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Standpunkt

Keine Aktion ohne Reflexion

Standpunkt - Keine Aktion ohne Reflexion
Henning von Vieregge, RC Frankfurt/M.-Alte Oper, ist Past-Governor und Publizist © Privat

Projektbegleitende Forschung legt den Stand der Dinge offen und dient mit ihrem sichtbaren Bemühen um Transparenz der Glaubwürdigkeit nach innen und außen.

Henning von Vieregge01.06.2023

Das kollektive Gedächtnis bei Rotary ist lückenhaft. Dies ist eine Folge der gewollten Diskontinuität des jährlichen Wechsels in den Führungsämtern. Aber wenn nicht alles täuscht, ist die Begleitforschung zu den Clubprojekten „Rotary für Ukraine“, durchgeführt mit dem Institut Maecenata in Berlin, die erste, die vom Deutschen Governorrat veranlasst wurde. Der Schlussbericht ist inzwischen erschienen, siehe dazu auch die folgende Doppelseite. Vor- und Nachteile einer solchen Begleitforschung sind im Vorfeld breit diskutiert worden. Nachteile gibt es zwei. Begleitforschung gibt es nicht zum Nulltarif, und Unabhängigkeit bedeutet, dass der Auftraggeber die Ergebnisse nicht beeinflussen kann. Aber wo gibt es Chancen ohne Risiko? Man weiß durch begleitende Forschung, wo man steht, und kann sich sowohl nach innen zu den Clubs als auch nach außen glaubwürdig auf die Aussagekraft der Ergebnisse beziehen. Und: Nicht nur die Ergebnisse, auch die nachgewiesene Bereitschaft zu Transparenz verschaffen ein Mehr an Reputation.

Regelmäßiges auf den Prüfstand stellen ist sinnvoll

Heißt das nun, dass jede Aktion eines Clubs mit einer Begleitforschung versehen werden sollte? Die Antwort ist ein klares Nein. Aber die Ukraine-Begleitforschung hat in den Clubs, Distrikten und auch auf Deutschlandebene die Frage aktualisiert, wie man bei Rotary die Ressourcen transparenter und effizienter einsetzen kann.

In immer mehr Clubs werden Leitfäden entwickelt, die das gewünschte Clubleben beschreiben und in denen auch Grundsätze zum Gemeindienst festgelegt sind. Das Ausgabenverhältnis für lokale und internationale Projekte ist darin nachzulesen. Zur schwierigen Abwägung zwischen Lang- und Kurzzeitprojekten gibt es eine Wegweisung, und jedes Projekt soll mindestens einen Verantwortlichen haben. Bei einem Clubbesuch in Nürnberg habe ich erlebt, dass dort bei jedem Treffen die laufenden Projekte aufgerufen und der Fortschritt abgefragt wird. Nachahmenswert!

Nicht immer ist es dabei möglich und sinnvoll, die Ziele durch Dritte überprüfbar zu formulieren. Aber bei einer Baumpflanz-Aktion beispielsweise lässt sich festlegen, wie viele aktiv Beteiligte aus dem Club angestrebt, wie viele Pflanzungen vorgenommen und mit wie vielen Außenstehenden gerechnet werden sowie welches Öffentlichkeitsecho erreicht werden soll. Auch kann überlegt werden, mit wie viel Prozent Verlust zu rechnen ist, denn denkt man darüber nach, kommt man unweigerlich zum Thema Wassermanagement. Die Diskussion über Zielsetzungen verbessert das Ergebnis auf vielfältige Weise.

Es gilt jedes Projekt zu evaluieren. Bei größeren Projekten kann man sich im eigenen Club umschauen, ob jemand Kontakte zu Hochschulen hat und ob es sich nicht anbietet, Studenten einzubinden, die das Projekt begleiten und dazu eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen – interessant vor allem für Projekte, bei denen mehrere Clubs zusammenarbeiten.

Drei Einsatzfelder bieten sich an

Begleitforschung durch ein unabhängiges Institut bietet sich bei bundesweiten, gleichgerichteten Aktivitäten an. Drei Beispiele:

1. „End Polio Now“-Projekte. Christian Schleuss, neuer EPN-Zonenkoordinator für die Zonen 15 und 16 ab 1. Juli 2023, würde gern Näheres über die Beweggründe der Clubs wissen, die etwas tun, und derer, die zu diesem Thema kritisch sind.

2. Projekte für Bildung. Ausgangspunkt könnten die 4-L-Projekte „Lesen lernen, Leben lernen“ sein, bei denen es um die Förderung des Lese-Sinn-Verständnisses von Grundschülern und um die Unterstützung von Flüchtlingen beim Erlernen der deutschen Sprache geht. Michael Bülhoff hat schon jetzt einen Evaluationsbogen auf die Homepage gestellt (rotary4l.org) und strebt mit den Umfrageergebnissen eine wissenschaftliche Begleitung an.

3. Projekte der Nachhaltigkeit. Zwei Schwerpunkte sind dabei sichtbar: die „End Plastic Soup“-Initiative als Beitrag für alle Müllsammelaktionen sowie Baum- und sonstige Pflanz-Aktivitäten. Gleichzeitig rücken die lokalen Bemühungen um CO₂- Reduzierung immer stärker auch in den rotarischen Fokus. Die Vision lautet: Der Rotary Club moderiert in seinem Ort die Klimaaktivitäten von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Wenn es bei diesen drei Themen gelänge, durch intensive Kommunikation im Vorfeld auf eine ähnlich hohe Rücklaufquote der Clubs wie zur Ukrainehilfe zu kommen, spricht vieles für eine Begleitforschung mit einem renommierten unabhängigen Institut. Der Geldeinsatz wäre es wert.

Für alle Projekte, groß oder klein, allein oder im Verbund, gilt: keine Aktion ohne Reflexion. Der Gewinn liegt nicht nur in der besseren Ressourcennutzung, sondern auch im besseren Miteinander im Club: Freundschaft und Gemeinwohlnutzen lassen sich so simultan steigern.

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