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Tichys Denkanstoß

Die Un-Einigung von Brüssel

01.08.2015

Die Mindestrenten in Griechenland sinken von heute 486 Euro auf 180 Euro. Danke, Frau Merkel. Danke, Herr Schäuble.“ Dieser Kommentar auf Twitter von Maria Denaxa machte in den Tagen nach der Brüsseler-Einigung Anfang Juli über ein neues Griechenland-Hilfspaket die Runde. Es ist unerheblich, ob diese Zahlen stimmen; auch dass es in Deutschland keine Mindestrenten gibt und selbst nach der Kürzung die Renten der Griechen mit durchschnittlich 833 Euro deutlich über den 766 Euro in Deutschland liegen. Das ist Faktenhuberei. Sie zählt wenig in der Politik Europas.

Deutschland hat den Schwarzen Peter, weil es darauf besteht, Sozialleistungen wenigstens ansatzweise an die Leistungsfähigkeit Griechenlands anzupassen und die fremdfinanzierte Lücke perspektivisch zu schließen. Nicht Fakten entscheiden, sondern Sichtweisen: Nach diesem Rettungs-Beschluss gibt weiterhin eine Sozialpolitik den Takt vor, die sich die Mittel irgendwie beschafft - und nicht die Wirtschaftspolitik, die mit steigender Leistungsfähigkeit auch wachsende Sozialleistungen ermöglicht. Das kann mittelfristig nicht gut enden.

Trotz der Hilfsleistungen für die Regierung des nationalen Versagens unter Alexis Tsipras geißelten griechische Zeitungen das Maßnahmenpaket anschließend als „Auschwitz“. Reinhard Bütikofer, Chef der Europäischen Grünen, schimpft ebenfalls entlang dieser Linie: Der „herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht, und das ist das von Schäuble“. Das alles ist nicht nur maßlos – und eine Verharmlosung des Holocaust, wenn es doch nur um Mehrwertsteuersätze und Rentenkürzungen geht –, sondern beweist auch, dass der Euro und die Euro-Rettungspolitik Europa spalten.

Die Deutschen werden auf das Volk der Zahlmeister reduziert. Auch in Deutschland wächst die Unzufriedenheit. In Eilsitzungen mussten die Abgeordneten des Bundestages die Ergebnisse bestätigen; Kritiker sehen darin ein Durchwinken wie in einem Marionetten-Parlament.


Neue Bruchlinien in Europa
An dem ökonomischen Winzling Griechenland, der politisch zum Herkules wird, zeigt sich eine neue Bruchlinie innerhalb Europas. Deutschland und andere Staaten der nördlichen und baltischen Euro-Zone setzten durch, dass in den Einzelvorhaben harte Maßnahmen vereinbart wurden; Frankreich und Italien an der Spitze der südlichen Staaten setzten im Gegenzug ein „Grexit-Tabu“ durch. Zugleich wurden Vorschläge der wichtigsten Europa-Politiker in Umlauf gebracht, wonach die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu zentralisieren und ein quasi-staatliches EU-Budget einzuführen sei. Damit sollen zukünftig solche Transfers quasi automatisiert werden. Die Antwort auf einen drohenden Grexit war dessen absolute Tabuisierung.

In der Legitimation der Brüsseler Vereinbarung stehen nicht die Aussichten für Griechenland im Vordergrund, sondern der europäische Zusammenhalt. Denn ein Grexit, so heißt es, würde Europa insgesamt gefährden. Mit dieser Argumentation aber verändert sich unterschwellig dieses Europa. Die Gewichte zwischen den Gemeinschaftsinstitutionen und den Mitgliedsstaaten beginnen sich zu verschieben. Ein noch stärker zentralisiertes Europa, das die geschlossenen Verträge und ihr Austarieren zwischen den Nationalstaaten und der Union nicht mehr kennt, zeichnet sich ab.

Über diese Bruchlinie wurde allerdings im Deutschen Bundestag nicht diskutiert. Parlamentsferien sind das Maß, an dem sich Debatten zu orientieren haben. Europa entwickelt sich dagegen durch Verhandlungen der Regierungen in Brüssel weiter – wir sind der paneuropäischen Transferunion ein großes Stück näher gerückt.