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Standpunkt

»Mit Kopf, Hand und Geld«

Viele Rotary-Projekte sollten anspruchsvoller geplant werden, sagt Henning von Vieregge

Henning von Vieregge14.03.2014

Mitunter ist die Praxis weiter als deren Wahrnehmung. Hier soll von drei Trends bei Rotary berichtet werden, die sich wechselseitig stärken. Es soll dafür plädiert werden, diese zu intensivieren.

Trend 1: Auch Projekte im Inland werden anspruchsvoller.
Trend 2: Clubübergreifende Aktivitäten nehmen zu.
Trend 3: Rotary versteht sich als Teil der (lokalen) Bürgergesellschaft.

Was sind anspruchsvolle, was weniger anspruchsvolle Projekte? Maßstab ist der Einsatz von drei Ressourcen (Geld, Hand und Kopf) und die Reichweite der Zielsetzung. Traditionell sind soziale Clubprojekte von der eher einfach gestrickten Art: Geld kommt zum Einsatz, um für begrenzte Zeit eine soziale Mangelsituation zu lindern. Wenn gezielte Spendenevents organisiert werden, um die Hilfsmöglichkeiten des Clubs zu erweitern, und Rotarier selbst dabei Hand anlegen („Crêpes gegen Krebs“), ist man auf einer zweiten Stufe der Komplexitäts­skala, bei den „Hands-on-Aktivitäten“.

Bei Stufe drei und folgenden kommen Kopf, Hand und Geld der Rotarier zusammen, die Zielsetzung wird mit Nachhaltigkeitsanspruch versehen. Das erfordert von den Hauptverantwortlichen vollen professionellen, allerdings weiterhin unentgeltlichen Einsatz, während mehr Aktive durch Projektaufteilung in zeitlich limitierte Teil­aufgaben gewonnen werden. Projekte dieser Art sind zumeist clubübergreifend, oft fachspezifisch wie zum Beispiel die Arbeit der German Rotary Volunteer Doctors (GRVD).
Ein inländisches Projekt dieses Komplexitätsgrades hat am 3. Mai auf dem Frankfurter Römer unter dem Slogan „Rotary bewegt“ seinen Höhepunkt. Zusammengeführt werden das weltweite Polioprojekt „End Polio Now“ und das 2005 im Distrikt 1820 gestartete, mittlerweile nationale Projekt mit Ambitionen darüber hinaus: „gesunde kids“. Rotary soll radeln, Governors vorneweg mit Christof Hottenrott, Governor des Initialdistrikts von gesunde kids als Leitfigur. Clubs sollen mit eigenen Ideen den Grundansatz der Aktion in die Schulen ihres Einzugsbereichs tragen, Distrikte geben Unterstützung und setzen das gemeinsame große Ziel der Römer-Aktion. („1 Million Äpfel in die Schulen“).

Veränderter Spirit
Es sind nicht nur die verbesserten technischen Möglichkeiten clubübergreifender Kommunikation, die solche Projekte erleichtern. Der Spirit von Rotary hat sich verändert, und das setzt neue Kräfte frei. Das mittlerweile fast gängige „Du“ plus Vorname löst das spreizige „Freund plus Nachname“ ab, selbst auf Distriktebene, und das ist mehr als eine Äußerlichkeit. Ob die Teilverweiblichung von Rotary auch eine Rolle spielt? Mehr clubinternes und clubübergreifendes Gemeinschaftsgefühl schafft mehr Vertrauen in die eigenen Geld- und Zeitressourcen. Geändert hat sich auch das Verständnis für den Sinn öffentlicher Präsenz von Rotary. Solche Veränderungen kommen nicht von heute auf morgen. Es gibt Ungleichzeitigkeiten. Aber nicht zuletzt weil derartige Trends im Fluss gesellschaftlicher Veränderungen liegen, lassen sie sich als stabil und verstärkbar einschätzen.

Schub durch Kooperation
Mit der Diskussion um Zivil- und Bürgergesellschaft hat der Wunsch von Rotary, in der lokalen Bürgergesellschaft konstruktiver Akteur zu sein, zugenommen. Aus allem lässt sich folgern, dass auch vor Ort Rotary-Projekte durch Einsatz der in den Clubs gewinnbaren Zeitressourcen anspruchsvoller gestaltet sein werden, als dies im Durchschnitt heute geschieht. Clubs werden sich noch stärker um ihren Heimatort kümmern, einzeln („Aus Kelkheim für Kelkheim“, so der RC Kelkheim), in Zusammenarbeit der Clubs vor Ort (so das 2005 mit allen Frankfurter Clubs gestartete „Schreibzimmer“ für Jugendliche im Literaturhaus Frankfurt, heute mit noch zwei Clubs neben anderen Trägern) oder auch mit anderen Akteuren der Bürgergesellschaft zusammen. So ist Rotary an der von der Frankfurter Stiftung Polytechnische Gesellschaft gebildeten Bürgerakademie, zusammen mit rund 20 anderen Organisationen, beteiligt. Der Ehrgeiz zielt auf Nachhaltigkeit. Einzelfallhilfe ist damit nicht denunziert. Aber immer dringlicher wird nach Strukturverbesserung gefragt. Am schwierigsten sind Projekte, die, einmal in Gang gesetzt, sich finanziell selber tragen. Kühe für Familien in Nepal, die diese fortan ernähren: Was sind die Aktivitäten auf diesem Niveau für Deutschland? Notwendig ist der Transfer von unternehmerischem Know-how in einen sozialen Kontext. Wer sonst als bei Rotary verfügt über das notwendige Potenzial?

Ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Die Aktivitäten in der Zivil- und Bürgergesellschaft sind zumeist isoliert. Dringend notwendig ist nach einer einflussreichen amerikanischen Studie ein „collective impact“, ein Schub durch Kooperation. (Näheres unter den Stichworten John Kania, Mark Kramer, Collective Impact, Stanford University). Das entscheidende Instrument, das fehlt, ist eine ein Kooperationsprojekt jeweils stützende Organisation („backbone organization“). Gebraucht werden Menschen, die andere in ihren je unterschiedlichen Organisationen immer wieder dazu bringen, sich auf das verabredete Ziel hinzubewegen, sodass am Ende die ehrgeizige Zielsetzung zum geplanten Zeitpunkt erreicht werden kann. Dabei sind staatliche Verwaltung und Unternehmen nach Möglichkeit als Akteure einzubeziehen. In der „backbone organization“ sind Manageraufgaben höchster Qualität gefordert; die Mit-Akteure Ehrenamtliche wie in der Regel schlecht finanzierte Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Staatsverwaltung agieren verschieden von Wirtschaftsunternehmen und deren Beschäftigten. Managementtechniken lassen sich nicht eins zu eins übertragen. Die Komplexität ist hoch. Andererseits lässt sich auf diesem Weg ehrenamtliches Potenzial zu bisher unerreichter Effektivität führen. Sind damit nicht Herausforderungen skizziert, die nach rotarischem Einsatz geradezu rufen?