Standpunkt
Lohnt das denn noch?
Jan Mittelstaedt fragt, inwiefern sich die Aufnahme eines Clubmitglieds trotz Wegzug-Gefahr lohnt.
So manches Mitglied kennt nur den eigenen Club und hat noch nicht einmal ein Meeting des Nachbarclubs derselben Stadt besucht. Solange diese Innensicht niemandem schadet, ist das nur eine ungenutzte Chance – bedauerlich, aber nur für dieses Mitglied. Aber ein Nein als Antwort auf die Frage, ob potenzielle Mitglieder noch aufgenommen werden sollten, obwohl absehbar ist, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft wegziehen, ist mehr als nur schade: Es ist schädlich. Und es ist mir in meinen 17 Jahren Mitgliedschaft überall begegnet: in Rotary und Rotaract Clubs, bei der Distriktarbeit, im Deutschen Governorrat und auch auf internationaler Ebene. Dabei betrifft es häufig – aber keineswegs ausschließlich – Rotaracterinnen und Rotaracter, die sich entweder noch im Studium oder zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn befinden und Kandidaten für lokale Rotary Clubs sind. Gerade in Hochschulstädten herrscht nicht selten eine chronische Unterversorgung an Mitgliedsmöglichkeiten, was an einer zu geringen Anzahl an Rotary Clubs im Verhältnis zur Größe der Stadt liegt.
Verbindungen gehen verloren
Glauben Sie nicht? Dann rechnen Sie einmal die Einwohnerzahl Ihrer Stadt geteilt durch 30.000. Dann haben Sie die Anzahl an Rotary Clubs, die bei Ihnen ohne jeden „Qualitätsverlust“ (was immer das sein soll) koexistieren könnten. Dieses Verhältnis ist sogar konservativ gerechnet. Rotary International geht eher von 3000 : 1 aus, jedoch bei einer durchschnittlichen Clubgröße von 30 Mitgliedern. Keine Rolle spielt bei dieser Betrachtung übrigens, wie viele andere Serviceclubs es in derselben Stadt noch gibt, denn das ist bei diesem Quotienten bereits eingepreist. Viele Rotaract-Mitglieder bauen in ihrer Stadt gute Beziehungen zu den örtlichen Rotary Clubs auf. Zieht also ein Rotaract-Mitglied nach dem Studium weg, ohne zuvor Rotarierin oder Rotarier geworden zu sein, so sind die Verbindungen meist verloren. Die Wahrscheinlichkeit ist dann hoch, dass aus diesem engagierten Menschen, der sich bestens auskennt in der Welt von Rotary, keine Rotarierin oder Rotarier wird.
Durch die Lappen gegangen
Zurück zur Frage nach der Aufnahme trotz Wegzug-Gefahr: Als Antwort habe ich immer wieder eine Gegenfrage gehört: Lohnt das denn noch? Übersetzt bedeutet das: Es bringt dem Club ja nichts, wenn er ein Mitglied neu aufnimmt, das bald nach der Eingewöhnung wieder wegzieht. Interessanterweise sind es nicht nur eingangs erwähnte „Tellerrand-Rotarier“, die so denken. Auch manch international erfahrenes Mitglied hat sich mir gegenüber schon so geäußert. Aber was ich nie gehört habe, ist die Gegenfrage: Warum könnte eine Aufnahme für das potenzielle Mitglied wichtig sein? Dabei liegt die Antwort auf der Hand: Wer einmal die Nadel am Revers trägt, muss beim Besuch in anderen Clubs viel niedrigere Einstiegshürden überwinden. Doch wie zuvor erwähnt: Die Frage nach dem Wohl des potenziellen Mitglieds stellt kaum jemand. Diese Haltung schadet nicht nur dem einzelnen potenziellen Mitglied, sondern auch Rotary insgesamt. Denn wir können nur erahnen, wie viele Menschen uns bereits durch die Lappen gegangen sind, bloß weil sie dem aufnehmenden Club keine langfristige Mitgliedschaft garantieren konnten. Das ist in Summe ein kleiner Skandal, da wir uns durch diese Haltung einer Wachstumschance berauben, die beides ist: quantitativ und qualitativ.
Gerade bei den Rotaract-Mitgliedern, die wir nicht aufnehmen, weil sie nach ihrem Studium bestimmt ohnehin wegziehen, entgehen unserer Gemeinschaft rotarische High Potentials. Deshalb sollte die Antwort nicht lauten, dass wir ein potenzielles Mitglied trotz der Gefahr eines baldigen Wegzugs aufnehmen, sondern eben deswegen. Denn dann handeln wir zum Wohl aller Beteiligten: des Mitglieds, Rotarys und damit auch unseres Clubs.
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