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Unbeschwerte Lustreise

Forum - Unbeschwerte Lustreise
Tuschzeichnung von Jes Bundsen (1766–1829), die die Idylle einer Parklandschaft im Jahr 1792 zeigt, durch die der Schleswig-Holsteinische Kanal führte. © Amelie Trende

Der französische Schriftsteller Jules Verne durchquerte 1881 auf einer Fahrt, die „nach unbekannten Welten“ zu gehen schien, auch Schleswig-Holstein.

Frank Trende01.06.2020

Als im Jahre 1895, vor 125 Jahren, Deutschlands Kaiser Wilhelm II. den heutigen Nord-Ostsee-Kanal eröffnete, ging ein Traum in Erfüllung. Schon im Mittelalter hatten die Wikinger nach einem Weg gesucht, die jütische Halbinsel von Ost  nach West zu überqueren und dadurch die Ost- mit der Nordsee zu verbinden. Kauf- und Seeleute versprachen sich davon kürzere Transportzeiten, und der Weg an der Westküste Jütlands gen Norden und um Skagen herum sowie in der Ostsee durch den Öresund war nicht ungefährlich. Es kam auf dieser Route immer wieder zu Schiffsunglücken und Strandungen. Verschiedene Kanalprojekte wurden durch die Jahrhunderte geplant, begonnen und aufgegeben. Das lag auch daran, dass Schleswig und Holstein Zankapfel zwischen Deutschland und Dänemark waren. Der Nord-Ostsee-Kanal mitten durch Schleswig-Holstein, seit 1867 preußische Provinz, konnte nach acht Jahren Bauzeit fertiggestellt werden. Mit ihm entstand die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Dabei hatte der Kanal einen wahren Vorläufer: den Schleswig-Holsteinischen Kanal, zwischenzeitlich Eiderkanal genannt, der als Meisterwerk goethezeitlicher Ingenieurbaukunst berühmt wurde.

Durchquerung auf dem Wasserwege

Es war am 15. Juni 1881 in Wilhelmshaven, als der französische Schriftsteller Jules Verne darauf hingewiesen wurde, dass man die Nord-Süd-Landbrücke der jütländischen Halbinsel auch per seegehendem Schiff in West-Ost-Richtung kreuzen, dass man Schleswig-Holstein auf dem Wasserwege durchqueren konnte. Jules Verne war durch seine Romane wie „20.000 Meilen unter den Meeren“, „Reise um die Erde in 80 Tagen“ und „Die geheimnisvolle Insel“ berühmt geworden. Er liebte es, Seereisen, Kreuzfahrten zu unternehmen, er liebte die Meere. Im Jahr 1867 etwa waren er und sein Bruder Paul an Bord, als die „Great Eastern“, ein 211 Meter langer stählerner Segeldampfer mit einem kombinierten Schaufelrad-, Schrauben- und Segelantrieb mit sechs Masten und bis 1901 das größte je gebaute Schiff der Welt, eine Fahrt von Liverpool nach New York machte. Von allen Gewässern findet er den Nordatlantik am besten, das Mittelmeer hingegen kommt ihm langweilig vor, schrieb ein dänischer Journalist im Juni 1881 nach einem Interview mit dem französischen Reisenden, und Verne illustrierte in diesem Interview auch sogleich, warum das so sei: „Wenn ich in Marseille niese“, sagte er, „so scheint es mir, dass ich sie drüben in Afrika rufen höre ‚Gott segne Sie‘.“

Reiseziel Kopenhagen

Der Schriftsteller, der seit 1871 in Amiens an der Somme in Nordfrankreich wohnte, war selbst Schiffseigner, mit der „Saint-Michel III“ hatte sich Jules Verne eine finanzielle Ausschweifung erlaubt, die die größte seines Lebens bleiben sollte, schrieb Volker Dehs in seiner maßgeblichen Verne-Biografie. Im Juni 1881 in Wilhelmshaven war Verne drauf und dran, sein ursprüngliches Reiseziel Kopenhagen aufzugeben, aber er sollte die dänische Hauptstadt schließlich doch noch sehen – unter Umständen, die Paul Verne in einer Reportage festgehalten hat. In Wilhelmshaven standen die Maschinen der Yacht bereits unter Dampf, als noch deutsche Gäste auf das Schiff kamen: „An Bord erscheinen ein für die Torpedos zuständiger Korvettenkapitän, ein Ingenieur; dann der Graf von Roon“, notierte Jules Verne in seinem Bordtagebuch, und: „Sie weisen auf einen Kanal hin, der von Tönning nach Kiel führt.“ Verne wollte diese Möglichkeit nutzen, es gab aber Bedenken, ob die „Saint Michel III“ überhaupt durch die Schleusen passen würde. Am Abend des 15. Juni 1881 machte das Schiff in Tönning fest, der Schiffseigner ließ Kohle bunkern und einen Eider-Lotsen engagieren. Dann ging die Fahrt die mäandrierende Eider hinauf, den alten Grenzfluss, der nicht nur Holstein von Schleswig trennte, sondern auch das Heilige Römische Reich von seinem dänischen Nachbarn im Norden. In Rendsburg kam Jules Vernes Reisegesellschaft an die erste Schleuse, deren Passage nur um Haaresbreite gelang. Nun lief er in die Obereider und dann in den eigentlichen Kanallauf ein.

Größter Kanal Europas in Betrieb

Dieser Kanal war nur möglich geworden, weil 1773 Schleswig und Holstein nach einem Gebietstauschvertrag nun Teile des dänischen Gesamtstaats wurden, der von Altona an der Elbe bis zum Nordkap reichte. Der dänische König war jetzt der einzige Landesherr für Schleswig und Holstein. Damit war eine wesentliche Voraussetzung für den Bau eines Kanals erfüllt. Im 18. Jahrhundert entfaltete auch im dänischen Gesamtstaat die merkantilistische Wirtschaftspolitik ihre Wirkung, Ziel war das Streben nach größtmöglicher Förderung der produktiven Kräfte im Inland durch staatliche Impulse und der Erwirtschaftung von Überschüssen im Außenhandel. Dafür war ein Kanal zwischen Nord- und Ostsee ein ideales Infrastrukturvorhaben. Im Jahr 1774 erteilte der König den Planungsauftrag, 1777 begannen die Arbeiten zum Ausbau der Untereider von Tönning bis Rendsburg, zum Ausheben des eigentlichen Kanalbetts vom Flemhuder See bis zur Kieler Förde und zur Errichtung von sechs Schleusenanlagen, die den Wasserstand regulierten. Im Oktober 1784 konnte der größte Kanal Europas in Betrieb gehen, Dichter der Zeit – Johann Gottfried Seume und Friedrich Gottlieb Klopstock allen voran – besangen das bauliche Wunderwerk, die anmutige Landschaft rundum, in der strahlend weiße, klassizistische Herrenhäuser lagen. 

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Original-Illustration, die Jules Vernes Yacht auf der Fahrt durch Schleswig-Holstein zeigt © Archiv Diogenes Verlag/Sammlung Trende

Als Jules Verne auf der „Saint Michel III“ ein Jahrhundert später von Rendsburg in Richtung Kieler Förde dampfte, sah er noch dieselbe Szenerie. Die großen Hoffnungen, dass der Kanal die Industrialisierung im Norden beflügeln würde, waren nicht in Erfüllung gegangen. „Die Fahrt scheint nach unbekannten Welten zu gehen“, heißt es in Paul Vernes Text über die Entdeckungsfahrt, die die Dampfyacht zwischen Rendsburg und Kiel unternahm. Vor allem durch diesen Satz ist die Schilderung der Reiseerlebnisse mit den Romanen und Erzählungen aus dem Zyklus der „Voyages extraordinaires“, der Außergewöhnlichen Reisen des Schriftstellers Jules Verne verbunden. Die Reportage „Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht ‚Saint Michel‘“ stand schon Anfang August 1881 in Frankreich in der Zeitung, bevor sie größere Verbreitung dadurch erlangte, dass sie als Anhang zu Jules Vernes in zwei Bänden erschienenem Amazonas-Roman „Die Jangada“ 1881 nochmals veröffentlicht wurde.

Technisches Wunderwerk überholt

Die Reportage von Paul Verne bezaubert vor allem dort besonders, wo sie von der Passage durch Schleswig-Holstein handelt, durch die eigentümliche, heitere Stimmung von Naturbeobachtungen und der Schilderung von Schifffahrtserlebnissen, der Text klingt wie eine Mischung aus frühem „nature writing“ und Seemannsgarn. 

In Kiel angekommen, entging Jules und Paul Verne nicht, dass der Hafen für die Kaiserliche Marine ausgebaut und befestigt wurde. Sie nahmen auch wahr, dass die Vorbereitungen für einen neuen Kanal begonnen hatten, durch den die beiden kaiserlichen Marinestützpunkte Wilhelmshaven und Kiel miteinander verbunden werden sollten. Die Abmessungen der Schiffe waren über die Maßstäblichkeiten des alten Kanals hinausgewachsen. Der Verne’sche Text wurde so auch zu einem Sinnbild dafür, dass das einstige technische Wunderwerk Ende des 19. Jahrhunderts seine besten Tage hinter sich gelassen hatte. Eine neue Zeit kündigte sich an, und ein neuer Kanal auch.

Herrliches Schleswig-Holstein

Die Verne’sche Reisegesellschaft erreichte Kopenhagen und trat nach einigen Tagen in der dänischen Hauptstadt die Rückreise an – wieder durch Schleswig-Holstein. Für Mittwoch, den 29. Juni 1881, trug der Schriftsteller auf dem Heimweg in sein Bordbuch ein: „Wir laufen um 2 1⁄2 des Morgens aus. Die Eider hat bis zur Mündung Mäander. Während des ganzen Tages weht uns der Westwind entgegen. Wir haben klare Sicht auf Helgoland mit seinen roten Felsen. Die Insel sieht aus wie das Haupt der Sphinx.“ Das Resümee seiner Eindrücke von der Durchquerung Schleswig-Holsteins hatte Jules Verne aber schon zwei Tage vorher auf dem Kanal notiert: „Es ist ein herrliches Land.“ 


Buchtipp



Frank Trende

Jules Verne auf Eider und Kanal

Boyens Buchverlag, Juni 2020, 14,95 Euro

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Frank Trende

Frank Trende, RC Rendsburg-Mittelholstein ist Ministerialdirigent und hat sich zudem einen Namen als Autor kulturgeschichtlicher Bücher gemacht. Er ist im Schatten der Neulandhalle aufgewachsen und hat sich mit der spezifischen nationalsozialistischen Vergangenheit seines Heimatorts in den Büchern Neuland! war das Zauberwort. Neue Deiche in Hitlers Namen und Die Neulandhalle in Dithmarschen, beide Boyens Buchverlag, auseinandergesetzt.

 

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