Rotary Aktuell
Leuchtende Kinderaugen im Fabelwald
Um ein KidsCamp zu organisieren, bedarf es Verantwortungsbewusstsein, genauer Planung und Muskelkraft. Rotaract stellt sich jedes Jahr dieser Herausforderung. Wir waren in Haltern am See dabei und haben erlebt, wie ein solches Camp aufgebaut und sozial benachteiligte Kinder zum Strahlen gebracht werden.
"Wer sind wir? Fabelwesen! Wo sind wir? KidsCamp! Zicke, zacke, zicke, zacke, heu, heu, heu!“ So laut sie können, schreien 67 Kinder die Antworten über den Zeltplatz. Die Lautstärke unterstreicht ihre Freude auf die bevorstehende Woche im Fabelwald. Dieser befindet sich in Haltern am See, genauer gesagt nahe der Jugendbildungsstätte Gilwell Sankt Ludger. Die Kinder stehen gerade im Halbkreis vor dem großen Essenszelt, welches wiederum mittig zwischen vielen weiteren Zelten platziert ist. Das lautstarke FrageAntwort-Spiel wird die kommenden Tage ein festes Ritual zwischen Betreuern und Kindern auf dem KidsCamp des Distrikts 1870. Dort, wo jetzt 15 Zelte stehen, war einen Tag zuvor noch nichts von einem KidsCamp erkennbar.
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24 Stunden für den Aufbau
Es ist Montagmorgen, neun Uhr. Nach und nach kommen immer mehr Helfer zur Georgshütte, die sich auf dem Gelände der Jugendbildungsstätte befindet. Auf dem Zeltplatz vor der Hütte soll innerhalb eines Tages ein KidsCamp entstehen. 24 Stunden später werden mehr als 60 Kinder hier herumtoben. Doch noch deutet nichts darauf hin. Schnell zeigt sich, dass die Helfer, fast alle sind Mitglied in einem Rotaract Club, ein eingespieltes Team sind. Aus einem Lkw sowie einem Sprinter werden Zelte und Kisten entladen. Jeder Handgriff sitzt, der Aufbau verläuft bestens koordiniert. Nur eine Stunde später blickt Jakob Camp zufrieden umher. „Alle Zelte stehen. Nun müssen wir die Feldbetten aufbauen und in die Zelte stellen“, erklärt er. Jakob ist Leiter des KidsCamps und profitiert wie viele seiner Mitstreiter von seiner langjährigen Erfahrung.
Derweil ertönt die Stimme eines Helfers: „Ich bekomme das nicht auseinandergeklappt.“ Sofort eilt Sven Ortwein hin und gemeinsam kriegen sie das Bett aufgeklappt. Sven hat Übung darin, er weiß, wie mit Geschick und Muskelkraft die Feldbetten aufgestellt werden. Schon die Woche zuvor hatte er als Betreuer an einem KidsCamp teilgenommen. Er steuerte den Lkw, in dem sich das meiste Equipment für das Zeltlager befand, von Clausthal-Zellerfeld über Hamm nach Haltern am See. Als ausgebildeter Notfallsanitäter besitzt er einen C1-Führerschein und darf Lkw dieser Größe steuern.
Decken und Wärmflaschen
Aus Boxen erklingt plötzlich das Lied Bilder im Kopf des deutschen Rappers Sido. Benedikt Hauswirth hat die Musikanlage angeschmissen. Der Rotaracter vom RC Duisburg-Niederrhein wird die kommende Woche die Hauptverantwortung für das Materialzelt tragen. Darin steht auch die Musikanlage samt Mikrofon. Decken, Wärmflaschen, Verlängerungskabel, Werkzeug und viele Spielsachen – fast alles, was gebraucht werden könnte, ist vorhanden. „Wir haben sogar ein Bobbycar da“, sagt Benedikt lachend und deutet in die Ecke. „Ach ja“, ergänzt er, „wenn das Klo verstopft ist, dann ist das auch meine Aufgabe.“
Derweil blickt Jakob Camp auf den Lageplan. „Der Check-in kommt da vorne hin“, erklärt er seinen Mitstreitern. „Das Zelt, in dem wir die Coronatests durchführen, steht dann passend daneben.“ Jedes Kind, das am darauffolgenden Tag ankommt, soll zunächst getestet werden.
Ein Sprinter fährt auf das Gelände. „Da kommt das Essenszelt“, ruft Johannes Kirk. Der Rotaracter ist Mitglied im Orga-Team und so etwas wie die rechte Hand von Jakob. Das Essenszelt ist nicht nur das größte Zelt des Lagers, es ist zugleich das einzige, das die Helfer nicht selbst aufstellen müssen. Es wird geliefert und auch gleich aufgebaut.
Doch Zeit zum Zurücklehnen gibt es nicht. Wer holt jetzt den Grill ab? Wer fährt Gasflasche und Ersatzkleidung für die Kinder kaufen? Zu tun gibt es noch genug. „Ich kaufe mit Katharina die Kleidung und besorge eine Gasflasche“, erklärt Benedikt, und wenige Minuten später sitzt er mit Katharina Gollor vom Rotaract Club Münster in seinem Auto. Ein anderes Team startet zum Abholen des Grills.
Belastende Woche steht bevor
Es ist bereits 22 Uhr, als endlich alle Arbeiten erledigt sind und die Helfer sich in der Georgshütte zur finalen Besprechung vor dem Start des KidsCamps treffen. 31 an der Zahl sitzen im Stuhlkreis zusammen. „Bitte achtet auf das Vier-AugenPrinzip“, mahnt Jakob Camp. Kein Helfer solle allein mit einem oder mehreren Kindern sein.“ Zugleich sei es nicht gestattet, die Kinder zu fragen, woher sie kommen. „Erzählt bitte auch nicht, woher ihr seid.“ Niemand solle nach dem Camp noch Kontakt zu einem oder mehreren Kindern halten. Nachfolgend werden alle wichtigen Rechtsfragen geklärt.
Explizit weist das zehnköpfige Orga-Team die weiteren Helfer darauf hin, dass eine anstrengende und belastende Woche vor ihnen steht. „Bitte gebt früh Bescheid, wenn ihr eine Pause braucht und Ersatz für euch organisiert werden muss“, bittet Johannes Kirk die Mitstreiter.
Man solle offen sagen, wenn es einem selbst nicht gut gehe. „Das ist kein Zeichen von Schwäche.“ Habe ein Kind andauerndes Heimweh, solle man sich zuerst an Carina Bohle wenden. Die Rotaracterin ist im Orga-Team diesbezüglich Expertin. Mit dem Hinweis, dass um 7.30 Uhr alle geweckt werden, wird die Besprechung beendet.
„Hier ist mein Führungszeugnis.“ Mit einem Lächeln reicht Philipp Pawlowski es Julia Kipp herüber. Der Rotarier vom RC Bottrop-Wittringen steht am nachfolgenden Vormittag am Check-in des Kids Camps. „Das Führungszeugnis darf nicht älter als drei Monate sein“, erklärt Kipp. Ohne solch ein Zeugnis dürfe man keinen Kontakt zu fremden Kindern haben. Die Kinder, die Pawlowski vorbeibrachte, wurden ihm über eine Kirchengemeinde vermittelt.
Rotarier bringen die Kinder
Es ist inzwischen zur Tradition geworden, dass Rotarier die Kinder vorbeibringen. So wird neben der finanziellen Unterstützung der KidsCamps eine weitere Brücke zwischen Rotary und Rotaract geschlagen. „Es ist super, so viele junge, engagierte Nachfolger hier zu sehen“, sagt Pawlowski. Er selbst war früher Rotaracter und hatte einst das Camp mitbegründet. „Über die Jahre sieht man auch tolle Entwicklungen bei Kindern, die mehrmals hier waren.“ Die Begeisterung teilt wenig später auch Martin Jepkens, Past-Präsident vom RC Recklinghausen. „Ich wurde angeschrieben, ob ich nicht Kinder abholen und zum Camp fahren könnte. Da habe ich sofort zugesagt.“
Nach und nach füllt sich der Zeltplatz, der Lärmpegel steigt – strahlende Kinderaugen, lautes Lachen und in fast jeder Ecke ein glückliches Kind. Alle Kinder mussten zuvor nach dem Check-in, bei dem neben dem Führungszeugnis die Einverständniserklärung der Eltern und das Vorhandensein der Krankenkarte geprüft wird, ins Testzelt. Dort sitzen gerade Rousmaisa und Fadoua ungeduldig auf einer Sitzbank. Sie haben gerade den Coronatest hinter sich und müssen nun 15 Minuten auf das Ergebnis warten. Nur bei einem negativen Test dürfen sie am KidsCamp teilnehmen. Dann die erlösende Nachricht: Sie dürfen dabei sein, auf zur dritten Station. Dort erhalten sie ein T-Shirt, einen Button mit ihrem Namen sowie ein Bändchen, das die Zugehörigkeit zu ihrem Schlafzelt signalisiert.
Noch wichtiger: Sie erfahren, ob sie ein Elf, Drache, Werwolf oder Zwerg sind. Denn im Fabelwald sind die Kinder in diese vier Gruppen eingeteilt und je Gruppe gibt es zwei Schlafzelte, aufgeteilt nach Mädchen und Jungen.
Von Heimweh keine Spur
Am Mittag kommt die erlösende Nachricht: Alle Kinder wurden negativ getestet und sind nun auf dem Zeltplatz angekommen. Sie genießen ihren ersten Tag im KidsCamp in vollen Zügen. Ob beim Fußball, Tischtennis, Menschenkicker, beim Flaggenbasteln oder beim Kristallezüchten, der Spaß ist allen anzusehen. Das Spielangebot ist so groß, dass jedes Kind sofort eine Beschäftigung und Spielkameraden findet. Von Heimweh kann in den ersten Stunden keine Rede sein. Die Kinder haben genauso Spaß wie die Betreuer, denen die Anstrengung noch nicht anzusehen ist. Und dies, obwohl schon viel Vorbereitungsarbeit hinter ihnen liegt.
Die Kinder lernen am Nachmittag dann spielerisch das gesamte Areal kennen. Bei der Geländerallye mit insgesamt acht Stationen sind für die Zeltgruppen nicht nur Geschicklichkeit beim Werfen und Kletterkünste gefragt. Die Kinder erfahren auch, wo sie bei Verletzungen hinmüssen, wann sie sich wo für Essen anstellen sollen und welche Spielsachen sie sich im Materialzelt ausleihen können. „Passt bitte beim Essen und Trinken auf. Es gibt in diesem Jahr viele Wespen“, mahnt Carina Bohle an der Erste-Hilfe-Station. „Wenn ihr gestochen worden seid, kommt bitte gleich mit eurem Zeltbetreuer zu mir.“
Ebenfalls vertraut gemacht werden die Kinder mit den Regeln, die die gesamte Woche im Camp gelten: Nicht beleidigen! Nicht schubsen! Nicht die Absperrbänder missachten! Das sind nur einige der Bestimmungen, die die Kinder nun von Jakob Camp lernen.
Nachdem alle die Stationen durchlaufen und geduscht haben – dies war auch eine Station der Rallye –, gibt es Abendbrot. Damit neigt sich der erste Camptag für die Kinder dem Ende entgegen. Dem Betreuerteam ist es gelungen, mit viel Kreativität allen Kindern eine schöne Ankunft zu bescheren, die Geborgenheit und Sicherheit vermittelt hat. Der Grundstein für eine spannende und abwechslungsreiche Campwoche im Fabelwald als Drache, Elf, Werwolf oder Zwerg ist damit gelegt. Die Vorfreude auf das, was noch kommen wird, steht den Kindern ins Gesicht geschrieben.
Warum bist du als Helfer beim Kidscamp aktiv?
"Bei Rotaract hörte ich von dem KidsCamp und entschied mich gleich, dabei zu sein. Während bei mir Urlaub immer selbstverständlich war, ist er es für die Kinder hier nicht. Das Camp ist eine coole Aktion, die Arbeit mitunter aber auch sehr belastend."
"Das KidsCamp ist die schönste Sozialaktion, die Rotaract zu bieten hat. Hier sieht man gleich, dass man was Gutes tut. Es beeindruckt mich, wie groß der Gemütsunterschied bei den Kindern zwischen dem Kommen und dem Gehen ist."
"Hier im KidsCamp lerne ich enorm viel im Umgang mit Kindern, gerade auch auf psychosozialer Ebene. Zudem verbindet das Camp auf wunderbare Art und Weise das Rotaract-Motto „Lernen, helfen, feiern“.
Zunächst hatte ich großen Respekt, auf so viele Kinder aufzupassen. Aber es macht viel Spaß, alle Helfer unterstützen sich gegenseitig, und das KidsCamp zeigt, was Rotaract alles auf die Beine stellen kann.
5 Fragen an den Leiter des KidsCamps
Dein wievieltes KidsCamp ist es?
Mein fünftes Camp mit Zeltlager. 2021 war ich dann zum ersten Mal Leiter, und in dieser Funktion bin ich dieses Jahr wieder tätig.
Kannst du uns deine Aufgaben als Leiter beschreiben?
In der Vorbereitungszeit ist es meine Aufgabe, darauf zu achten, dass das Organisationsteam seinen Aufgaben nachkommt, nicht einzelne Gruppen aneinander vorbeiarbeiten und wir uns regelmäßig treffen und austauschen. Ich verantworte keinen einzelnen Teilbereich, sondern muss den Überblick behalten und helfe, wo es nötig ist. Auch wenn wir die wesentlichen Entscheidungen während der Campwoche als Orga-Team insgesamt treffen, steht am Ende mein Name darunter.
Wie viel Vorbereitungszeit steckt in einem KidsCamp?
Die Bildung des Orga-Teams hat schon während des vergangenen Camps begonnen. Im November gab es dann vom Verein Urlaubskinder ein Treffen, wo alle Orga-Teams der KidsCamps aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengekommen sind. Dort gab es Workshops. Die richtige Planung begann dann ab Januar.
Vor dieser KidsCamp-Woche hier in Haltern am See hattet ihr noch ein Vorbereitungswochenende, richtig?
Ja, genau. Das hatten wir Anfang Mai gemacht. Da wurden Grundlagen der Gruppenpädagogik, Rechtsfragen und mögliche Notsituationen mit allen Betreuern besprochen. Zugleich dient das Wochenende dazu, dass das Orga-Team alle weiteren Helfer vorab kennenlernt und danach auch einschätzen kann. Die vergangenen zwei Jahre hatten wir es online gemacht. Das Wochenende in Präsenz in diesem Jahr war dazu ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Findet dort die Einteilung statt, wer in welchem Bereich arbeitet?
Die grundsätzliche Einteilung findet schon vorher statt. Wenn man sich als Helfer für das Camp anmeldet, kann man schon den Bereich angeben, in dem man arbeiten möchte. Die finale Zeltbetreuereinteilung hatten wir vor ein, zwei Wochen geklärt. Wir hatten eine kurzfristige Absage und mussten Ersatz organisieren.
Copyright: Andreas Fischer
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