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von Ahmad Mansour |
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Der radikale politische Islam spricht in jüngster Zeit verstärkt über die sozialen Medien Jugendliche an. Das ist nicht ungefährlich.

Der Islamismus ist nirgendwo besiegt. Der Niedergang des IS in Syrien und im Irak, die Zerschlagung der salafistischen Strukturen in Europa waren nur Etappensiege in einem langen Kampf gegen islamistisches Gedankengut und vor allem im Kampf um die Muslime in Europa. Die Extremisten sind nicht verschwunden. Sie formieren sich neu, nutzen das Vakuum, das die alten Gruppierungen hinterlassen haben, tauchen in neuem Gewand auf. Diesmal vor allem in sozialen Medien.

Der Islamismus hat sich in den letzten Jahren von einer alten Ideologie, die auf komplizierter muslimischer Theologie beruht und von ihren Anhängern die Befolgung klarer religiöser Regeln verlangt, zu einer modernen Jugendkultur transformiert, die viel besser als so mancher Sozialarbeiter in der Lage ist, die Themen, Gefühle und Welten der Jugendlichen anzusprechen – auch hier in Europa. Dabei spielen die sozialen Medien eine entscheidende Rolle. Denn heutzutage müssen Jugendliche nicht mehr die Hinterhof-Moschee besuchen, um mit islamistischer Propaganda in Kontakt zu kommen.

Beispiele für prominente neue Formen des Islamismus in den sozialen Medien Deutschlands sind Gruppierungen wie „Realität Islam“, „Generation Islam“ und „Muslim Interaktiv“. Gruppierungen, die laut Verfassungsschutz eine ideologische Nähe zu der verbotenen Organisation Hisb ut-Tahrir aufweisen, welche die Errichtung eines islamischen Kalifats weltweit anstrebt.

Muslime als Opfer böser Mächte

Diese neuen Gruppierungen agieren autark und vermischen ganz geschickt Online-Angebote mit Offline-Aktionen auf den Straßen, um ihre Themen zu verbreiten. Bei der Ansprache von Jugendlichen über die sozialen Medien bedienen sich radikale Islamisten verschiedener Elemente der Jugendkultur. Die Inhalte werden von Jugendlichen für Jugendliche aufbereitet und vermittelt. Dabei sprechen die Akteure der besagten Gruppierungen Hochdeutsch und adressieren relevante Alltagsthemen der Jugendlichen. Sie füllen die Inhalte mit Emotionen, schaffen Opfer- und Feindbilder und produzieren hochprofessionelle Formate für die unterschiedlichen Social-MediaKanäle. Sie rufen nicht mehr zum Dschihad auf oder beschäftigen sich mit hochkomplexen theologischen Angelegenheiten. Nein, sie beschäftigen sich mit politischen Diskursen hier in Deutschland, die die meisten Jugendlichen kennen und von denen sie emotional betroffen sind: vom Kopftuchverbot für Kinder über die Zustände in den palästinensischen Gebieten, die Integration bis hin zur Wiederveröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in Frankreich. Dabei geht es ihnen nicht darum, diese Themen sachlich zu beleuchten, sondern darum, Muslime als Opfer von bösen Mächten darzustellen, die den Islam bekämpfen wollen. Sie fördern Dualismus und schüren die Angst vor einem angeblich professionell koordinierten Kampf gegen den Islam. Genau diese Darstellungen sollen bei den Jugendlichen eine Grundskepsis gegenüber dem deutschen Staat erzeugen und ihnen vermitteln, dass ihre Religion angegriffen wird.

Es geht diesen Gruppierungen aber nicht nur um gemeinsame Themen. Darüber hinaus bieten sie Jugendlichen auch die Zugehörigkeit zu einer Elite, geben ihnen Orientierung und Halt, schaffen einen modernen Zugang zu Religion und Tradition, eine klare Identität und die Möglichkeit, gegen Autoritäten zu rebellieren.

Über die Kleidung, gemeinsame Symbole, Gesten und Begriffe kann man auf der Straße oder in den sozialen Medien Gleichgesinnte erkennen. Gerade diese Symbolsprache weist eine wirkmächtige Mischung aus ideologischen Inhalten und einer Jugendästhetik auf, die „street credibility“ demonstriert und vordergründig cool und politisch wirken soll. Kleine Icons gegen das Kopftuchverbot oder ein Bild vom Tempelberg in Jerusalem etwa.

Mit dieser emotionalen, Außenstehenden oft verborgen bleibenden Zeichensprache können sich Jugendliche identifizieren und verständigen. Sie ist perfekt an deren Mode angepasst und schafft ein Zugehörigkeitsgefühl. Hinzu kommt oft das Moment der Rebellion, das offensive Zurschaustellen der eigenen Religionszugehörigkeit als Protest gegen die Mehrheitsgesellschaft. Doch hinter dieser scheinbaren Jugendkultur steckt eine fatale Ideologie, die die Demokratie nach und nach aufweichen kann. Wenn unentdeckt bleibt, dass sich Jugendliche einer radikalen Ideologie verschreiben und sie die Welt, die Politik, Deutschland und ihre Religion nur noch aus dieser Perspektive betrachten, entwickeln diese jungen Menschen eine Distanz zur restlichen Bevölkerung, die in Parallelgesellschaften, Hass und weitere Radikalisierung münden kann. Setzen die Jugendlichen die radikalen Vorstellungen dann in die Praxis um, werden sie zur echten und akuten Gefahr für die Demokratie und die Integration.

Ahmad Mansour

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