Standpunkt
von Rupert Graf Strachwitz |
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Der Erfolg gemeinwohlorientierten Handelns lässt sich nicht messen, allenfalls schätzen. Wichtig ist rigorose selbstkritische Evaluation, entkoppelt von Spendermarketing.

Ob Rotary Club, internationale NGO oder Stiftung – jede zivilgesellschaftliche Organisation (ZGO), die sich aufmacht, etwas für das Gemeinwohl zu tun, will natürlich wissen, ob das, was sie tut, Sinn ergibt und zu positiven Ergebnissen führt. Dabei ist sie aber mit einer unüberwindbaren Schwierigkeit konfrontiert. Die Messgröße, mit der jedes Wirtschaftsunternehmen den Erfolg misst, steht ihr nicht zur Verfügung: der wirtschaftliche Erfolg, die „bottom line“. Ihr muss es um ideelle und andere Erfolge gehen. In der Forschung wird daher davon gesprochen, dass ZGOs eine „multiple bottom line“ haben – oder auch gar keine „bottom line“. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die Zivilgesellschaftsforschung ebenso wie die Praxis mit diesem Problem und hat als Königsweg den sogenannten Impact entwickelt, das heißt die Wirkung, die ein Projekt, eine Fördermaßnahme oder eine Spende haben und die man angeblich messen kann. Diesen Messversuchen stand ich immer skeptisch gegenüber, nicht nur weil Albert Einstein einmal gesagt haben soll: „Not everything you can measure counts, and not everything that counts can be measured.“ In der Tat sind die wesentlichen Attribute gemeinwohlorientierten Handelns, Philanthropie und Empathie (früher sagte man Nächstenliebe oder Barmherzigkeit), nicht messbar und sind doch unabdingbare Voraussetzungen und Faktoren für das Zusammenleben der Menschen auf diesem Planeten. Zudem berücksichtigt die Impact-Messung kaum einmal die langfristigen Folgen des Handelns. Man lügt sich da oft selber in die Tasche, denn man will ja ein Projekt abschließen und etwas Neues anfangen – bei Rotary oft schon nach dem nächsten 1. Juli.

Ein simples Beispiel: Wenn ein Rotary Club in einem Dorf auf der Südhalbkugel eine Schule bauen hilft, lässt sich gut dokumentieren, was der Bau gekostet hat und dass jetzt eine Schule da ist, wo vorher keine war. Lachende Kindergesichter scheinen zu beweisen: Das war eine gute Tat. Ob sich diese Schule 20 Jahre später zu einer Mafia-Kaderschmiede entwickelt hat, wird man allerdings dann erst sehen und auch dann nicht messen, sondern allenfalls durch geduldige Recherchen erfahren können.

Leitstern der Philanthropieforschung

Das Stichwort vom Impact und seiner angeblichen Messbarkeit ist dennoch vielfach zum Leitstern der Philanthropieforschung geworden. Gian Paolo Barbetta, Ökonom und seit Jahrzehnten ausgewiesener Zivilgesellschaftsexperte an der Università Cattolica in Mailand, hat dagegen 2022 auf einem Stiftungskongress der Compagnia di San Paolo, der ältesten und größten italienischen Stiftung, Ergebnisse seiner Forschung zu diesem Thema präsentiert und diese im Januar 2023 im Berliner Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft erneut zur Diskussion gestellt. Er stellt die These auf, dass Impact schon deshalb nicht messbar sein kann, weil eine von zwei Variablen, die für eine solche Messung erforderlich sind, prinzipiell nicht exakt bestimmbar ist: die Folgen des Nichthandelns. Hätte sich das Dorf, dem man die Schule gebaut hat, auch ohne die Hilfe positiv entwickelt? Hätte es vielleicht selbst die Schule gebaut, dabei Solidarität entwickelt und damit letztlich mehr erreicht? Niemand kann das sagen. Daher fordert Barbetta, sich von dem Begriff der Impact-Messung zu verabschieden. Allenfalls dürfe man von einer Impact-Schätzung sprechen.

Das heißt für ihn nicht, die Beschäftigung mit der Wirkung vollständig abzuräumen. Barbetta sieht dafür allerdings weitere wichtige Kriterien:

1. Nicht für jede Tätigkeit macht eine Fixierung auf die Wirkung überhaupt Sinn. Wer beispielsweise in der Mildtätigkeit, der Hilfe für Personen in Not oder in der Themenanwaltschaft („advocacy“) oder Wächterfunktion (als „watch dog“) unterwegs ist, hat mit einer so großen Grundgesamtheit zu tun, dass man sinnvollerweise zwar die Effektivität, also Qualität des Handelns, nicht oder kaum einmal hingegen die Wirkung im Sinne eines Effekts prüfen kann.

2. Gute Beispiele (Best Practice) zum Vergleich heranzuziehen, wie es vielfach geschieht, kann in die Irre führen, weil die Parameter meist zu unterschiedlich sind. Besser ist es, aus eigenen und fremden Misserfolgen und Fehlschlägen zu lernen und durch beharrliches und mutiges Experimentieren Erfahrungen zu sammeln.

3. Rigorose selbstkritische Evaluation, die nicht mit Spendermarketing verkoppelt wird und einen offenen Blick für den sozialen Wandel und gesellschaftliche Entwicklungen einbezieht, kann in Verbindung mit gewissenhaften Schätzungen der Wirkung duchaus erfolgreich sein.

Auf diese Weise neu definiert, hat Impact durchaus seinen legitimen Stellenwert. Das Ziel bleibt klar: Auch für das Handeln einer ZGO steht neben der Empathie die Qualität obenan.

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Rupert Graf Strachwitz

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