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Über die angemessene Würdigung Otto v. Bismarcks, das Leben seiner Familie mit dem großen Namen und ihre Rückkehr in ihr einstiges Stammland

» n seinen Leistungen sollten wir ihn messen«

Vor 200 Jahren, am 1. April 1815, wurde der spätere preußische Ministerpräsident und Reichskanzler in Schönhausen geboren. Die Beiträge dieses März-Titelthemas widmen sich seiner Zeit und seiner Politik – die heute manchmal aktueller sind als gemeinhin angenommen.

17.03.2015

Herr v. Bismarck, in diesen Tagen gedenkt die historisch interessierte Öffentlichkeit des 200. Geburtstags Otto v. Bismarcks. Was bedeutet dieser Tag für Sie und Ihre Familie?
Es wird sicher nicht verwundern, dass dieser Tag – der 1. April – in unserer Familie stark wahrgenommen wird. Wir sind in verschiedene Veranstaltungen eingebunden, und am 21. März veranstaltet der Oberbürgermeister der Hansestadt Stendal zusammen mit unserer Familie einen Festakt in der Altmark. Dabei eröffnen wir auch mit Mitgliedern der Landesregierung Sachsen-Anhalt Sonderausstellung unter dem Titel „Familie im Wandel“, in der wir uns nicht nur der 800-jährigen Geschichte der Bismarcks in der Altmark widmen, sondern dem Thema Familie insgesamt. Im Rahmen des Festaktes gibt es eine Podiumsdiskussion mit dem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger, dem ZEIT-Herausgeber Josef Joffe und dem Historiker Arnulf Baring zum Thema „Sicherheitspolitik zu Zeiten Bismarcks und heute“. Wir blicken also nicht nur zurück, sondern fragen auch, ob die historische Persönlichkeit des preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzlers auch für die Gegenwart von Interesse ist.


Und was ist Ihre Meinung dazu?  
Allgemein hat natürlich Otto v. Bismarck im 19. Jahrhundert die Grundlagen des heutigen Deutschlands geschaffen. Er hat – das kann auch kein Kritiker abstreiten – die zahlreichen deutschen Fürstentümer und freien Städte zu einem Nationalstaat geeinigt. Diese Einigung entsprach dem Wunsch fast aller Deutschen. Und auch nach zwei Weltkriegen ist dieses Deutschland, wenn auch stark verkleinert, im Kern immer noch vorhanden.
Für die Gegenwart ist vor allem der Außenpolitiker Bismarck interessant. Auch wenn das natürlich immer spekulativ ist, kann ich mir gut vorstellen, dass er in der aktuellen Ukraine-Krise darauf gedrungen hätte, Russland einzubinden und den Konflikt gar nicht erst aufkommen zu lassen. Innenpolitisch setzte Bismarck u.a. die Trennung von Staat und Kirchen durch; auch das ein Thema, das – unter anderen Vorzeichen – wieder eine hohe Aktualität besitzt. Nicht zuletzt ist der Gründer des Kaiserreichs unbestritten auch der Begründer des Sozialstaats. Es gibt also einige Gründe, warum sich das heutige Deutschland für den historischen Kanzler interessieren sollte.


Dennoch war er lange Zeit alles andere als unumstritten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man dem „Reichsgründer“ ideell und ganz real gewaltige Denkmäler errichtet und dabei mit dem Bild, das von ihm gezeichnet wurde, auch übertrieben. Deshalb ist es völlig in Ordnung, wenn man das Denkmal bildlich gesprochen vom Sockel herunter holt. Es besteht jedoch keinerlei Anlass dazu, dieses Denkmal zu zertrümmern, wie das heute oft effekthascherisch versucht wird. Man kann Bismarck durchaus in vielen Punkten kritisch sehen, doch sollte man ihn dabei vor allen Dingen an seinen Taten messen. Anders als Metternich, der ja im wesentlichen nur restaurativ war, ist er immer ein lernender Politiker gewesen, der versucht hat, den dramatischen gesellschaftlichen Wandel seiner Zeit zu gestalten und nicht, ihn zu verhindern. Ich denke hier beispielsweise an die Einführung eines modernen Wahlrechts, die Reichsverfassung und seine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Die drei Einigungskriege waren im Kern keine Eroberungskriege, und Bismarck hat danach nur noch Friedenspolitik betrieben. Insofern muss man ihn wirklich differenziert betrachten und nicht einfach irgendwelche direkte Linien zu Hitler ziehen. Das ist unseriös und auch leicht zu widerlegen, wenn man sich sein Leben und seine Zeit unvoreingenommen ansieht.


Wie lebt Ihre Familie mit dem großen Namen?
Mit einem auffälligen Namen ist man manchmal auch etwas geschlagen. Neben der Neugier gibt es immer wieder Distanz und falsche Assoziationen. Als ich beispielsweise vor langer Zeit nach sechs Jahren aus einem Konzern ausschied, sagte mir ein Vorstandsmitglied offen: „Wenn Sie diesen Namen nicht gehabt hätten, hätten wir mehr für Sie tun können.“ Zu dem vermeintlichen Glanz des Namens gehört freilich auch, dass unser Familienverband – mit über 340 Mitgliedern – oft aus Flüchtlingsfamilien besteht.
Als Vorsitzender dieses Verbandes ist es mir – und vielen anderen – wichtig, dass wir diesen Namen mit eigener Leistung „ausfüllen“ und wir uns auch gesellschaftlich engagieren. Das Engagement reicht vom Ehrenamt in der Diakonie über die Politik bis zur Gründung von Bürgerstiftungen. Im Rahmen des Jubiläums hat unsere Familie in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband der Altmark eine Bismarck-Route entwickelt, an der entlang historische Orte Ottos und die Besitze der Familie besichtigt werden können. Immerhin konnten wir einige Besitze in den letzten Jahren wieder aufbauen, ohne dass große Kapitalien verfügbar waren.


Und mit der Rückkehr der vermeintlichen alten „Junker-Familie“ in die Altmark gab es keine Probleme?
Im Wesentlichen nicht. Ich war und bin sehr positiv berührt davon, wie offen die Familie in der Altmark aufgenommen worden ist. Sicherlich hatte das auch damit zu tun, dass wir uns – wie oben geschildert – aktiv in die Gesellschaft eingebracht haben. Ich selbst lebe seit acht Jahren in Mecklenburg und habe anfänglich noch einige Ressentiments erlebt, die aus der Propaganda der DDR herrühren. Heute arbeite ich auch mit manchen ehemaligen kommunistischen Kadern gut zusammen.
Generell war unsere Familie trotz ihrer Verwurzelung im alten Preußen immer bemüht, in der jeweiligen Gegenwart zuhause zu sein. Mein Vater Klaus zum Beispiel stammt aus hinterpommerschem Adel, einem sehr konservativen Milieu und lag in derselben Wiege wie sein Großonkel Otto, der auch in Kniephof aufwuchs. Er kam als hoch dekorierter Offizier aus dem Zweiten Weltkrieg und fragte sich nach 1945 nachdenklich, warum er als begeisterter junger Offizier einem Verbrecher gedient hatte. Er hat sich danach konsequent für eine freiheitlichere Gesellschaft eingesetzt, war u.a. 15 Jahre Intendant des WDR und teilweise Vorsitzender der ARD, saß über Jahrzehnte im Präsidium des Kirchentages und war zwölf Jahre lang Präsident des Goethe-Institutes. Auch sein Bruder Philipp, der Bundestagsabgeordneter, Europaabgeordneter und Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft war, und viele andere Mitglieder unserer Familie haben sich immer wieder gesamtgesellschaftlich engagiert.


Haben Sie auch Kontakte nach Kniephof in Hinterpommern?
Durchaus, sogar sehr zahlreiche. Ich selbst habe schon als fünfzehnjähriger Schüler 1962 über einen deutsch-polnischen Schüleraustausch Kniephof besucht. Damals sah das Herrenhaus noch fast so aus wie früher, heute ist es in einem ziemlich jämmerlichen Zustand. Vor zwei Jahren haben wir im benachbarten Külz einen Familientag abgehalten. In dem dortigen Gut war eine von meinem Onkel Philipp gegründete europäische Akademie angesiedelt, die sich sehr aktiv, u.a. mit Hilfe von Helmut Schmidt, für die deutsch-polnische Verständigung eingesetzt hat. Zu unserem großen Kummer hat die Universität Stettin, die Träger der Akademie ist, diese inzwischen wieder geschlossen. Deshalb versuchen wir als Familie zurzeit, Külz zu reaktivieren, was nicht ganz einfach ist.
Als mein Vater 1997 starb und die Beerdigung in Hamburg stattfand, reiste eine polnische Delegation unter Einschluss eines katholischen Priesters aus Kniephof an und schüttete Heimaterde in sein Grab. Das zeigt, wie eng die Verbindungen der Familie nach Pommern sind.


Aber gerade Otto v. Bismarck gilt doch – zusammen mit Friedrich dem Großen – sozusagen als der „Polenschreck“ schlechthin.
Absolut. Um so größer war dann ja auch der Überraschungseffekt, als es Mitglieder der Familie Bismarck gab, die sich ganz besonders für die deutsch-polnische Verständigung eingesetzt haben. Mein Vater hat sich schon 1954 auf dem Kirchentag in Leipzig dahingehend geäußert, dass er als Erbe der wesentlichen bismarckschen Güter in Pommern diese nicht zurückhaben will um den Preis einer Auseinandersetzung mit Polen. Das war damals zu der Zeit ein ganz revolutionärer Satz, der ihm von seinem Bruder durchaus übel genommen wurde. Aber die Geschichte hat doch gezeigt, wie vorausschauend er sich damals geäußert hat. Ich glaube, wir können generell sagen, dass die Beziehungen zwischen den einstigen deutschen und den heutigen polnischen Bewohnern besser sind als die Öffentlichkeit dies oft wahrnimmt.


Geburtstagskinder dürfen sich bekanntermaßen etwas wünschen. Gibt es etwas, das Sie sich als Sprecher der Familie Bismarck zum 200. Geburtstag stellvertretend für Otto wünschen?
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir – gerade vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Aktualität – den historischen Bismarck endlich differenzierter betrachten würden. Er ist nun einmal die bedeutendste Politikergestalt im 19. Jahrhundert. Und mich ärgert es, wenn einige Historiker – bei weitem nicht alle – Bismarck immer noch aus der Sicht unserer Gegenwart beurteilen und nicht aus der Zeit heraus, in der er gelebt hat. Natürlich sind die von ihm angewandten Methoden heute nicht mehr zeitgemäß, aber es waren eben die Methoden der damaligen Zeit. Hätte er sie nicht geschickter und erfolgreicher angewandt als seine innen- und außenpolitischen Gegner, wäre Deutschland vielleicht heute noch nicht geeint, und der gesellschaftliche Wandel hätte sich vielleicht radikaler vollzogen, wie beispielsweise später in Russland. Wer weiß? Selbstverständlich war Bismarck als Mensch nicht frei von Fehlern. Aber alles in allem hat er in seiner Zeit Großartiges geleistet. Und an diesen Leistungen sollten wir ihn messen.

Das Interview führte René Nehring.