Oswiecim
Oswiecim, Partnerstadt von Breisach am Rhein
Was Rotarier des Rotary Clubs des Deux Brisach auf einer Reise nach Polen erlebten.
Oswiecim ist eine beschauliche südpolnische Kleinstadt mit ganz banalen Problemen. Die Chemie-Industrie baut ihre Werke ab und die Jugend zieht es in die Großstädte, vor allem nach Krakau. Oswiecim heißt aber Auschwitz auf Deutsch, und das macht den großen Unterschied zu anderen europäischen Kleinstädten. Freunde des deutsch-französischen Rotary Clubs des Deux Brisach haben sich kürzlich Auf einer Reise Zeit für die Partnerstadt von Breisach, für die ehemaligen Konzentrationslager und für die benachbarte Großstadt Krakau genommen. Sie sind mit sehr kontrastreichen Eindrücken zurückgekehrt.
Freund Jacob Loewe hatte bei der Organisation der Reise darauf Wert gelegt, dass die Gruppe sich Zeit nimmt. Er hatte einen Vormittag im Stammlager Auschwitz und einen anderen in Auschwitz-Birkenau sowie die Besichtigung der konservatorischen Werkstatt und der Altstadt eingeplant. Die Feststellung ist dennoch unabwendbar, dass das Leid der Opfer unfassbar bleibt, auch wenn man versucht, sich Zeit zu nehmen.
Franziska, eine deutsche Studentin aus Magdeburg, die ihr Bachelor-Praktikum in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte von Oswiecim absolviert, machte gleich zu Beginn der Stadtbesichtigung klar, dass man Oswiecim für die Stadt und Auschwitz für das Konzentrationslager sagen soll.
Oswiecim ist mit rund 40.000 Einwohnern mehr als doppelt so groß wie Breisach. Ein bunter Flyer beschreibt die Stadt als idealen Ort zum Verweilen und Entspannen. Beim Spaziergang auf dem frisch renovierten Marktplatz, den archäologische Funde schmücken, fühlt man sich tatsächlich fast schon wohl in der polnischen Provinz. Aber Franziska verweist auf das einstöckige blaue Haus, wo der letzte Rabbiner der Stadt gewohnt hat. Die grauenvolle Geschichte bringt sich auf Schritt und Tritt in Erinnerung, auch da wo die Erinnerung mit Feingefühl gepflegt wird.
Auf die Frage “Was wusste die Bevölkerung von Oswiecim darüber, was in Auschwitz geschah?”, antworten alle Gesprächspartner noch bevor sie gestellt wird. Die Nazis haben die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben und hatten große Pläne für eine „Volksdeutsche (arische)“ Musterstadt. Hilfe und Widerstand waren so gut wie ausgeschlossen.
Heute wandelt sich Vieles
In Krakau, wo in der Vorkriegszeit ein Viertel der Bevölkerung jüdischen Glaubens war, lebt das jüdische oder jüdisch inspirierte Leben wieder auf. Kazimierz, das frühere jüdische Viertel avanciert dank des Spielbergfilms "Schindlers Liste" sogar zur schicken Vorstadt. In Oswiecim dagegen zeugen nur noch Museen und Gedenkstätten vom intensiven jüdischen Leben von damals.
In ihrer über 800-jährigen Geschichte stand Oswiecim abwechselnd unter tschechischer, deutscher, österreichischer und polnischer Macht. Ein Rundgang im kleinen jüdischen Museum unter der Leitung von Markus, einem jungen Zivildienstleistenden aus Österreich, macht bewusst, dass vor dem Krieg über die Hälfte der Bevölkerung, das heißt über 7000 Personen Juden waren. Die jüdische Bevölkerung, die über viele Jahrhunderte nicht unter den in Ost- und Mitteleuropa lange üblichen Pogromen zu leiden hatte, war hier in allen Gesellschaftsschichten vertreten. Nach dem Krieg kehrten weniger als 200 zurück, bevor sie endgültig emigrierten. Ein einziger Jude lebte bis 2000 in Oswiecim. Er wurde auf dem alten jüdischen Friedhof bestattet. Eine Synagoge wurde dank Spenden im Museum eingerichtet. Hier können sich jüdische Besucher der Stadt zum Gebet zurückziehen.
Das Museum zeigt auch Andenken an die Familie von Jakob Haberfeld. Ihre Geschichte ist kennzeichnend für das Leid der Juden von Oswiecim. 1939 war der prosperierende Wein- und Spirituosenhändler mit seiner Frau auf der Rückfahrt von einer Fachmesse in New York, als der Krieg ausbrach und die Wehrmacht Polen überfiel. Das Ehepaar hatte seine zweijährige Tochter in Obhut der Großeltern in Krakau gelassen. Nun konnten die einen nicht mehr rein, die anderen nicht mehr raus aus Polen. Ab 1942 gab es kein Lebenszeichen mehr vom kleinen Mädchen und den Großeltern. Nach Kriegsende wurden die Haberfelds, die eine 1804 gegründete Firma geerbt hatten, von den neuen Machthabern enteignet. Ihre zerfallende frühere Stadtvilla wurde nach Ende der kommunistischen Ära abgerissen. Dort steht nun ein elegantes Hotel.
Besuch im KZ
Die Konzentrationslager Auschwitz und Auschwitz-Birkenau sind offensichtlich gut gepflegt. 700 Mitarbeiter und 300 Gedenkstättenpädagogen arbeiten hier, beim zweitgrößten Arbeitgeber der Stadt nach der Chemieindustrie. In der konservatorischen Werkstatt sind die Besucher von der Professionalität und vom Engagement der Chemiker, Mikrobiologen, Restauratoren und anderer Fachleute beeindruckt. Diese widmen ihre Arbeitstage der Konservierung von Schuhen, Koffern, Fotos und anderen stummen Zeugen des Lebens der deportierten und ermordeten Frauen, Männer und Kinder. Als die Reisegruppe die Werkstatt besichtigt, ist ein polnischer Restaurator seit Tagen über ein orthopädisches Korsett gebeugt, um es mit einem feinen Pinsel zu restaurieren.
Die internationale Jugendbegegnungsstätte von Oswiecim wurde 1986 von Privatpersonen und Institutionen im Rahmen der Aktion Sühnezeichen gegründet. Sie ist ein Ort für die deutsch-polnische Versöhnung und den jüdisch-christlichen Dialog.
„
Die meisten der jährlich zwei Millionen Besucher, wissen nicht einmal, dass es hier eine Stadt gibt“, erzählt eine Rotarierin aus Oswiecim mit einer Mischung aus Trauer, Resignation und Zorn in der Stimme während eines Treffens mit den Gästen aus Südbaden und dem Elsass.
Leben im Hier und Jetzt
Wie lebt die Bevölkerung heute mit dem schrecklichen Erbe? Manche Einwohner sind sehr stark engagiert, wie der pensionierte Deutschlehrer aus dem lokalen Gymnasium, der mehrere Tage in der Woche Besuchergruppen durch die Anlagen führt. Andererseits vertraut Franziska den Besuchern an, dass manche Jugendliche, die sie in der Stadt trifft, noch nie im Konzentrationslager waren und kein Interesse zeigen. „Aber wie viele junge Elsässer würden von sich aus das Lager Struthof in den Vogesen besichtigen?“, wendet eine der elsässischen Rotarierinnen ein.
Der Städtepartnerschaft zwischen Breisach am Rhein mit Oswiecim ging über Jahre ein sportlicher Austausch voraus. Professor Werner Nickolai der Katholischen Hochschule Freiburg, organisierte Fußballturniere für Jugendliche aus Breisach mit Jugendlichen von Oswiecim. 25 Jahre später bedankt sich nun der Rotary Club bei Prof. Werner Nickolai und Gabriel Dittrich vom Freundeskreis Oswiecim für die sehr großzügige Hilfe und Unterstützung bei der Reiseplanung.
Rotary in Polen
Der junge Rotary Club von Oswiecim mit einer Mehrheit von weiblichen Mitgliedern steht für Normalität in der beschaulichen Kleinstadt. Eine Kinderärztin, ein Beamter, eine Pädagogin, eine Hotelchefin und andere Unternehmerinnen investieren viel Zeit und Engagement für ihre Stadt.
Normalität bedeutet auch die Wiederwahl von Oberbürgermeister Janusz Schwierut. Die Rotarier treffen ihn auf einer Vernissage in der Jugendbegegnungsstätte. Er ist Mitglied der Platforma Obywatelska, einer proeuropäischen liberal konservativen Partei, dessen prominentester Vertreter Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats, ist.
An Normalität könnte auch die wirtschaftlich günstige geographische Lage von Oswiecim, ein Knotenpunkt von wichtigen Handelsrouten, erinnern. Die guten Eisenbahnverbindungen und eine leerstehende Kaserne wurden allerdings zum Fluch für die Stadt und ihre Einwohner, denn sie haben die Nazis dazu verleitet, das größte Vernichtungslager seit Menschengedenken hier zu etablieren. Oswiecim bleibt für immer auch Auschwitz.
„Ich verstehe besser, warum die meisten der wenigen Überlebenden so lange brauchten, um über ihre Zeit im Lager zu erzählen. Selbst über die Gedenkstätte werde ich nur mit Mühe berichten können“, sagt nachdenklich einer der Mitreisenden als die Gruppe in Krakau den Rückflug zum EuroAirport antritt. Ein anderer fügt hinzu: „Wir hatten Glück, dass wir diese Reise mit Freunden und bei mildem Wetter durchführen konnten. Man kann sich noch so sehr bemühen zu verstehen. Was die Opfer durchgemacht haben, werden wir nie nachvollziehen können.“
"Wir müssen alles daransetzen, dass die Menschheit nie wieder ihre Ehre so grundlegend verliert. Wir sind alle gefordert", fasst dann Leon Baur, der Präsident 2018/2019 desv RC des Deux Brisach, kurz nach seiner Rückkehr ins Elsass zusammen.
Anne Laszlo
RC des Deux Brisach
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