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Interview

„Ein Weltfriedenslied“

Interview - „Ein Weltfriedenslied“
Michael Neureiter wurde 1950 in Hallein bei Salzburg im Haus des „Stille-Nacht“-Komponisten Franz Xaver Gruber geboren. © Privat

Im Gespräch mit Michael Neureiter. Über den Zauber, die Bedeutung und die Verbreitung des Liedes „Stille Nacht, heilige Nacht“

André Uzulis01.12.2018

Herr Neureiter, welche Bedeutung hat „Stille Nacht“ heute – in einer säkularisierten Welt?
Der ursprüngliche Kontext des Liedes hat sich erweitert. War „Stille Nacht“ von seinen Schöpfern gedacht als Träger der christlichen Botschaft, so ist es heute weitaus mehr: Es ist ein festes Element der weihnachtlichen Festkultur in ganz Europa – unabhängig davon, ob der Einzelne an die Menschwerdung Gottes glaubt oder nicht. Und es ist als Weltfriedenslied sogar weit über seine eigentlichen christlichen Wurzeln hinausgewachsen. Das macht das Lied so einzigartig.

Von wie vielen Menschen gehen Sie aus, die das Lied weltweit singen?
Nach unseren Schätzungen kennen 2,4 Milliarden Menschen rund um den Globus das Lied; für sie gehört es zum weihnachtlichen Festkreis dazu. Wieviele es tatsächlich auch singen, wissen wir freilich nicht (lacht).

Wie stehen Sie zur Vermarktung des Liedes?
Ich bin froh darüber, dass es in weiten Teilen Österreichs immer noch eine gewisse Askese in Bezug auf das Lied gibt. Es ist vielerorts üblich, das Lied nicht vor 17 Uhr am Heiligen Abend erklingen zu lassen. Das spricht für Achtung und Wertschätzung und gibt dem Lied Würde. Ich empfinde das als sehr angenehm und angemessen.

„Stille Nacht“ entfaltet seine ganze emotionale Wirkung erst, wenn man es mitsingt.
Ganz genau. Es fordert geradezu heraus, gesungen zu werden. Ein einfacher Konsum, ein einfaches Hören wird dem Lied nicht gerecht. Darin unterscheidet es sich vermutlich von anderen Weihnachtsliedern und das hat ihm über die Jahre einen Schutz davor gewährt, für eine Dauerberieselung im Advent missbraucht zu werden. Es ist ein Lied, das Gemeinschaft erfordert und das Gemeinschaft fördert.

Die Stille-Nacht-Gesellschaft ist die einzige Organisation weltweit, die sich der Erforschung eines einzigen Liedes verschrieben hat. Was ist heute, 200 Jahre nach Entstehung von „Stille Nacht“, die Aufgabe Ihrer Gesellschaft?
Wir bemühen uns, das Lied, seine Herkunft und seine Botschaft in den Herzen und Köpfen der Einheimischen und unserer Gäste zum Klingen zu bringen. Über die Erforschung möglichst aller Aspekte dieses Weltfriedensliedes wollen wir auch unseren bescheidenen Beitrag zur Völkerverständigung leisten.

Erwarten Sie nach Jahrzehnten der Forschung rund um „Stille Nacht“ noch wesentlich Neues oder ist das Thema im Prinzip ausgeforscht?
Es gibt immer wieder neue Aspekte, die das Puzzle ergänzen. Ein jetzt erschienener Sammelband zum Lied zeigt den aktuellen Stand der Wissenschaft, und man staunt, welche Details immer noch ans Licht kommen.

Welche Motive haben diejenigen, die Mitglied der Stille-Nacht-Gesellschaft werden?
Es ist natürlich vor allem das Interesse an dem Lied und an allem, was mit ihm zusammenhängt. Wir bekommen Anfragen der unterschiedlichsten Art – aus aller Welt übrigens, von Australien bis zu den Vereinigten Staaten. Die einen haben sachliche Fragen, andere haben einen neuen Text auf die Melodie geschrieben, wieder andere berichten von ihren ganz individuellen Erfahrungen mit „Stille Nacht“. Unsere Adressdatei umfasst mehr als 1600 Einträge weltweit, davon sind etwa 330 Mitglieder.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie sind in Hallein in dem Haus geboren und aufgewachsen, in dem Generationen vor Ihnen der Komponist Franz Xaver Gruber gewohnt hat. Welche Rolle hat vor diesem Hintergrund „Stille Nacht“ in Ihrem Leben gespielt?
Es begleitet mich mein Leben lang, von klein auf. Am Heiligen Abend wird ja auch in Hallein vor dem Haus, an Grubers Grab, an den Komponisten erinnert. In meiner Kindheit wurden damals in allen Fenstern im Haus Kerzen aufgestellt und es wurde zum Schluss der Feierstunde „Stille Nacht“ gesungen. Das hat sich mir tief eingeprägt. Dass ich seit 2007 Präsident der Stille-Nacht-Gesellschaft bin, erscheint rückblickend irgendwie folgerichtig. Kurz und gut: Mein Leben wäre ohne „Stille Nacht“ nur ungenügend beschrieben.