Rotary Aktuell
Tausende Tour-Kilometer gegen Polio
Der an Polio erkrankte Bashar Asfour (RC Tbilisi Ambassador) tourt in diesen Tagen durch 17 europäische Länder, um Spenden für den Kampf gegen Polio einzuwerben.
Ein Ausflug über mehr als 9000 Kilometer quer durch Europa? Mit circa 50 Stopps und täglichen Meetings? Ständig auf Achse gegen Polio? – „Ja, wegen all der Kinder, die wir für immer davor bewahren können. Deshalb heißt die Tour ‚My Journey to End Polio‘. Ich will auf dieser Reise Spenden für den Kampf gegen die Krankheit sammeln – und zwar 250.000 Dollar.“
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Der Jordanier Bashar Asfour sitzt in einem gelbgrünen VW ID Buzz, einem Elektro-Kleinbus, und fährt über die A24 von Berlin nach Hamburg. Er hat gerade zwei Tage Clubbesuche, Meetings mit Distriktverantwortlichen und Polio-Interessierten sowie ein Treffen mit Staatssekretär Jochen Flasbarth im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hinter sich. Ein wichtiges Gespräch und insgesamt ein spannender Auftaktbesuch. Nun ist er auf der Strecke.
Er winkt aus dem Fenster, um einem begleitenden Fotografen einen gelungenen Schnappschuss zu ermöglichen. Wenige Minuten später checkt er mit seinem Team per Telefon Tourdaten und gibt organisatorische Änderungen durch. Irgendwas gibt’s ja immer. Gut, dass das Navigationssystem ihm bei all der Aktion die richtigen Strecken avisiert.
Links vorn am Armaturenbrett klemmt Finn, ein Steiff-Plüschbär mit Polio-Hemdchen – ein Geschenk aus dem Distrikt 1940 und bis zum Ziel ein wichtiger Begleiter auf seiner Tour. Dass Bashar im Partnerlook mit dem Bären im roten EPN-Shirt fährt, versteht sich von selbst. Denn bis zum Welt-Polio-Tag wird er auch damit Interesse wecken können an Rotarys Projekt Nummer eins: der Kampagne End Polio Now.
Als Betroffener informieren
Bashar Asfour klingt hochmotiviert und engagiert, wenn er über seine Tour und das Ziel spricht, möglichst viel Aufmerksamkeit und Unterstützung für den Kampf gegen die Kinderlähmung einzuwerben. Bei jedem seiner Städtestopps soll es dazu Aktionen, Vorträge und Info-Veranstaltungen geben: mit ihm im Fokus. Denn wenn der 65-Jährige über Polio spricht, dann weiß er, was betroffene Kinder durchmachen. Er ist selbst an Kinderlähmung erkrankt. Er lebt mit Einschränkungen beim Gehen, hat Schmerzen und Ermüdungserscheinungen, muss zeitweise einen Gehstock nutzen. Bashar Asfour kann aus eigener, zum Teil schmerzhafter Erfahrung berichten, wie die Krankheit sich auswirkt. Aus der Nähe, aus dem Alltag, nicht von historischen Fotos oder aus Krankenhausberichten.
Er selbst wurde im Alter von zehn Monaten infiziert, berichtet er leise. Von jetzt auf gleich schüttelte ihn ein Fieber, seine Beine erschlafften, sodass er nicht mehr wie andere Kinder seines Alters krabbeln oder laufen konnte. Seine Eltern – gebildet und finanziell unabhängig – brachten ihn in Kliniken in London, Prag und anderswo, schickten ihn zu Kuren, hofften, dass Streckapparaturen seine Knochen wachsen lassen könnten, ließen ihm jede Hilfe angedeihen. „Ich bin ihnen dankbar. Laufen lernte ich, doch lange nicht so gut wie Gleichaltrige“, sagt er.
Bashar weiß inzwischen, dass er die Polio-Impfung als Baby nicht erhalten hat. Ein Versäumnis, das ihm ein normales Leben erschwerte, wie er berichtet. Während seine Geschwister mit Freunden herumtobten, musste er zusehen. Er wurde zu Hause unterrichtet, weil er wegen Behandlungen häufiger pausieren musste. Mehrfach wurde er operiert. Zuletzt wurden ihm Knochensplitter aus der Hüfte am Schienbein implantiert, um das Wachstum der betroffenen Knochen anzustoßen. Dennoch, die Einschränkungen beim Gehen blieben – bis heute.
Seine Eltern förderten und forderten ihn weiter, gaben ihm ein Fahrrad, damit er mobil bleiben und überall hinkommen konnte. Schwimmen kräftigte ihn neben dem Radeln, erinnert sich Bashar. „Da fiel meine Einschränkung nicht so stark auf. Und: Eines war ich auf jeden Fall nicht – auf den Kopf gefallen. Ich habe beim Lernen oft eine bessere Figur als andere abgegeben.“
Das sahen auch die Eltern und setzten ihn schon früh im Familienunternehmen, einer Importfirma für Spielzeug, Fahrräder und Schuhe mit eigenen Läden, ein. Geschenke verpacken, erste Inspektionen in den Geschäften: Jeden Sommer lernte der junge Bashar, dass er etwas schaffen und durchaus wertvoll für die Firma sein konnte, zeigt sein Rückblick. „Als Kind war ich eher scheu und ein Stotterer, das gab sich erst beim Studium in England und den USA. Und es stellte sich heraus: Zahlen und Buchhaltung sind meine Sache. Den Abschluss machte ich mit Leichtigkeit. Ab da war ich auch als Manager im Familienunternehmen gesetzt.“ Bashar erzählt lebhaft, wie er Neuerungen einführte, schon früh auf Computer setzte und oft nach Nürnberg zur Spielwarenmesse reiste. 2007 gründete er noch einmal ein neues Unternehmen, einen Ballonshop, der Kindern Freude bringen soll. Inzwischen ist er Pensionär – aber immer noch getrieben von großen Zielen, das wird deutlich.
Ohne Herausforderungen könne er wohl nicht, gibt Bashar Asfour schmunzelnd zu. Seit dem 31. August 2023 ist er nun auf Tour. Mehr als zwei Jahre haben er und sein Team die Strecke organisiert, vorbereitet, die Etappenziele festgelegt. Vor allem aber: ein Auto organisiert, das Aufmerksamkeit erregt. VW/Porsche Salzburg stellte einen Kleinbus mit Elektro-Antrieb und großformatiger Polio-Optik zur Verfügung. Start war Ende August in Berlin. Über Norddeutschland, die Niederlande, Belgien, Süddeutschland, die Schweiz, Italien, Griechenland ging es bis in die Türkei. Nun steht noch Osteuropa an, bevor die End-Polio-Tour nach weiteren Stopps in Süddeutschland, Österreich und Tschechien am 21. Oktober in Chemnitz endet. Dort soll das große Welt-Polio-Tag-Event der deutschsprachigen Distrikte auf Rotarys Kampf gegen Polio aufmerksam machen.
Bei jedem Tourstopp gesellen sich Rotarier zu ihm, helfen ihm, Passanten anzusprechen, mit Flyern zu informieren. Und er nutzt die Chance, selbst als Betroffener zu berichten. Vor der Elbphilharmonie in Hamburg reagieren vor allem junge Eltern auf die Polio-Aktion mit dem auffälligen Kleinbus. „Unsere beiden Kinder sind geimpft, aber wenn ich mir vorstelle, dass andere Eltern ihren Sprösslingen diesen Schutz nicht bieten können und dass die immer in Gefahr sind, Lähmungen zu erleiden, dann möchte man auch etwas tun“, gibt ein Vater zu.
„A call to action – für die rotarische Familie und die Gesellschaft: Genau so will ich die Tour verstanden wissen“, sagt Bashar Asfour und freut sich über eine Rotaracterin, die noch zum örtlichen Polio-Werbeteam stößt. Er hofft, dass sich bis zum Schluss weiter Unterstützer und Spender finden. „Denn nur gemeinsam können wir Großes erreichen“, ist er überzeugt.
„Out of the box“
Dass er selbst auch Rotarier ist, erwähnt Bashar Asfour eher selten. Lange Zeit wusste er nicht einmal von der Organisation und ihrem Fokus auf Polio. Seit 1996 ist er dabei und bringt sich mit Verve ein: Als junges Mitglied in einem Club gründete er einen weiteren, charterte ihn innerhalb von 19 Tagen, war zweimal Präsident und übte viele Funktionen im Distrikt aus. Er erhielt bereits sieben Paul Harris Fellows und engagiert sich seit ein paar Jahren in Georgien. „Dort stand und steht viel Aufbauarbeit an“, berichtet Bashar, der inzwischen Mitglied des RC Tbilisi Ambassador ist. „Gerade in den letzten Jahren haben wir einiges für die medizinische Versorgung getan, über Global Grants zum Beispiel die adäquate Ausstattung von Krankenhäusern ermöglicht.“
Oft gehe es bei rotarischen Projekten darum, „out of the box“ zu denken, um sie zum Erfolg zu führen, ist Bashar Asfours Erfahrung. Auch das will er auf der Polio-Europa-Tour in die Clubs tragen. Zugleich will er zeigen, dass die Strukturen, die Rotary im Kampf gegen Polio bereits aufgebaut hat, auch bei weiteren Gesundheitsthemen helfen können. Und als Reisender freut er sich jeden Tag auf die vielen Eindrücke aus den 17 verschiedenen europäischen Ländern. Sein Handy und Polio-Bär Finn plus einen weiteren pelzigen Polio-Begleiter hat er stets für Erinnerungsfotos griffbereit. „Der Social-Media-Auftritt muss ja auch befüllt werden“, lacht er.
Jeden Tag legt Bashar Asfour ein paar Hundert Kilometer bis zum nächsten Etappenziel zurück, in den nächsten Wochen vor allem auf dem Balkan. Über die riesige Gesamtstrecke von mehr als 9000 Kilometern denkt er dagegen gar nicht nach. Im Gegenteil: Endlich sei er „on the road“, meint er mit großer Geste. Geplant war die Tour nämlich bereits vor der Pandemie. Corona verhinderte den Start. Doch nun könne er täglich das gelbgrüne E-Mobil zu einem neuen Ziel lenken, freut er sich.
Autos habe er übrigens auch schon lange im Fokus, gibt Bashar augenzwinkernd zu. Jahrzehntelang sei er im Royal Automobile Club in Jordanien aktiv gewesen. Dort schwang er oft die Startflagge für die Rennen auf dem Racing Oval, war Timing Officer, Stage Commander, Safety Chief Marshal. Auf seine gesundheitlichen Einschränkungen nahm dort niemand Rücksicht. „Und ich wollte beweisen, dass ich diese Aufgaben leisten kann. Akzeptieren, dass irgendwas nicht geht? – Nein! Ich mache das, ist meine Devise.“
Das ist auf seiner Polio-Tour durch Europa genauso. Natürlich ist er nicht im Stil eines Rennfahrers unterwegs. Er kennt die deutschen Verkehrsregeln. Außerdem zeigt die Erfahrung: Große Geschwindigkeiten leeren die Batterie des E-Autos deutlich schneller als gewollt. Aber auch im richtigen Tempo bleibt eine große Herausforderung: rechtzeitig eine Ladesäule zu finden und zu nutzen. Doch beobachtet man Bashar, verfliegt die Sorge schnell. Der weißhaarige Mann in Jeans und Lederjacke ist aktiv, motiviert und zugewandt, zudem gut vorbereitet und ausgestattet – er wird sich daher seinen Weg bahnen, im Hintergrund umfassend unterstützt von einem internationalen Team.
Finale beim Polio-Tag in Chemnitz
Am 20./21. Oktober will er in Chemnitz auf dem Polio-Event der deutschsprachigen Rotarier den Schlusspunkt setzen. „Wenn ich dann zurückblicke, habe ich ganz sicher wunderschöne Erinnerungen im Gepäck, neue Freunde gewonnen und dazu viele Eindrücke gesammelt, wie anderswo Probleme gelöst werden.“ Aber vor allem ist dann hoffentlich auch das Polio-Spendenkonto deutlich mehr gefüllt. „Denn Polio ist noch nicht ganz besiegt. Wenn wir dranbleiben, können wir in die Geschichte eingehen. Und ich will dabei sein, wenn wir Polio ausradieren!“
Weitere Infos: myjourneytoendpolio.com oder auf Instagram
Hinweis
Es gibt ein eigenes Spendenkonto für die Tour von Bashar! Bitte nutzt bei allen Spendeneinwerbungen folgendes Konto, damit wir die gesamte Spendensumme der Tour ermitteln können:
Rotary Deutschland Gemeindienst e.V.
Deutsche Bank AG
IBAN: DE80300700100394120000
BIC: DEUTDEDD
Verwendungszweck: Polio Bashar, 2416, Clubnummer, Name (und Anschrift bei Nichtmitgliedern)
Die Polio Plus Society
Werden Sie Mitglied der Polio Plus Society der Rotarierinnen und Rotarier, und werden Sie verlässlicher Partner der End-Polio-NowKampagne. Sie spenden jedes Jahr auf das Polio-Konto (IBAN: DE80 3007 0010 0394 1200 00, Verwendungszweck: P2910) mindestens 100 Euro an den Rotary Deutschland Gemeindienst (RDG) als Mitgliedsbeitrag. Dann erhalten Sie eine Spendenquittung, und Ihre Spende wird im Juni auch Ihrem Club gutgeschrieben. Zudem wird jeder Euro von der Bill-undMelinda-Gates-Stiftung verdreifacht. Mitglieder der Society erhalten eine Polio-Plus-Society-Anstecknadel und eine Urkunde, wenn sie das Mitgliederformular bei ihrem Distrikt-PolioBeauftragten eingereicht haben.
Das Polio-Plus-Society-Mitgliederformular sowie die Polio-Beauftragten der einzelnen Distrikte finden Sie unter rotary.de/polioplussociety
Revolutionäre Methode
Wie eine australische Krankenschwester Millionen Kindern half
Hört er ihren Namen, kommen John Nanni die Tränen. Es werden Erinnerungen beim US-Amerikaner geweckt. Erinnerungen an seine Kindheit. So war es auch, als die australische Premierministerin Julia Gillard bei der Sondersitzung der UN-Generalversammlung zum Thema „Vereint gegen Polio“ über die Krankenschwester Elizabeth Kenny, eine Australierin, und ihre Methoden zur Behandlung von Polio-Opfern mit Physiotherapie sprach. Das war am 27. September 2012, und John Nanni, Mitglied im Rotary Club Middletown-Odessa-Townsend, war als Betroffener dabei.
An Kinderlähmung erkrankt
Er erkrankte im Alter von zehn Monaten selbst an Kinderlähmung und war sechs Monate vom Hals abwärts gelähmt. „Ich war etwa eine Woche im Krankenhaus, als meine Großtante zu Besuch kam. Sie war Nonne und hatte die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens als Krankenschwester auf einer Polio-Station gearbeitet“, erinnert sich Nanni. Die Großtante warf sofort einen Blick in die Krankenakte und war schockiert. John Nanni sollten Gipse angelegt werden und dies, da war sich seine Großtante sicher, war das Schlimmste, was man tun konnte. Werden gelähmte Gliedmaßen nicht bewegt, schrumpfen die Muskeln weiter, das hatte sie gelernt.
Seine Großtante glaubte an eine Therapiemethode, die von einer australischen Krankenschwester namens Elizabeth Kenny entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um ein Physiotherapieprogramm für Polio-Patienten, bei dem die gelähmten Muskeln gedehnt werden. Genau diese Methode war es, die dazu führte, dass John Nanni später Baseball und Basketball spielen konnte. Seine Mutter, die von der Großtante überzeugt wurde, trainierte seine Gliedmaßen sechs Monate lang. Mit Erfolg. Doch wer ist diese Elizabeth Kenny, die die Heilmethoden für Polio-Erkrankte revolutionierte?
Elizabeth Kenny, geboren 1880, wuchs im ländlichen Australien auf. Ihre schulische Ausbildung war gering und dennoch entwickelte sie früh ein großes Interesse für Medizin und den menschlichen Körper. Sie las, was auch immer sie an Büchern zu dem Thema in die Hände bekommen konnte. Mit 17 begann sie freiwillig in einem Krankenhaus in der Stadt Guyra zu arbeiten und eröffnete mit 30 Jahren ein eigenes Landkrankenhaus.
Rasch waren Erfolge sichtbar
Dort wurde sie auch mit Kinderlähmung konfrontiert. Die damals üblichen Behandlungsmethoden waren ihr jedoch unbekannt, weshalb sie Wärmeund Bewegungstherapien entwickelte, die rasch Erfolge zeigten. Es kam nicht nur zu Linderungen, sondern in nicht wenigen Fällen gar zum Verschwinden der Symptome. Wenngleich ihre Behandlungsmethoden von der medizinischen Fachwelt als unwirksam kritisiert wurden, ließ sich die Australierin nicht entmutigen. „Ich habe der Welt eine Botschaft zu übermitteln, und ich lasse mich nicht entmutigen“, sagte sie selbstbewusst. Sie verbreitete ab 1934 ihre Therapieansätze in ganz Australien und ab den 1940er Jahren weltweit. Wenngleich Rotary erst 1988 die Ausrottung von Polio zur Hauptaufgabe erklärte, hielt sie bereits 1944 einen Vortrag beim Rotary Club Los Angeles.
Elizabeth Kenny erlangte so viel Berühmtheit, dass 1946 sogar ein Film über ihr Leben gedreht wurde. Anders als ihre Behandlungsmethoden, die noch heute fester Bestandteil der Therapie von Polio-Patienten sind, floppte der Film jedoch an den Kinokassen.
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