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Hoffmeisters Fundstücke

Maestri, Masterminds und Meilensteine …

Hoffmeisters Fundstücke - Maestri, Masterminds und Meilensteine …
© Jessine Hein/Illustratoren

… werden hier wunderbar sichtbar: Werke über Mode, von Musikern und im Museum

Martin Hoffmeister01.05.2022

2022, Ulinka Rublack, Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance, Klett-Cotta
© Klett-Cotta

Mode wirkt. Als Feier der Schönheit, narzisstische Projektionsfläche, Distinktionsinstrument oder als Ärgernis. Kaum jemand vermochte und vermag sich ihrer Suggestivkraft zu entziehen, und nicht immer stand und steht sie allein im Zeichen des Mammons. Ulinka Rublacks Kulturgeschichte skizziert Urszene und Entwicklung der Mode in der Renaissance. Dabei fokussiert der opulente, reich bebilderte und stilvoll gestaltete Band nicht nur auf Kleidung, sondern nimmt überdies Symbolsprache, Codes, Metamorphosen des menschlichen Erscheinungsbildes und die gesellschaftlichen und kulturellen Implikationen des Phänomens in den Blick. State of the Art.

Nicht wenige Orchestermusiker mögen begrüßen, dass die Zeiten übergroßer PultLegenden der Geschichte angehören. Denn der Preis, den sie zahl(t)en für solitäre Konzertabende und zeitlose Referenz-Einspielungen an der Seite von Dirigenten wie Toscanini, Klemperer, Mitropoulos oder Celibidache, schien nicht weniger als mentale und physische Grenzerfahrung zu sein. Demgegenüber vernimmt man unter Eingeweihten zunehmend Sorge, dass der vielbeschworene „magische Moment“ respektive Transzendenz sich immer weniger einstelle – sowohl im Konzert als auch während der Arbeit im Tonstudio. Eingefordert wird entsprechend dirigentische Expertise, die die Voraussetzung schafft für künstlerische Entgrenzung. Als sinnstiftendes Korrektiv in der aufgeladenen Diskussion fungiert vorliegende DVD-Box mit vier Porträt-Dokumentationen stilbildender Maestri des 20. Jahrhunderts. Autor Georg Wübbelt reflektiert und spiegelt entlang hochkarätigem Archiv-Material und kuratierten Gesprächspartnern Persönlichkeit, Karriere und musikalische Intentionen seiner Protagonisten Carlos Kleiber, Georg Solti, Leonard Bernstein und Herbert von Karajan. Subtil, kritisch, grundsätzlich aber affirmativ verhandelt werden vier konträre Charaktere, die unbedingter Kunstwille, Leidenschaft und höchste Energielevels ebenso einen wie die unterschiedlichen Spielformen von Exzentrik und Egomanie. Deutlich wird vor allem: Vor dem Gelingen steht die kreative Korrespondenz von Disziplin, Exzess und konturierter Vorstellung.

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© Deutsche Grammophon

Superlative, Enigmatisches und eine der Kunst geschuldete Hermetik begleiten die Karriere des russischen Pianisten Grigori Sokolow. In medial überhitzten und von hyperventilierendem Marketing versehrten Zeiten weiß dieser Künstler durch konsequentes Schweigen und Fokussierung auf sein Metier einzunehmen. Tatsächlich rufen Sokolows von Versenkung und Konzen tration getragenen facettenreichen, organischen, von Klarheit, koloristischem Reichtum und dynamischer Schattierung durchsetzten Exegesen Erinnerungen an Jahrzehnte hervor, als Musiker weniger für narzisstische Impertinenz als skrupulöse Erkundungen des Notentextes standen. Sokolows aktueller Live-Mitschnitt aus dem prunkvollen Haydnsaal von Schloss Esterházy präsentiert neben drei HaydnSonaten und vier Schubert-Impromtus sechs Zugaben. Wahlweise in Bild und/oder Ton werden wir Zeuge einer Messe eminenter Luzidität, klanglicher Delikatesse und fragiler Ausdrucksvarianz, die im Gestus kultivierten Understatements zu Strahlkraft findet.

Sind sie einsam oder doch nur allein, versehrt oder eher halluzinierend absent: Die Menschen im malerischen Kosmos des US-Amerikaners Edward Hopper wirken wie aus der Welt gefallen. Selbst in Gesellschaft sind sie Einzelne, verloren zumal in den Vakua abstrahierter Räume und (Stadt-)Landschaften. Mit Morning Sun aus dem Jahr 1952 zeigt die Dresdner Schau neben einigen grafischen Arbeiten eines von Hoppers bemerkenswertesten Gemälden. Dem Frauenporträt gegenübergestellt werden entsprechende Bildnisse des Niederländers Jan Vermeer, dessen Schaffen Hopper Mitte der 1930er Jahre in der New Yorker Frick Collection begegnete. Obwohl zwischen den Tableaus fast drei Jahrhunderte liegen, erschließen sich dem Besucher erstaunliche Parallelen.


  1. Ulinka Rublack, Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance, Klett-Cotta, 536 S., 48 Euro, Buch
  2. Georg Wübbelt, Great Conductors, Major, 760604, Blu-Ray
  3. Grigori Sokolow at Esterházy Palace, Joseph Haydn – Franz Schubert, Deutsche Grammophon, 2 CDs & Blu-Ray Video, 4861849, CD
  4. Edward Hopper, Die innere und die äußere Welt,
    Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Zwinger bis 31.07.22,
    gemaeldegalerie.skd.museum, Ausstellung
Martin Hoffmeister

Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.

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