Interview
„Wir werden die Viren noch lange benötigen“
Fragen an Ekkehart Pandel, der für Rotary in einer internationalen Arbeitsgruppe den künftigen Umgang mit Polioviren plant
Während die GPEI unter Hochdruck die letzten Polio-Nester in Afghanistan und Pakistan bekämpft, beschäftigen sich unter ihrem Dach verschiedene Arbeitsgruppen mit der Zeit nach der Null. Eine davon ist die Containment Management Group, in der als einziger Rotarier der Kinderarzt und Past-Director RI Dr. Ekkehart Pandel, RC Bückeburg, mitarbeitet.
Wo liegen die Herausforderungen der Containment Management Group?
Wir kümmern uns um eine zentrale Aufgabe, die spätestens am Tag 1 nach Unterbrechung der Ansteckungskette akut wird: Es gibt weltweit 73 Institutionen, die mit lebendem Virenmaterial arbeiten. Das sind zum Beispiel Impfstoffhersteller, deren Produkte noch auf Jahrzehnte vorgehalten werden müssen. Für den Umgang müssen aber strikte Regeln eingeführt und die Hersteller zertifiziert werden. Ein zweites, kleineres Aufgabengebiet betrifft das organische Material, etwa Stuhlproben, das tiefgefroren in unzähligen Laboratorien liegt und möglicherweise Polioviren enthält, die in einem Katastrophenfall freigesetzt werden könnten. Für dieses sogenannte Potential Infectious Material (PIM) müssen ebenfalls Umgangsregeln aufgestellt werden, wobei hier vor allem die nationalen Behörden tätig werden müssen.
Was ist dann das Ziel Ihrer Tätigkeit?
Die GPEI-Partner entwickeln ein Regelsystem, um sicherzustellen, dass zum einen Polioviren weiter für Forschung und Impfstoffherstellung zur Verfügung stehen und zum anderen höchste Sicherheitsstufen für den Umgang mit PIM eingehalten werden. 26 Länder – Deutschland und Österreich sind nicht darunter – stehen auf der Herstellerliste. In diesen Ländern wurden sogenannte National Authorities for Containment (NAC) gegründet, die ihre Impfstoffhersteller überwachen und der WHO gegenüber verantwortlich sind.
Warum wird denn noch in so vielen Ländern Impfmaterial benötigt?
In den letzten Jahren ist das Problem der impfabgeleiteten, also mutierten Viren immer größer geworden, die in der Umwelt überleben und in Regionen mit niedrigem Impfniveau zu Infektionen führen können. Wenn selbst im hochentwickelten Deutschland das Impfniveau deutlich unter 100 Prozent liegt, gibt es viele Länder, wo die Ansteckungsgefahr deutlich größer ist. Außerdem lebt eine unbekannte, aber als bedeutend eingeschätzte Zahl von immungeschwächten Polio-Opfer, die auf Jahrzehnte weiter Polioviren ausscheiden und damit ebenfalls ein Risiko darstellen. Und schließlich müssen wir in einem etwaigen Notfall schnell große Mengen an Impfstoff bereitstellen können, was entsprechende Produktionskapazitäten voraussetzt. Es ist allerdings die feste Absicht der WHO, die Zahl der Hersteller so klein wie möglich zu halten.
Zu diesem aufwendigen Verfahren gibt es keine Alternative?
Die einzige sichere Lösung wäre ein Impfstoff auf rein synthetischer Basis, also ohne Lebendmaterial. Dass dies keine Illusion ist zeigt die Entwicklung eines im Labor bearbeiteten „Neuen Schluckimpfstoffs – nOPV“, der gegenüber einer Mutation deutlich stabiler ist und kurz vor der Einführung in die Impfprogramme steht.
Die Fragen stellte Matthias Schütt.
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
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