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„Ein eindrucksvolles Zeichen der Versöhnung“

Forum - „Ein eindrucksvolles Zeichen der Versöhnung“
Wolfgang Schneiderhan (rechts) legte am Grab des unbekannten Soldaten in der polnischen Hauptstadt Warschau im Mai dieses Jahres einen Kranz nieder. © picture alliance/nurphoto jaap arriens

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge pflegt Kriegsgräberstätten im Ausland. Ein Gespräch mit seinem Präsidenten Wolfgang Schneiderhan über die anspruchsvolle Arbeit in Zeiten des Krieges.

Henning von Vieregge01.08.2023

Herr Schneiderhan, erst seit 1989 konnte der Volksbund in den östlichen Staaten seine Arbeit aufnehmen. Geht es vor allem darum, herauszufinden, wo im Osten noch Gefallene liegen, diese zu bergen und umzubetten? Das ist nach acht Jahrzehnten gewiss enorm schwierig.

Schwierig, in der Tat. Oft sind die Gräber geplündert. Aber es gibt Annäherungsmöglichkeiten. Die einfachste ist, wenn die Erkennungsmarke noch am Toten ist, dann kann man die Identität über Wehrmachtsunterlagen zurückverfolgen oder anhand von ausführlichen Kriegstagebüchern. Ein guter Ausgangspunkt ist die Militärgeschichte. Wo waren die Schlachten, in welchen Räumen und Regionen? Können vor Ort Bewohner oder ihre Nachkommen noch Auskunft geben und ihre Ortskenntnisse zur Verfügung stellen? Wir wenden auch moderne Technik an, etwa Bodenradar oder Drohnen. Sehr oft spielt uns der Zufall in die Hände, wenn neue Gebäude fundamentiert oder Straßen gebaut werden und man dabei auf Überreste von Kriegsopfern stößt.

Die Zeitzeugen werden immer weniger …

… wobei das Wissen und die Erinnerung besonders in Russland groß sind. Im Grunde gibt es keine russische Familie, die nicht Opfer des Krieges zu beklagen hat. Die Erinnerung ist mehr Familientradition als bei uns.

Der Leitsatz des Bundes heißt „Gemeinsam für den Frieden“. Ist das nicht ein sehr hoher Anspruch?

Ich bin immer wieder beeindruckt von einer einfachen Tatsache. Nämlich dass wir die Deutschen, die Russland überfallen haben, in der russischen Erde beerdigen dürfen. Und dass sie ewiges Ruherecht haben. Das ist ein eindrucksvolles Zeichen von Versöhnung. Wir haben Umbettungen vorgenommen, an denen russische Veteranen teilgenommen haben. Nach dem deutsch-russischen Kriegsgräberabkommen haben wir russische Vertreter zu uns eingeladen und ihnen gezeigt, wie wir ihre Denkmäler in Berlin pflegen. Es gab zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Kriegsopfer in der ehemaligen Sowjetunion und in Deutschland.

Wie haben Sie das notwendige Vertrauen geschaffen?

Ein Beispiel: Rossoschka ist der große Friedhof bei Wolgograd, 30 Kilometer entfernt. Da liegen rund 66.000 deutsche Kriegstote auf dem Friedhof. Und auf der anderen Straßenseite ist ein russischer Friedhof. Eigentlich müsste man sagen: ein sowjetischer Friedhof. Mit rund 33.000 Gräbern, die wir pflegen. Das war unsere Eintrittskarte vor Ort.

Ein Zitat von Ihnen ist: „Wir wollen jenseits der politischen Streitbarkeiten versuchen, vor Ort unsere Arbeit weiterzuführen.“ Wie geht das?

Das funktioniert unterhalb der politischen Ebene, aber in der Hoffnung, dass sich dies auch in der politischen Ebene spiegelt oder ein Beispiel gibt, wie man miteinander umgehen könnte – zivilisiert, trotz aller Gegensätzlichkeit in den Systemen. Das ist jetzt mit Russland schwierig geworden. Es gab viele gute Kontakte, auch auf der militärischen Ebene. Heute reibt man sich darüber die Augen, welche Abrüstungsverträge wir in Zeiten des Kalten Krieges mit der Sowjetunion abgeschlossen und wie wir zusammengearbeitet haben.

Der Volksbund kann also bisher in Russland weiterarbeiten?

Wir sind in der glücklichen Lage, eine der wenigen Organisationen westlicher Prägung zu sein, die noch nicht aus Russland ausgewiesen oder als potenzielle Spione deklariert wurden. Wir kommen noch miteinander aus, aber fast ausschließlich auf der praktischen Arbeitsebene. Noch vor wenigen Jahren wurde am Vorabend des Volkstrauertages von Russland, der Ukraine und Weißrussland in Berlin ein gemeinsamer Kranz niedergelegt, die Delegation führte ein russischer Generalmajor an. Es ist mehr als traurig, dass dies vorüber ist.

Wir hoffen, dass der Krieg gegen die Ukraine zu einem Stillstand kommt. Was würde dies für den Volksbund bedeuten?

Das beschäftigt uns natürlich. Welche Rolle können wir einnehmen? Nur wissen wir zu wenig über die wirkliche Lage. Ich höre von zigtausend Toten in der Ukraine, aber wo sind sie? Nehmen die Russen sie zurück, werden die Kriegstoten irgendwo in der Ukraine verscharrt? Manchmal sieht man im Fernsehen Bilder von Grabhügeln, aber ganz selten. Über Waffenlieferungen erfahren wir viel, über die Kriegsopfer leider so gut wie nichts.

„Gemeinsam für den Frieden“ – was könnte der Volksbund zur Befriedung zwischen den Menschen tun?

Bis vor drei, vier Jahren hat der Volksbund sogenannte Work Camps organisiert, wo Ukrainer, Russen und Deutsche zusammen Kriegsgräber gepflegt haben. Zwei Deutsche, die an einem dieser Camps teilgenommen haben, fragten mich jetzt in Briefen, ob ich wisse, was aus den ukrainischen und russischen Mitstreitern geworden sei, die sie damals kennengelernt haben. Ich habe mich nach der Lektüre dieser Briefe gefragt: Könnte das nach Kriegsende ein Teil unserer Arbeit sein, dass wir die wieder zusammenbringen, die sich schon mal kennengelernt haben, als sie auf polnischen, weißrussischen, ukrainischen Kriegsgräberstätten Seite an Seite arbeiteten?

Sollte der Volksbund schrittweise die Pflege aller Kriegsgräberstätten auch in Deutschland übernehmen?

Leider reicht unsere staatliche Alimentierung nicht aus, um uns auch der Kriegsgräberstätten im Inland anzunehmen. Wir haben angeboten, die Gemeinden zu beraten, wenn dann auch ein bisschen was für uns herausspringt. Immer öfter bin ich deswegen in der Kommunalpolitik präsent und biete dort unsere Beratung an. In Einzelfällen machen wir das auch. Aber wir brauchen dafür einen finanziellen Ausgleich.

Haben Sie ein Beispiel?

In einer Gemeinde in Sachsen hat mich jemand darauf aufmerksam gemacht, dass die sieben Gräber von Rotarmisten völlig verwahrlost sind. Was kann man da als Volksbund machen? Ich habe den Landesgeschäftsführer von Sachsen gebeten, mit der Gemeinde zu reden und die Verantwortlichen darüber zu beraten, wie man so was anpacken kann. Wohin müsst ihr euch wenden? Wo gibt es Zuschüsse und Fördermittel, von denen die Beamten oder Angestellten einer kleinen Gemeinde nichts wissen? Das ist natürlich alles aufwendig, aber es macht uns präsent.

Wird in der Bevölkerung angenommen, dass der Volksbund auch im Inland zuständig ist?

Ich schäme mich immer, wenn ich einen Brief kriege, in dem es heißt: Die und die Kriegsgräberstätte – das gilt auch für meine eigene Heimatgemeinde – ist in einem miserablen Zustand. Dort liegen im August noch die Kränze vom Volkstrauertag herum. Ich muss dann eine für mich furchtbare Antwort schreiben, nämlich, dass ich dafür nicht zuständig bin. Furchtbar, weil ich nicht alles von Zuständigkeiten ableiten will.

Es ist tatsächlich merkwürdig, dass man eine solche Unterscheidung – ihr seid im Ausland für die Kriegsopfer zuständig, die Gemeinden und Städte im Inland – aus der Entstehungsgeschichte des Volksbundes übernommen hat. Es ist ein naheliegender Gedanke, dass der Volksbund auch hierzulande zuständig ist.

Und deshalb täten wir uns wirklich leichter, wenn wir diese Zuständigkeit auch im Inland hätten, damit das, was wir tun, sofort und aus der Nähe zu sehen ist. Wir müssen nicht nach Wolgograd fliegen, um zu sehen, was wir leisten. Diese Wahrnehmung herzustellen, dass wir was Sinnvolles machen, ist schwierig, weil alles so weit weg ist.

Das Gespräch führte Henning von Vieregge


Zur Person

Wolfgang Schneiderhan (RC Bad Saulgau-Riedlingen) war von 2002 bis 2009 Generalinspekteur der Bundeswehr. Seit 2017 ist er Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.