Feine Klassiker der deutschen Küche
Die einheimischen Speisen gelten vielen als grob und einfach. Unser Autor Erwin Seitz zeigt anhand einiger Beispiele, dass viele deutsche Küchenklassiker feiner und raffinierter sind als ihr Ruf.
Bratwurst
Fragt man Menschen in fremden Ländern, was sie mit deutscher Ess- und Trinkkultur verbinden, hört man häufig: Bratwurst und Bier. Von außen betrachtet, ist die Bratwurst das deutsche Nationalgericht. Das mag nicht unbedingt schmeichelhaft sein, sofern man sie als deftig begreift. Eigentlich ist die Bratwurst nicht von deutscher, sondern europäischer Herkunft, bereits bei den antiken Römern beliebt. Aber eine bevorzugte Zutat, das Schwein, gab es nördlich der Alpen in Hülle und Fülle, konnte es sich doch in den Wäldern an Eicheln gütlich tun. So legte man etwa schon 1256 in der herzoglichen Markt- und Gewerbeordnung für Landshut Wert auf gute Bratwürste: Sie sollten „aus reinem Schweinefleisch“ gemacht werden, gleichsam ohne Pfuscherei. Bis heute bestehen beispielsweise die Nürnberger Bratwürste aus purem durchwachsenem Schweinefleisch, das lediglich zerkleinert, mit Salz, Pfeffer und Majoran gewürzt und in einen Naturdarm gefüllt wird. Wenn diese Winzlinge dann auch noch roh auf den glühenden Rost gelegt werden und dort garen, schmecken sie würzig und delikat. Die Thüringer Rostbratwurst wird im Kutter gemacht. Es entsteht ein feines Brät aus durchwachsenem Schweinefleisch und gestoßenem Eis, häufig gewürzt mit Salz, Pfeffer und Kümmel.
Sauerkraut
Traditionell gehört zur Bratwurst das Sauerkraut. Das eine wie das andere wird mit den Deutschen verbunden. Im angloamerikanischen Bereich nennt man die Menschen hierzulande oft etwas despektierlich die „Krauts“. Nun denn, das Sauerkraut kann wie die Bratwurst ein wenig derb und grob sein – und in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schande des Nationalsozialismus mussten sich die Deutschen solche Eigenschaften nachsagen lassen. Die heimischen Lebensmittel kamen ohnehin damals häufig aus der Industrie. Werden Bratwurst und Sauerkraut aber wieder frisch, in der Tradition der deutschen Handwerkerehre hergestellt, dann sind sie überaus schmackhaft – eine ideale Kombination: die Bratwürste herzhaft, das Sauerkraut fruchtig. Schon um 1250 hatte der Stricker in einem Gedicht über den Höfling das Sauerkraut und den Kohl erwähnt: „kumpost ode kabûz“. Der eingelegte, säuerliche Weißkohl mag es, wenn man ihn mit Riesling bei verschlossenem Deckel etwa vierzig Minuten gar köcheln lässt, bis die Flüssigkeit fast verdampft ist, anschließend verfeinert mit etwas Butter, Rahm und Honig.
Knödel
Der Begriff des Knödels leitet sich vom Wort des Knoten ab und meint eine kreisrunde Masse. Ursprünglich bestand der Knödel hauptsächlich aus Fleisch und Innereien. Schon im Urbar der Bamberger Domherren aus dem zwölften Jahrhundert tauchten Leberknödel auf. Im Kochbuch von Meister Hans, der im Dienst des Grafen von Württemberg stand, hieß es 1460: „Knödel mach wie folgt: Ebenso nimm Kalbfleisch und gib gehackten Speck darunter und würz es gut und reib es, tu Eier und Weißbrot darunter und mache Kügelchen daraus.“ Für solche Fleischbällchen entstanden nach und nach andere Begriff wie Fleischküchle, Frikadelle, Boulette oder Klops, häufig nicht aus Kalbfleisch, sondern aus durchwachsenem Schweinefleisch. So oder so: Der Deutsche liebt das Runde beziehungsweise Kreisrunde – an sich die vollkommene geometrische Form. Doch man könnte auch sagen, der Knödel strahlt Gemütlichkeit aus. Im Laufe der Zeit wurde er vegetarisch, nicht zuletzt in Form des Semmelknödels, vorzüglich harmonierend mit Pilzen in Rahm. Seit dem neunzehnten Jahrhundert kennt man auch den Rohen Kartoffelknödel, der nach einem Schweinsbraten verlangt.
Süßwasserfisch
Als Trier im 4. Jahrhundert römisch-kaiserliche Residenz war, verfasste der Dichter Ausonius seine „Mosella“, eine Beschreibung der Mosellandschaft, und pries darin den Flussbarsch: „Nur du unter allen Flussfischen stehst Seefischen gleich an Rang, du allein kannst dich leicht mit roten Meerbarben messen.“ Auch der Dichter des „Ruodlieb“-Epos, das vermutlich ein Mönch des Klosters Tegernsee um 1050 verfasste, war bestens mit der Güte der heimischen Süßwasserfische vertraut, darunter natürlich wieder der Flussbarsch, ferner Salmoniden wie Lachs, Seesaibling, Äsche, Bachforelle, Rheinanke, andernorts Renke, Felchen oder Schnäpel genannt. Die moderne Industrialisierung hat dann diesen Schätzen der heimischen Seen, Flüsse und Bäche zugesetzt durch Wasserverschmutzung, Staustufen und Begradigungen. Doch seit einiger Zeit setzt ein Umdenken ein. Die großen Fangebiete für Süßwasserfische wie der Bodensee, die Müritz sowie die Haff- und Boddengewässer in Vorpommern verfügen wieder über sauberes Wasser, und die Deutschen entdecken langsam wieder ihre große kulinarische Tradition.
Spätzle
Die Kultur der Teigwaren entstand diesseits und jenseits der Alpen teilweise unabhängig voneinander. Wo in früher Zeit schon ein deutsches Wort für die einzelne Teigware vorhanden war, dürfte sie in hiesigen Breiten hervorgebracht worden sein. Beispielsweise erschien der „Krapfen“ bereits im hohen Mittelalter im „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. Daneben gab es seit dem sechzehnten Jahrhundert die „Schlutzkrapfen“, nur wenig unterschieden von den italienischen Ravioli. Unverwechselbar sind die alemannisch-deutschen „Spätzle“, die seit dem späten achtzehnten Jahrhundert in den Kochbüchern erscheinen. Sie galten bis vor ein oder zwei Jahrzehnten als bieder, sofern auch die deutschen als bieder angesehen wurden oder sich selbst so empfanden und benahmen. Mittlerweile werden die Spätzle als Delikatesse entdeckt und dementsprechend von einigen Köchen behandelt: hergestellt aus bestem Öko-Mehl, Weizen und Dinkel gemischt, etwas gröber gemahlen, mit frisch aufgeschlagenen Eiern, der Teig gut geknetet, von Hand geschabt oder als Knöpfle gehobelt, wunderbar elastisch, feinwürzig und mild, mit Käsesoße serviert.
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