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Damit die Energiewende gelingen kann, müssen Politik und Wirtschaft bisherige Denkmuster und Strukturen infrage stellen

Zeit der Entscheidungen

Vor vier Jahren wurde – als Reaktion auf die Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima – in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie und der Ausbau einer nachhaltigen Versorgung mittels erneuerbaren Energien beschlossen. Über den richtigen Weg zu diesem Ziel wird seitdem gestritten. Kritikpunkte sind u.a. die steigenden Strompreise und die Frage, wie die durch Wind- und Wasserkraft gewonnene Energie zu den Verbrauchern kommt. Anmerkungen zu einem Kernthema unserer Volkswirtschaft und Gesellschaft.

Johannes Teyssen01.07.2015

Der Klimaschutz ist wieder dort, wo er hingehört: unter den wichtigsten Punkten auf der Agenda der internationalen Politik. Dies ist ein veritables Comeback, an das viele schon nicht mehr geglaubt haben. Wegweisend war der Beschluss der EU, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu senken. Ein wichtiges Signal war auch die Klimavereinbarung zwischen den USA und China, in der beide Länder sich zu substantiellen klimapolitischen Anstrengungen verpflichten. Und jetzt hat der G7-Gipfel in Elmau ein überraschend deutliches Plädoyer für eine Dekarbonisierung der globalen Volkswirtschaften bis Ende dieses Jahrhunderts vorgelegt. Bis 2050 sollen die globalen Treibhausgasemissionen um bis zu 70 Prozent vermindert werden. Dies alles verbessert deutlich die Erfolgsaussichten der Klimakonferenz im Dezember in Paris. Die Dekarbonisierung der Energiestrukturen ist eine Jahrhundertvision, die nicht Vision bleiben muss, denn die Technologien, sie zu verwirklichen, sind vorhanden oder erkennbar auf dem Weg. Worauf es aber nicht minder ankommt, sind klare Entscheidungen und der feste Wille von Politik und Unternehmen, bisherige Denkmuster und Strukturen infrage zu stellen.

Mehr Nachhaltigkeit in der Politik!

Mit immer neuen Vorschriften, Einzelmaßnahmen und wechselnden Eingriffen kann man die Energiestrukturen hochentwickelter Volkswirtschaften nicht umbauen. Dies geht nur mit intelligenten und langfristig verlässlichen Rahmenbedingungen. Ganz in diesem Sinne haben sich die G7-Staaten für systematische, markt-basierte Instrumente wie etwa Emissionshandelssysteme oder CO2-Steuern ausgesprochen. Denn diese Instrumente können wirksame Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien geben und so die besten und zugleich kosteneffizientesten Lösungen zum Durchbruch bringen.

Dies sollte Richtschnur sein auch für die in der deutschen Klima- und Energiepolitik anstehenden Weichenstellungen. Dabei geht es vor allem um zwei Fragen: Wie kann das deutsche Klimaziel von minus 40 Prozent bis 2020, das um einige Prozentpunkte verfehlt zu werden droht, doch noch erreicht werden? Und wie kann im Umbau der Energiestrukturen die Sicherheit der Stromversorgung gewährleistet bleiben? In beiden Fällen stehen punktuelle Reparaturmaßnahmen gegen nachhaltige, systematische Lösungen. In den letzten Jahren obsiegten allzu oft kurzfristige Eingriffe, die schon bald, wie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, neue kurzfristige Reparaturmaßnahmen notwendig machten. Wollen wir so fortfahren? Darauf laufen manche Vorschläge hinaus. So würde eine nationale Klimaabgabe das Dickicht der Einzelmaßnahmen nur weiter vergrößern und Deutschland von einer einheitlichen Klimapolitik in Europa mit ihren beträchtlichen Effizienzvorteilen abrücken lassen. Ganz ähnlich wird bei der Versorgungssicherheit vorgeschlagen, es zunächst bei einzelnen Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz im Stromhandel zu belassen – und ansonsten zu hoffen, dass es schon gut gehen und man ohne grundlegende Änderungen auskommen wird.

Ich möchte in beiden Fällen entschieden für grundlegende Reformen werben. Im Klimaschutz ist dies eindeutig die Stärkung des Europäischen Emissionshandels, der derzeit mit einem CO2-Preis um 7 Euro das Signal gibt: Investitionen in den Klimaschutz lohnen sich nicht! Inzwischen gibt es aber in Brüssel ernsthafte Anstrengungen, den Emissionshandel zu revitalisieren – wofür sich die deutsche Bundesregierung sehr eingesetzt hat und weiter einsetzen sollte. Wenn dieses Instrument wieder seine volle Anreizwirkung entfalten kann, wäre für das Klima weit mehr erreicht als durch immer neue nationale Einzelmaßnahmen.

Einen systemischen Ansatz brauchen wir auch bei der Sicherung der Stromversorgung. Eine Politik des „Wait-and-see“ ist fahrlässig. Denn die erneuerbaren Energien sind noch lange nicht in der Lage, eine stabile Energieversorgung zu ermöglichen. Deshalb ist ein neues Marktdesign notwendig, das mit transparenten, marktwirtschaftlichen Verfahren ausreichend Backup-Kapazität bereitstellt. Alles andere gibt weder Betreibern noch Kunden und der ganzen Gesellschaft die nötige langfristige Sicherheit. Die Politik spielte bisher die Hauptrolle in der Energiewende, inzwischen haben aber weitere Akteure die Bühne betreten, die immer mehr Richtung und Tempo des Energiewandels bestimmen: der vielfältige und manchmal widersprüchliche technologische Fortschritt und die sich damit entfaltenden sehr unterschiedlichen Kundenwünsche.

Umbruch der Energiewirtschaft

Die Energiewirtschaft wird durchgeschüttelt von disruptiven Veränderungen bei Technologien und Geschäftsmodellen, bei unternehmerischen Strukturen und Kulturen. Drei sich gegenseitig verstärkende Entwicklungen heben die traditionellen Energiestrukturen aus den Angeln: Erstens die „Null-Grenzkosten-Anbieter“ – also Wind- und Solaranlagen, deren Bau zwar hohe Kapitalkosten erfordert, die aber im laufenden Betrieb keine Brennstoffkosten erwirtschaften müssen und deshalb – im ökonomischen Jargon – zu Grenzkosten von praktisch null anbieten können. Mit Wind- und Solarstrom, wenn die Anlagen produzieren, kann kein konventionelles Kraftwerk mithalten. Zweitens haben immer mehr Kunden individuelle Vorstellungen, wie ihre Energieversorgung gestaltet sein sollte, die sie mithilfe maßgeschneiderter Produkte und Dienstleistungen auch verwirklichen wollen. So kann jeder Kunde zuhause seine eigene Energiewendeins Werk setzen. Dafür nötig sind vor allem kostengünstige Speicherkonzepte und ein leistungsfähiges Energiemanagement auf der Basis intelligenter Netze. Dies wird – drittens – durch die dynamisch fortschreitende Digitalisierung ermöglicht. Es wird geschätzt, dass in fünf bis zehn Jahren zwischen einer und 10 Billionen Sensoren aller Art über das Internet verbunden sein werden. Sie werden eine Flut von Daten produzieren, auch Energiedaten, die zu geringen Kosten verknüpft und vom Kunden genutzt werden können.

Wettbewerbsfähige Pakete aus Solaranlagen und Speichern, Smart Grids und darauf basierende neue Dienstleistungen, Elektromobilität, Power-to-heat – das alles wird die Energieversorgung weit mehr revolutionieren als politische Programme allein es vermöchten.

Die Energiezukunft mit erneuerbaren Energien, intelligenten Netzen und dezentralen, kundennahen Konzepten hat begonnen. Und doch bleiben die klassischen Energiestrukturen, die große Energievolumen effizient und verlässlich bereitstellen, noch für Jahrzehnte unverzichtbar. Zwei Energiewelten sind entstanden, die sich weiter auseinander entwickeln. Ich möchte Ihnen kurz erläutern, welche Konsequenzen wir bei E.ON daraus ziehen. Damit verbinde ich keineswegs die Absicht, ein Modell für andere zu empfehlen, denn jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg gehen. Die strategische Neuorientierung bei E.ON kann aber beispielhaft zeigen, welche tiefen Spuren der Wandel in unserer Branche bereits zieht.

Neuaufstellung von E.ON

Bei E.ON sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass beide Welten unterschiedliche unternehmerische Ansätze verlangen. Wir haben deshalb im Dezember 2014 die Strategie „Empowering costumers, shaping markets“ verabschiedet, die eine Neuaufstellung des Konzerns erfordert. Die künftige E.ON ist strategisch, strukturell und unternehmenskulturell sehr klar darauf ausgerichtet, die Energiezukunft für unsere Kunden und mit ihnen zu gestalten. Wir haben seit 2007 mit Investitionen von fast 10 Milliarden Euro eine beachtliches internationales Geschäft mit erneuerbaren Energien aufgebaut: Insgesamt 5,7 Gigawatt, größtenteils Wind, aber auch Solarenergie und Biomasse. Bei Offshore-Wind zählen wir weltweit zu den Top 3. Wir versorgen über 6 Millionen Kunden in Deutschland nicht nur zuverlässig mit Strom, Gas und Wärme, sondern bieten ihnen auch Energielösungen aus einer Hand: von der Planung über die Finanzierung bis zum Betrieb. In Deutschland haben wir bereits über 4000 derartige Projekte geplant und realisiert. Die Basis dieser neuen Lösungen sind moderne, leistungsfähige Energienetze. E.ON ist der größte Betreiber von Netzen für die Verteilung von Energie. Wir betreiben in Deutschland mit unseren Netztöchtern über 400.000 Kilometer Strom- und Gasverteilnetze von der Nordsee bis zu den Alpen. Ohne intelligente Netze käme der Energiewandel auch mit den modernsten Erzeugungsanlagen nicht schneller voran, als ein Ferrari auf einem Feldweg.

Unsere Geschäfte aus der „klassischen“ Energiewelt gliedern wir in eine eigene Gesellschaft aus, die Uniper heißen wird. Wir werden diese Gesellschaft 2016 mehrheitlich an unsere Aktionäre abgeben. Uniper hat mit einer klaren Fokussierung auf die Energiesysteme ein noch lange unentbehrliches Geschäftsfeld. Denn eine ausschließlich erneuerbare Energiewelt ohne jede Absicherung durch konventionelle Energie bleibt noch lange Utopie. Bei Uniper wird sich ein energiewirtschaftlicher Erfahrungsschatz konzentrieren, der seinesgleichen sucht. Der konventionelle Kraftwerkspark dieses Unternehmens gehört nach intensivem Kostenmanagement zu den wettbewerbsfähigsten in Europa. Die Aktivitäten im Gasgeschäft – Importverträge, Gasspeicher, LNG-Anlandeanlagen und Bezugsoptionen, Beteiligungen an der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream und am sibirischen Gasfeld Yushno Russkoye – sind wertvolle Investments. Sie sind für die deutsche und europäische Gasversorgung von strategischer Bedeutung.

Während E.ON im Bündnis mit dem Kunden den Energiewandel voranbringt, wird Uniper eine tragende Rolle dabei übernehmen, das Energiesystem im Umbau stabil zu halten. Wir halten diese grundlegende Neuaufstellung für nötig, weil wir davon überzeugt  sind, dass die Zeit reif ist für klare und mutige Entscheidungen.