Forum

Biss ins Glück

von Peter Peter |
| Lesezeit: 3 Minuten

Zwischen Berlin, Wien und Norditalien haben Krapfen viele Namen, viele Gesichter und viele Geschmäcker. Eine Kulturgeschichte des Schmalzgebäcks

 

 

 

Vor der Kathedrale von Perugia, wo ich Italienisch studiert habe, steht die Fontana Maggiore, der berühmteste Brunnen des Mittelalters. Auf den Marmorplatten des Beckens haben die Bildhauer Niccolò und Giovanni Pisano die Sternzeichen und die dazu passenden Monatsarbeiten eingemeißelt. Das Dezemberrelief zeigt eine Schweineschlachtung. Und das bedeutet Schmalz, viel ausgelassenes Schmalz.

Womit wir fast schon beim Krapfen oder Berliner wären. Denn der ist ein typisches Wintergebäck, erfreut als Weihnachts-, Silvester- und Fastnachtsschleckerei. Und wurde bis vor wenigen Jahrzehnten ausschließlich in Schmalz herausgebacken, es sei denn, es herrschte katholisch-veganes Fastenverbot.

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass moderne Pfannkuchen kaum noch einen knusprigen Boden haben? Das hängt damit zusammen, dass echtes Schmalzgebäck heute ziemlich verpönt ist – man frittiert lieber in veganen Ölen, die nicht so hoch erhitzbar sind. Wer heute noch echte Schmalzkrapfen kosten will, muss schon die Expedition in abgelegene Kärntner oder Tiroler Berghütten auf sich nehmen. Selbst die legendäre Münchner Schmalznudel am Viktualienmarkt, Erbin einer jahrhundertealten Tradition, frittiert ihre flachen Auszognen, ihre aus dem lombardischen Pavia über die Alpen gewanderten Pofesen und ihre Stritzerln nur noch in Sonnenblumenöl. Und auch die Frittelle-Bällchen, die überall im venezianischen Karneval angeboten werden, brutzeln längst nicht mehr im tierischen strutto.

Dafür ist dem Ideenreichtum der Füllungen und Glasierungen keine Grenze mehr gesetzt. Früher ging es um die Frage Puderzucker oder nicht und ansonsten um herbstliches Pflaumenmus, Erdbeerkonfitüre, Hiffenmark aus Hagebutten oder im Krapfenparadies Wien um Marillenmarmelade. Heute steht die Berliner Schickeria zu Silvester vor dem französischen Nobelkaufhaus Galeries Lafayette Schlange, um doughnut-bunte Pfannkuchen zu erwerben, die mit Champagnercreme, weißer Schokolade, Grand Marnier, Baileys, Nutella oder Erdnussbutter gefüllt sind. Der boshafte klassische Spottberliner, gefüllt mit Sägespänen oder Senf, ist nicht erhältlich. Den muss man schon selbst einspritzen.

Angesichts solcher Kreativität verblasst der alte lokalpatriotische Streit, wie die runden Gebäcke denn heißen. In Österreich, wo es auch salzige Zillertaler Bauernkrapfen mit Graukas und Pongauer Fleischkrapfen gibt, fabelt man von einer Wiener Krapfenerfinderin Cäcilie Krapf. Die tüchtige Feinbäckerin scheint es tatsächlich gegeben zu haben, ihre süßen mit Obst gefüllten Cilly-Krapfen fanden auf dem Wiener Kongress reißenden Absatz. Für den peniblen Historiker ziemlich spät, wenn man bedenkt, dass Dokumente bereits im 9. Jahrhundert das Wort crapho erwähnen. Dafür passt die Erfinderlegende des Namens Berliner perfekt zum militaristischen Image Preußens. Ein schießwütiger Geselle, der sich beim Alten Fritz als Kanonier beworben hatte, aber nur als Regimentsbäcker verpflichtet wurde, soll sich aus Frust seine Kanonenkugeln eben gebacken haben. Ziemlich erfolgreich, denn selbst in Paris heißen sie boules de Berlin – Berliner Kugeln, während Norditalien zuckerbäckermäßig an seiner k.u.k.-Vergangenheit festhält. Venedigs Pasticcerie schmücken ihre Auslagen jedenfalls gerne mit strudel und crafen, so die korrekte italienische Schreibweise. Ich persönlich hege allerdings eine bisher nicht ausgelebte Leidenschaft für den Aachener Begriff Puffel. Zumal da meine Lieblingsfüllung Pflaumenmus drin sein soll.

 

 

 

Peter Peter

Aus dem Magazin

Die Kraft des Singens
12 / 2025
Unter die Haut: Tattoos
11 / 2025
Die Rente ist sicher
10 / 2025
Als Gott auszog – Gedanken zur Umwidmung von Kirchen
09 / 2025
Österreich - Erinnerungen an die Zukunft
08 / 2025
Comeback des Sportvereins
07 / 2025
Man muss Menschen mögen
06 / 2025
Alles auf Anfang
05 / 2025
Cool Japan
04 / 2025
Mut zum Bruch: Deutschland nach der Wahl
03 / 2025
Gehasst oder geliebt?
02 / 2025
Wettrüsten im All: Wie Europa abghängt wird
01 / 2025
08/2024
08 / 2024
07/2024
07 / 2024
06/2024
06 / 2024
05/2024
05 / 2024
04/2024
04 / 2024
03/2024
03 / 2024
02/2024
02 / 2024
01/2024
01 / 2024