Köln am Rhein
Heute ein Popstar: Franz Kafka zum 100.
Mit einem ganz besonderen Vortrag hat der RC Köln am Rhein den Schriftsteller Franz Kafka anlässlich seines 100. Todestages gewürdigt. Wilhelm Vosskamp, Professor (Emeritus) für Neuere Deutsche Literatur/Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln, sprach über "Kafkas Paradoxien".
Zu Lebzeiten wenig bekannt, heutzutage aber gehypt fast wie ein Popstar: Wer wie Kafka mehr als eine Milliarde Klicks auf TikTok hat, kann wirklich als Star bezeichnet werden. Woher kommt die Popularität, gilt Kafka doch keineswegs als volkstümlicher Bestseller-Autor? Aber vielleicht sind es gerade die Widersprüche, also die von Vosskamp in den Vordergrund gestellten Paradoxien, die diesen Hype ausmachen.
Franz Kafka wurde am 3. Juli 1882 in Prag (damals Österreich-Ungarn) in eine bürgerlich jüdische Kaufmannsfamilie geboren, die sich dem aufgeklärten Westjudentum zurechnete, gleichzeitig aber auch zionistischem Gedankengut anhing. Die Familie und damit natürlich auch Franz Kafka gehörte zu den zehn Prozent Pragern mit Deutsch als Muttersprache in einer Tschechisch-sprechenden Umgebung. Deutsch und Tschechisch sind nicht nur unterschiedliche Sprachen, sondern auch unterschiedliche Kulturen, die Kafkas Identitätsfindung erschwerten. Auch die Einflüsse des Ostjudentums, die Kafka faszinierten, erschwerten vermutlich seine kulturelle Identitätsfindung.
Franz Kafka war – offensichtlich schon als Kind - ein Sonderling, der sich selbst als "krummer Jude" bezeichnete. Und dieses Anders-Sein und die damit verbundenen Paradoxien zogen sich durch sein gesamtes Leben und sein Werk. So sprach er selbst davon, dass er zwei Leben habe. Ein Tagleben und ein Manöverleben (Nachtleben).
Vormittags arbeitete der Jurist Kafka bei der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt und kümmerte sich besonders um Arbeitsschutzmaßnahmen in den Branchen Textil und Holz. Veröffentlicht sind detailgenaue Beschreibungen von zum Beispiel Maschinen, die Verletzungspotential für die bedienenden Arbeiter hatten und sachkundige Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit. Kafka war erfolgreich und wurde befördert; trotzdem sah er diese Arbeit als wenig fordernd, als uhrzeitgesteuert und als reinen Broterwerb an.
Nach getaner Arbeit ging es zum Mittagessen im Familienkreis und nach Sport und Mittagsschlaf begann so langsam das Manöverleben, offensichtlich das von ihm als richtiges, echtes Leben empfundene. Und dieses Leben war beherrscht vom Schreiben. Schreiben, schreiben, schreiben – und er war selten zufrieden mit dem Geschriebenen.
Schreiben bedeutete einerseits das Perfektionieren eines sachlichen, unprätentiösen Schreibstils ohne Schnörkel – quasi die Fortsetzung des Schreibens im Tagleben. Andererseits wurde dieser objektive Schreibstil benutzt zur Darstellung von Absurdem, von auf rätselhafte Weise Unheimlichem, Bedrohlichem – eben kafkaesken Welten. Der unterkühlte Schreibstil und die kafkaeske Thematik verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung. "Wenn das Buch, das wir lesen, nicht wie ein Schlag auf den Schädel ist, warum lesen wir dann das Buch?" Ein Zitat, das auch absolut treffend beschreibt, welche Ansprüche Kafka an sich als Autor hatte.
Wer so besessen ist vom Perfektionieren des Schreibstils und so besessen von extremen Thematiken, aufgrund überhöhter Ansprüche an sich selbst, aber gleichzeitig auch zu Schreibblockaden neigt, kann zu der Überzeugung gelangen, dass Schreiben nur als Einzelgänger funktionieren kann. So war Kafka auch zeitlebens Junggeselle geblieben. Nicht verursacht durch Desinteresse an Frauen , im Gegenteil: Es gab einige Verlobungen, und auch sonst war Kafka kein "Kostverächter". Aber offensichtlich konnte er sich nicht als Ehemann und Familienvater sehen. Männerfreundschaften gab es mehrere. Besonders hervorzuheben ist die mit Max Brod, dem wir zu verdanken haben, dass Kafkas Werk nicht – entgegen Kafkas Forderung – mit seinem Tod (am 3.06.1924 an Tuberkulose) unveröffentlicht geblieben ist. Franz Kafka wollte wohl nicht zu dem Star werden, der er heute ist, der alle Klickzahlen sprengt.
Monika Hörig ist seit 2006 Rotarierin, zunächst beim RC Bonn-Rheinbach, dem sie 2011/12 als Präsidentin vorstand. 2016 gründete sie den englischsprachigen RC Bonn-International, dessen erste Präsidentin sie war. Die studierte Althistorikerin und Archäologin war bis 2021 Pressesprecherin der Stadt Bonn. Ab 2024 ist sie Distrikberichterstatterin im Distrikt 1810.
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