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Empfehlungen eines Kenners

Ein guter Jahrgang?

Ingo Swoboda04.01.2012

Wie ist der Jahrgang 2010 ausgefallen, welche Weine sollte man jetzt kaufen, welche lagern, welche am besten gleich trinken? Und wie kann man Qualität im Glas messen? Ein Fragespiel, das jedes Jahr mit dem gleichen Ritus beginnt. Denn an Vorschusslorbeeren hat es auch für das Erntejahr 2010 nicht gemangelt, und auch wenn vermeintliche Fachleute und offizielle Stellen schon im frühen Stadium der Vegetation Prognosen wagen, entscheidet sich die letztendliche Qualität erst im Glas. Bis dahin ist es meist noch ein weiter Weg voller Unwegsamkeiten und Überraschungen. Die einen hängen mit der unberechenbaren Natur zusammen, die jederzeit den hohen Erwartungen einen Strich durch die Rechnung machen kann. Die anderen liegen positiv in der Winzerkunst begründet, die hier und da Schwächen ausgleichen kann, auch ohne in den Chemiekasten zu greifen. Es gilt
also für den Winzer, bis zum letzten Tag der Ernte gleichsam Geduld und Weitsicht zu wahren und im Keller den Mut zu haben, den Weg des Mostes zum Wein durch kontrolliertes Nichtstun zu begleiten und ihm seinen Jahrgangstypischen Charakter zu belassen. Somit ist jeder neue Jahrgang auch ein neues Geschmackerlebnis, eine individuelle Erfahrung aus dem Zusammenspiel Natur und Mensch und nicht zuletzt eine Frage der Rebsorten, die unterschiedlich auf Boden, Klima und Wetter reagieren.
Ob dann ein Wein gut oder weniger gut ist, ist zwar in erster Linie eine Geschmacksfrage, doch gibt es Qualitätsparameter wie etwa das harmonische und ausbalancierte Verhältnis von Frucht, Süße, Säure und Alkohol, die einen Wein laut Experten adeln. Erkennen kann man dies allerdings erst im Glas, doch die handwerklich produzierten Weine renommierter Betriebe, die natürlich ihren Preis haben und nicht für ein paar Euros im Super.markt oder Discounter zu haben sind, garantieren in aller Regel beste Qualität. Dennoch gilt: Qualität ist etwas Subjektives, immer erst selbst probieren, dann kaufen.

KEIN SPITZENJAHR

Der Jahrgang 2010 wird als mittelmäßig in die Annalen eingehen, teils massive Ernteeinbußen und eine früh einsetzende Fäulnis in einigen Anbauregionen haben es den Winzern nicht leicht gemacht. Dennoch: es gibt in 2010 außergewöhnlich gute Weine, Licht und Schatten liegen auch hier dicht beisammen. Wer aus dem aktuellen Jahrgang Weine zum Lagern sucht, wird an den „Ersten“ und „Großen Gewächsen“ nicht vorbei kommen. Die so.genannten „Ersten Gewächse“ aus der Anbauregion Rheingau und die „Großen Gewächse“ aus den übrigen Anbaugebieten, die ausschließlich von Mitgliedsbetrieben des VDP angeboten werden, sind Weine aus bestimmten Rebsorten wie Riesling, Silvaner, Weißburgunder, Grauburgunder, Lemberger, Früh- und Spätburgunder, die nach streng festgelegten Qualitätskriterien produziert werden und über Reifepotenzial verfügen. Also keine Tropfen für den schnellen Konsum, sondern Weine, teils mit spürbar kräftigen Alkoholwerten, für geduldige und passionierte Weintrinker, die Zeit für Genuss haben.

Eine feste Bank sind die straffen und feinfruchtig aus.balancierten „Riesling Großen Gewächse“ aus dem Weingut Toni Jost in Bacharach am Mittelrhein.
Überhaupt sind in diesem Jahr die Rieslinge vom Mittelrhein eine gute Empfehlung, Weingüter wie Didinger in Osterspai, Randolf Kauer in Bacharach und Florian Weingart in Spay bieten durch alle Qualitäten hinweg herrlich strahlende und blitzsaubere Rieslinge mit frischer, animierender Säure. Keine Spur von faulen Trauben und damit unschönen Geschmacksnoten, die Qualität der Weine misst sich an dem Aufwand, nur gesundes Lesegut verarbeitet zu haben. Auch das Anbaugebiet Nahe hat in diesem Jahrgang wieder einiges zu bieten. Mit den „Riesling Großen Gewächsen“ von Helmut Dönnhoff bekommt man 2010 großartige Weine, die voller Riesling-Eleganz stecken und zu den besten im Land zählen. Werner Schönleber vom Weingut Emrich-Schönleber ist ebenfalls eine der besten Adres.se an der Nahe, wenn es um saftige, elegante Rieslinge geht. Seine fruchtsüßen Weine, die auch zu einem herzhaften Essen und asiatischen Gerichten passen, sind eine besondere Empfehlung wert. Der junge Winzer Martin Korell vom Johanneshof in Bad Kreuznach zählt seit Jahren zu den Qualitätssäulen der Region, seine 2010er Kollektion bietet vom einfachen sauberen Gutswein bis zum komplexen edelsüßen Rieslinge eine ganze Reihe an erstklassigen Weinen. Die Pfalz steht dem in nichts nach, renommierte Weingüter wie Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan in Deidesheim, das Weingut Christmann in Gimmeldingen oder das Weingut von Sabine Mosbacher in Forst trumpfen in diesem Jahr mit erstklassigen Rieslingen auf, die sehr deutlich ihre klare Fruchtaromen zeigen und über eine erfrischende Säure verfügen.
Wer lieber in die Burgunder-Kiste greift, findet im badischen Ihringen im Weingut Dr. Heger ein feinfruchtiges „Weißburgunder Großes Gewächs“ aus dem berühmten Winklerberg, gespickt mi mineralischen Noten aus dem Vulkanboden, die für besondere Eleganz im Wein sorgen. Probieren sollte man hier auch die gereiften Rotweine aus Vorjahrgängen, die zu den besten Badens zählen. Am Kaiserstühler Weingut Franz Keller führt auch in 2010 kein Weg vorbei, wunderbar komplex und feinfruchtig elegante weiße, graue und rote Burgunder, aber auch herrlich saftige Müller-Thurgau für jeden Tag stehen hier auf der aktuellen Weinliste. Die Mosel ist in 2010 vor allem in den fruchtsüßen Rieslingen stark, neben den Klassikern wie dem Weingut Dr. Loosen, Sankt Urbans-Hof in Leiwen und Reichsgraf von Kesselstatt in Morscheid bietet die junge Garde wie Eva Clüsserath aus Trittenheim, Oliver Haag aus Brauneberg ebenso wie sein Bruder in Schloss Lieser eine breite Palette an erfrischend fruchtigen Weinen aus besten Mosel-La.gen, bereichert mit eleganten mineralischen Noten aus den steilen Schieferhängen. Immer eine besondere Empfehlung wert sind die außergewöhnlichen Rieslinge aus den legendären Weingütern Egon-Müller Scharzhof und Joh. Jos. Prüm, die nur im ausgesuchten Fachhandel zu bekommen sind.
 Alles in allem zeigt die Erfahrung in Jahrgängen wie 2010, dass renommierte Weingüter gerade in schwierigen Jahrgängen die Nase vorn haben. Wer nach Geheimtipps forscht, sollte in 2010 die Suche einstellen und auf die Weine der deutschen Spitzengüter vertrauen.

Ingo Swoboda
Ingo Swoboda schreibt als Freier Journalist unter anderem für die Zeitschrift „Der Feinschmecker“ und hat zahlreiche Bücher über Wein- und Foodthemen veröffentlicht. Zuletzt erschien „Wild - 200 junge Rezepte natürlich aus dem Wald“ (Neuer Umschau Buchverlag, 2917).

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