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Hans Fallada

Der kleine große Mann der deutschen Literatur

Seine wichtigsten Bücher waren Welterfolge. Die Neuverfilmung seines Romans „Jeder stirbt für sich allein“ kommt am 17. November in die Kinos. Doch der Autor Hans Fallada ist vielen ein Rätsel. Jetzt sind neue Dokumente aufgetaucht

André Uzulis01.11.2016

Wer war Hans Fallada? Ei­ner der beliebtesten Schrift­stel­­ler deutscher Sprache, Autor von Millionensellern – allen voran „Kleiner Mann – was nun?“. Aber seine Stellung in der deutschen Literatur wirkt merkwürdig verhuscht: kein Großintellektueller wie Tho­­mas Mann, aber auch kein Unterhaltungsautor wie Johannes Mario Simmel.

Hans Fallada ist am 5. Februar 1947, also vor 70 Jahren, gestorben – der kleine Mann der deutschen Literatur, der doch ganz groß rauskam.

In diesem Jahr erschien erstmals die Ur-Fassung des „Kleinen Mannes“– derber und expliziter als die geglättete Version, die seine Lektoren beim Rowohlt-­Verlag 1932 dem Publikum meinten zu­mu­ten zu können. Auf der diesjährigen Berlinale wurde eine Neuverfilmung seines anderen Welterfolgs gezeigt: „Jeder stirbt für sich allein“.

Überall ein Bruch

Erika Karbe, Falladas Cousine, erinnert sich an eine Szene in einer Hamburger Buchhandlung, als ihre Mutter auf einem Tisch Romane von Fallada entdeckte. „Impulsiv ging sie auf den Verkäufer zu und fragte energisch: ‚Hören Sie, verkaufen Sie auch ordentliche Bücher von Fallada?‘ Der junge Mann zuckte die Achseln und erklärte herablassend: ‚Ach wissen Sie, bei den Sachen von Fallada geht ja überall so ein Bruch durch.‘“

Die Cousine hielt den Vorfall in einer Notiz fest, die das Fallada-Archiv im meck­lenburgischen Carwitz aufbewahrt. Für die Frau hatte der Buchhändler intuitiv „den tiefsten Wesenskern dieses Schriftstellers erfasst: Dieser Kern war zerbrochen – „zerbrochen worden vom Schicksal seiner Veranlagung und durch die Belastung einer unglücklichen Konstellation in seiner Jugend.“ Die Leser spürten diese Zerrissenheit, dieses Dasein „zwischen Lipp und Kelchesrand“, das „nach allen Gaben des Lebens dürstet und dabei von dem immerwachen Misstrauen gequält wird, dass böse Mächte sie ihm neiden und sie ihm tückisch entreißen wollen“, wie Erika Karbe schrieb.

Der Bruch in Falladas Wesen hat eine Parallele in seinem literarischen Schaffen. Er, der zeitlebens um seinen Stellenwert als Mensch rang, er rang mit sich auch in seinen Büchern. Zwischen den Werken, die in der Schlussphase der Weimarer Republik entstanden und dann noch einmal nach dem Ende der Nazi-Diktatur sowie jenen aus der Zeit des Dritten Reichs, liegen die Bruchstellen. Ihm ist zwischen 1933 und 1945 in seinem inneren Exil in Carwitz der Lebensstoff ausgegangen, „er mörtelt sei­ne Romane grob zusammen“, befand Erika Karbe. Fallada hat seinen Anfang der 30er Jahre erschriebenen Ruhm nach dem Krieg noch einmal ausbauen können. Diese zwei kurzen Zeiträume reichten, um  seinen Namen unsterblich zu machen. 

Fallada wurde am 21. Juli 1893 als Rudolf Ditzen in Greifswald geboren. Die Vorfahren väterlicherseits waren Juristen, mütterlicherseits Pastoren. Der Vater Wilhelm setzte sich jung ein hohes Ziel: Er wollte Reichsgerichtsrat werden, also Richter am damals höchsten deutschen Gericht in Leipzig. Er schaffte das auch, arbeitete sich hoch und erfüllte sich nach etlichen Stationen in der Provinz und in Berlin seinen Traum. Sein Sohn hatte diese Zähigkeit geerbt.

Rowohlts Freundschaft

Der kleine Rudolf schien aber ansonsten aus der Art geschlagen zu sein. Er war ein in sich gekehrtes Kind, das viele Krank­heiten durchmachte, Pech hatte, in der Schule gehänselt wurde und keinesfalls Jurist werden wollte, wie es der Vater wünschte.

Früh zog sich Rudolf in die Welt der Literatur zurück, versuchte sich im Dichten. Melancholie und Todessehnsüchte lagen über seiner Jugend. 1911 unternahm er in Rudolstadt mit einem Freund einen Doppelselbstmordversuch in Form eines Duells. Dabei erschoss er den Freund, überlebte selbst schwer verletzt. Weil ihm Unzurechnungsfähigkeit attestiert wurde, blieb ihm das Gefängnis erspart – vorerst. Insgesamt sollte er dreimal in seinem Leben hinter Gitter kommen und 28 Mal in psychiatrische Anstalten.

Der erste lange Klinikaufenthalt begann in Tannenfeld in Thüringen unmittelbar nach seiner Genesung nach dem Duell. Dort verhalf seine weit gereiste, poly­glotte und intellektuell beschlagene Tante Adelaide, genannt Ada, seinem lite­rarischen Talent zum Durchbruch. 1920 und 1923 erschienen Falladas erste Romane „Der junge Goede­schal“ und „Anton und Gerda“ im damals noch jungen Rowohlt-­Verlag. Ernst Rowohlt war auf der Suche nach unverbrauchten (und billigen!) Talenten, und Ditzen war ihm empfohlen worden.

Es begann eine lebenslange Freundschaft zwischen Verleger und Autor nach dem Motto: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“. Rowohlt half Fallada immer wieder aus verschiedensten Klemmen; der Autor revanchierte sich durch seine Erfolgsromane, die wiederum Rowohlt das Überleben sicherten.

Das Pseudonym Hans Fallada legte sich der Schriftsteller vor Erscheinen seines ersten Romans zu. Es ist eine – durchaus programmatisch gewählte – Kombination aus zwei Märchenfiguren: der Hans aus „Hans im Glück“ und das stets die Wahrheit sprechende Pferd Falada (mit einem l!) in der „Gänsemagd“. Das Pseudonym war Teil eines Deals zwischen Rudolf und sei­nem Vater: Der gewährte ihm ein schriftstellerisches Freijahr, dafür sollte kein Schatten auf die Familie durch den Autorennamen fallen. „Gott sei dank, wenigstens nichts Sexuelles!“, hatte die Mutter noch ausgerufen, als sie vom Duell ihres Sohnes erfuhr.

In den 20er Jahren hören wir nicht viel von Fallada. Seine Erstlingswerke waren Flops. Später wollte Fallada von ihnen nichts mehr wissen und ließ die Restaufla­gen aufkaufen. Er machte eine Lehre als Landwirt, zog von Gut zu Gut, trank, konsu­mierte Morphium und Kokain, klaute und kam ins Gefängnis. In der bäuerlichen Um­gebung und in den Haftanstalten bildete sich das heraus, was ihn berühmt machen sollte: seine präzise Beobachtungs­gabe und die Fähigkeit, Wahrgenommenes in leichter Sprache, die den Figuren in Stil und Soziolekt angemessen war, wiederzu­geben. Als Lokalreporter in Neumünster baute er diese Fähigkeit aus – und reüssierte schließlich mit einem Roman über den Sumpf einer Kleinstadt und die Verflechtung der Lokalzeitung in Politik und Wirtschaftsinteressen: „Bauern, Bonzen und Bomben“ wurde 1931 sein erster großer Erfolg, die Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit seine literarische Arena.