Jahr darauf war er zum Südwestfunk nach Baden-Baden gewechselt. Bis 1980 arbeitete er dort als Fernsehredakteur, machte Berichte für das Regionalprogramm und die Tagesschau. Dann nahm sein beruflicher Werdegang eine jähe Wende. Aus dem Journalisten Kaufmann wurde der Unternehmer Kaufmann. Er stieg in die Firma seines Schwiegervaters ein, die aus Baumrinde wertvolle Humus-Produkte erzeugte und in alle Welt verkaufte. Jahresumsatz: zehn Millionen D-Mark. Rainer Kaufmann nannte sich jetzt Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb. Das blieb er bis 1989, bis der Schwiegervater die Firma verkaufte.

Mit dem Verkaufserlös bot sich für Rainer Kaufmann die Chance, etwas völlig Neues zu beginnen. Die zweite jähe Wende in Kaufmanns Berufsleben: Aus dem Humus-Händler wurde ein Reiseunternehmer. Dass ihn der Weg dabei aus Bruchsal in Baden-Württemberg nach Tiflis in Georgien führen würde, hat er einem günstigen Umstand zu verdanken. Im Jahr 1989, die Sowjetunion existierte noch, vereinbarten zwei Schulen in Bruchsal und Tiflis einen Schüleraustausch. Über Weihnachten 1989 sollten zum ersten Mal Bruchsaler Schüler nach Georgien reisen. Als ein Begleiter gesucht wurde, meldete sich Rainer Kaufmann. So kam er zum ersten Mal nach Georgien. Beim Gegenbesuch betreute er die georgischen Kinder in Bruchsal. Schon im August 1990 reiste Kaufmann wieder nach Georgien. Die Schuldirektorin Nino Ramischwili zeigte ihm das ganze Land. Kachetien mit seinen Weinfeldern, das archaische Swanetien im Großen Kaukasus, die Industriestadt Kutaissi und den Badeort Batumi am Schwarzen Meer. In den politischen Wirren am Ende der Sowjetzeit kamen kaum noch Touristen nach Georgien. Die Industrie brach zusammen, die Kolchosen lösten sich auf, Bürgerkrieg drohte.

2024, Geankert im Kaukasus,
Rainer Kaufmann bei einer Stadtführung in Tiflis, 2023

Rainer Kaufmann hatte eine Idee: Wenn das Land einigermaßen zur Ruhe kommt, müsste man wieder deutsche Urlauber nach Georgien bringen, Bildungsreisende vor allem. Georgische Deutschlehrer, die nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Bildungssystems schlecht oder gar nichts verdienten, könnte man als Dolmetscher und Reiseleiter engagieren. Diese Idee setzte Rainer Kaufmann 1993 in die Tat um. Er gründete ein Reisebüro, nannte es Erka Reisen, und brachte die ersten zehn Touristen aus Deutschland nach Georgien. Sie übernachteten bei Familien, fuhren auf kaputten Straßen mit alten Ladas in die Berge und in die Weinregion.

Kaufmanns kleines Imperium

Immerhin, der Anfang war gemacht. Kaufmann plante weiter: Hotels waren vor 30 Jahren rar in Tiflis. Also kaufte der Reiseunternehmer zwei Wohnungen in der Altstadt, um seine Gäste unterzubringen. 1998 gründete er das Hotel Kartli mit neun Zimmern. Die nächste Idee: Seine Touristen wollen frühstücken, vielleicht nach langen Touren durchs Land auch ein Abendessen genießen, ergo: Ein eigenes Restaurant wäre die Lösung. Im Jahr 2000 wurde „Rainers Café“ eröffnet. Ein Lokal mit Biergarten und georgischer, deutscher sowie italienischer Küche. Es wurde schnell ein angesagter Treffpunkt für ausländische Touristen und Handelsreisende in Tiflis. Die „Supras“, die georgischen Festtafeln der Köchin Rima, sind Legende. Für deutsche Gäste liegt die Kaukasische Post aus, die einzige deutschsprachige Zeitung im Kaukasus. Sie erscheint sechsmal im Jahr und wird verantwortet von Rainer Kaufmann und Götz-Martin Rosin, einem deutschen Journalisten, der in Tiflis ansässig ist.

Es ist inzwischen ein kleines Imperium, welches der Mann aus Bruchsal in Georgien geschaffen hat. Reisebüro, Incoming-Agentur, Hotel, Restaurant, Verlag. Alles aus eigener Kraft, mit eigenem Geld, mit 20 georgischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und seiner Frau Gabriele im Hintergrund, die aus Bruchsal das Finanzielle regelt. Mit seinen 73 Jahren begleitet Rainer Kaufmann noch etliche seiner Reisegruppen selbst durchs Land. Beinahe wären seine Unternehmen durch die Coronapandemie zu Bruch gegangen. 2021/22 kamen keine Touristen nach Georgien, keine Gäste ins Restaurant, das Hotel stand leer. Kaufmanns Imperium hat nur überlebt durch die Hilfe der Evangelischen Kirchengemeinde Eppelheim. Die sammelte Spenden ein für arme und alleinstehende Georgier, insgesamt 70.000 Euro. In den zwei Coronajahren konnte damit jeden Tag in Rainers Café ein warmes Mittagessen für 50 bedürftige Einwohner von Tiflis gekocht werden. Eine Win-win-Situation. Armen Menschen wurde geholfen, und Kaufmann musste seine Belegschaft nicht entlassen. Inzwischen hat sich die Situation entspannt. Restaurant und Hotel sind wieder voller Gäste. Waren mit Erka Reisen vor Corona im Jahr etwa 300 Touristen aus Deutschland nach Georgien gekommen, so waren es 2023 immerhin wieder 30. Rainer Kaufmann ist optimistisch.

Chancen für georgischen Mittelstand 

Er rechnet für die nächsten Jahre mit einem kräftigen Wachstum der Tourismusindustrie in Georgien. Das Land habe sehr viel zu bieten, sagt Kaufmann. Hochgebirge, Badeorte, Weinanbau, interessante Städte, reichhaltige Geschichte und Kultur. Das Preis-Leistungs-Verhältnis sei sehr gut. Es biete auch Sicherheit und Stabilität in einem konfliktgeladenen Umfeld. Rainer Kaufmann will dennoch nicht in den Massentourismus investieren. Nur eine tiefgreifende Änderung wird es demnächst in Kaufmanns Firmen geben. Der 73-Jährige wird sie an zwei georgische Mitarbeiterinnen übergeben und damit auch einen kleinen Beitrag leisten zum Aufbau eines gesunden mittelständischen Unternehmertums im Land. Er selbst will aber noch als Reiseleiter weiterhin aktiv sein.