Was Rotarys Länderauschuss zur Entwicklung in Israel sagt

Stellungnahme des Rotary Länderausschusses Deutschland–Israel vor dem Hintergrund des grassierenden Antisemitismus
1. Begriffsbestimmungen
1.1 Antisemitismus
Wir orientieren uns an der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die auch von der EU und der Bundesregierung verwendet wird. Demnach ist Antisemitismus ein bestimmtes Bild von Jüdinnen und Juden, das sich in Feindschaft, Hass, Abwertung und Gewalt gegen jüdische oder als jüdisch wahrgenommene Menschen, ihre Einrichtungen und Symbole äußern kann.
Diese Feindschaft kann sich unter anderem zeigen in:
• Verschwörungsmythen über „die Juden“
• Schuldzuweisungen an Jüdinnen und Juden für reale oder imaginierte Missstände
• Angriffen auf Synagogen, Gedenkorte, jüdische Schulen, Vereine oder Einzelpersonen
Zivilgesellschaftliche Meldestellen dokumentieren seit Jahren einen deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland; seit 2023 überwiegen israelbezogene Erscheinungsformen deutlich.
1.2 Israelbezogener Antisemitismus
Unter israelbezogenem Antisemitismus verstehen wir Formen, in denen sich Judenfeindschaft vorrangig über Aussagen zu Israel artikuliert. Typische Muster sind etwa:
• Jüdinnen und Juden in Deutschland werden pauschal für israelische Politik verantwortlich gemacht.
• Israel wird dämonisiert (siehe unten), als grundsätzlich „böse“ oder „genozidal“ beschrieben.
• Israel wird mit dem NS-Regime oder dem Holocaust gleichgesetzt, wodurch die Shoah relativiert oder instrumentalisiert wird.
• „Die Zionisten“ oder „Israel“ werden als allmächtig oder als „Weltfeind“ dargestellt.Solche Muster überschreiten die Grenze legitimer Kritik an konkreten
Regierungsentscheidungen und werden zu antisemitischen Projektionen auf den jüdischen
Staat.
1.3 Dämonisierung Israels
Dämonisierung ist eines der Kriterien des sogenannten 3D-Tests (Dämonisierung, Delegitimierung, Double Standards) zur Unterscheidung zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus.
Dämonisierung liegt vor, wenn:
• Israel oder „die Israelis“ grundsätzlich als Inkarnation des Bösen dargestellt werden,
• israelische Politik systematisch in Kategorien des „absolut Bösen“ beschrieben wird (z. B. ständige NS-Vergleiche, Täter-Opfer-Umkehr),
• Gewalt gegen Israel oder Jüdinnen und Juden offen bejubelt oder gerechtfertigt wird.
Dämonisierung ersetzt differenzierte Kritik durch Entmenschlichung und moralische Totalverurteilung – sie ist ein klares Signal für Antisemitismus.
1.4 Delegitimierung Israels
Ebenfalls Teil des 3D-Tests ist die Delegitimierung Israels. Sie liegt vor, wenn:
• das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat grundsätzlich bestritten wird,
• der jüdischen Bevölkerung das Recht auf nationale Selbstbestimmung abgesprochen wird,
• die Existenz Israels pauschal als „rassistisch“ oder „Kolonialprojekt ohne Legitimität“ bezeichnet wird, unabhängig von konkreten politischen Fragen.
Solche Positionen gehen über Kritik an konkreten Regierungen und Entscheidungen hinaus und richten sich gegen das Fundament eines anerkannten UN-Mitgliedstaates.
1.5 Postkolonialismus
Postkolonialismus ist zunächst ein wissenschaftlicher und politischer Ansatz, der die bis heute nachwirkenden Folgen von Kolonialismus analysiert: Machtstrukturen, Rassismus, ökonomische Ausbeutung, kulturelle Entwertung und die Stimmen ehemals Kolonisierter.
In der aktuellen deutschen Debatte gilt:
• Postkoloniale Theorie ist nicht per se antisemitisch. Sie kann helfen, Rassismus, Machtmissbrauch und Gewalt kritisch zu beleuchten.
• Zugleich zeigen Studien, dass in Teilen postkolonialer Diskurse problematische Israelbilder vorkommen: Gleichsetzungen Israels mit dem NS-Regime, Reduktion des Nahostkonflikts auf ein simples „Kolonialmacht vs. Kolonisierte“-Schema, Relativierungen der Shoah.
Der Länderausschuss Deutschland–Israel setzt sich für eine differenzierte Betrachtung ein: Rassismus- und Kolonialismuskritik sind wichtig, dürfen aber nicht dazu führen, israelbezogenen Antisemitismus zu verharmlosen oder neue Feindbilder zu konstruieren.
2. Aktuelle Lage
Zivilgesellschaftliche Meldestellen und Sicherheitsbehörden berichten seit 2023/24 von einem drastischen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland. Besonders häufig sind:
• israelbezogene Beschimpfungen und Bedrohungen bei Demonstrationen, in sozialen Medien und im Alltag,
• Angriffe auf jüdische Einrichtungen, Gedenkorte und Personen,
• Boykott-, Ausschluss- oder Cancel-Praktiken gegenüber jüdischen oder israelischen Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und Studierenden allein aufgrund ihrer Herkunft oder Identität.
Für viele Jüdinnen und Juden in Deutschland ist der Alltag spürbar unsicherer geworden – Synagogenbesuche, jüdische Feiertage oder sichtbare jüdische Identität werden zunehmend als Risiko erlebt.
3. Haltung des Länderausschusses Deutschland–Israel
3.1 Unverrückbare Grundsätze
Der Länderausschuss Deutschland–Israel erklärt:
I. Unbedingte Solidarität mit jüdischem Leben in Deutschland
Wir stehen an der Seite von Jüdinnen und Juden in Deutschland, die das Recht haben, sichtbar,
sicher und selbstbewusst zu leben – ohne Angst vor Anfeindungen, Bedrohungen oder Gewalt.
II. Anerkennung des Existenzrechts Israels
Wir bekennen uns zum Recht Israels, als demokratischer und jüdischer Staat in anerkannten,
sicheren Grenzen zu existieren. Dies entspricht der deutschen Staatsräson und zahlreichen
Beschlüssen des Deutschen Bundestags.
III. Klare Ablehnung jeder Form von Antisemitismus
Antisemitismus ist inakzeptabel – gleichgültig, ob er aus rechtsextremen, islamistischen,
linksextremen, postkolonialen, verschwörungsideologischen oder anderen Milieus kommt.
IV. Unterscheidung von legitimer Kritik und Antisemitismus
Konstruktive, sachliche Kritik an israelischer Regierungspolitik – etwa zu Siedlungsbau,
Menschenrechten oder Friedensperspektiven – ist legitim und Teil demokratischer Debatten.
Antisemitismus beginnt dort, wo:
• Israel oder „die Israelis“ dämonisiert werden,
• das Existenzrecht Israels bestritten wird (Delegitimierung),
• mit zweierlei Maß gemessen wird (Double Standards),
• Jüdinnen und Juden kollektiv für israelische Politik verantwortlich gemacht werden.
3.2 Zum Umgang mit postkolonialen Diskursen
Wir erkennen die Bedeutung postkolonialer Perspektiven für die Analyse von Rassismus, Machtasymmetrien und globaler Ungleichheit an. Gleichzeitig sehen wir die Verantwortung, dort klare Grenzen zu ziehen, wo:
• Israel ausschließlich als „koloniales Siedlerprojekt“ beschrieben wird, ohne die Geschichte jüdischer Verfolgung, Shoah und die Verwurzelung jüdischer Gemeinschaften im Land zu berücksichtigen,
• der Holocaust relativiert oder instrumentalisiert wird, um Israel zu dämonisieren,
• jüdische oder israelische Stimmen aus vermeintlich antikolonialen Bündnissen ausgeschlossen werden.
Wir fordern, dass postkoloniale Ansätze in Wissenschaft, Bildung und Kultur:
• Antisemitismus explizit als eigene, spezifische Form von Menschenfeindlichkeit reflektieren,
• jüdische und israelische Perspektiven nicht marginalisieren,
• Rassismus- und Antisemitismusbekämpfung gemeinsam denken – nicht gegeneinander ausspielen.
4. Konkrete Erwartungen an Politik, Gesellschaft und unsere eigenen Reihen
I. Stärkung von Bildung und Aufklärung
• Verbindliche und qualifizierte Bildungsangebote zu jüdischer Geschichte, Shoah, Formen des Antisemitismus (inklusive israelbezogener Varianten) und zur komplexen Geschichte des Nahostkonflikts.
• Förderung von Projekten, die jüdisches Leben in seiner Vielfalt sichtbar machen.
II. Konsequentes Handeln gegen antisemitische Vorfälle
• Niedrigschwellige Meldesysteme und Unterstützung für Betroffene.
• Konsequente strafrechtliche Verfolgung antisemitischer Straftaten.
III. Klare Standards in Bildungseinrichtungen, Kultur und Zivilgesellschaft
• Universitäten, Schulen, Kultureinrichtungen und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen sicherstellen, dass jüdische und israelische Personen nicht aus Angst vor Anfeindungen ausgeschlossen, boykottiert oder „ausgeladen“ werden.
• Kritik an israelischer Politik ist möglich, wenn sie die Grenzen von Dämonisierung und Delegitimierung respektiert.
IV. Verantwortung in unseren eigenen Programmen und Veranstaltungen
Der Länderausschuss Deutschland–Israel verpflichtet sich selbst und empfiehlt allen Partnern:
• Bei Veranstaltungen keine Symbolik, Parolen oder Redebeiträge zuzulassen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen oder Gewalt gegen Jüdinnen, Juden oder Israelis legitimieren.
• Räume zu schaffen, in denen jüdische, israelische, palästinensische und weitere Stimmen gemeinsam über Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit sprechen – explizit auf der Basis der Ablehnung von Terror, Antisemitismus und jeder Form von Rassismus.
• Innerhalb der rotarischen Familie mit gutem Beispiel voranzugehen: durch bilaterale Projekte, Schüler- und Studierendenaustausch, Städtepartnerschaften und gemeinsame humanitäre Initiativen in Israel, Deutschland und der Region.
V. Antisemitismus ist nicht nur ein Problem für Jüdinnen und Juden sondern für unser gesamtes westliches Wertesystem, das auf Gleichberechtigung, Toleranz und Vielfalt beruht. Er ist somit Angriff auf unsere moderne pluralistische Gesellschaft, die zur Grundlage hat, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft und Religion gleichberechtigt sind und mit Respekt behandelt werden. Dies ist für uns Rotarier ein zentraler Gedanke.
5. Schlusswort
Der Länderausschuss Deutschland–Israel versteht sich als Brückenbauer zwischen Menschen in Deutschland und Israel. Gerade in einer Zeit, in der Antisemitismus wieder offen auftritt, jüdisches Leben auch hierzulande bedroht ist und Debatten über Israel zunehmend polarisiert geführt werden, bekräftigen wir:
• Antisemitismus ist mit unseren Werten unvereinbar.
• Die Sicherheit jüdischen Lebens und das Existenzrecht Israels sind nicht verhandelbar.
• Kritik an Politik darf nicht zur Feindschaft gegen Juden und Jüdinnen werden.
• Dialog, differenzierte Analyse und gegenseitiger Respekt sind der einzige Weg, der aus Gewalt und Hass herausführt.
Diese Stellungnahme soll Grundlage und Einladung sein, gemeinsam – in Rotary und darüber hinaus – Verantwortung zu übernehmen: für eine Gesellschaft, in der jüdisches Leben sicher ist, Israel als Staat anerkannt bleibt und legitime Kritik ohne Hass möglich ist.



















