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Am Grünen Band

Zwischen Flussperlmuschel und Fischotter

Am Grünen Band - Zwischen Flussperlmuschel und Fischotter
Governor Sabina Gärtner-Nitsche lud ein und Reinhold Meier, Tobias Gockel, Peter Groll, Robert Eichler, Ralf-Michael Franke, Elke Reinhart und Governor elect Hans Neuser ließen sich inspirieren. © Ulrike Löw (alle Fotos)

Sie hat Dinosaurier kommen und gehen sehen, doch nach 300 Millionen Jahren geht der Flussperlmuschel der Nachwuchs aus. Im Dreiländereck Bayern-Sachsen-Tschechien päppeln Naturschützer Jungmuscheln auf –  Governor Sabina Gärtner-Nitsche lud zur Exkursion.

Ulrike Löw25.08.2023

Vom Todesstreifen zur Lebenslinie: Fast vier Jahrzehnte wurde die innerdeutsche Grenze mit hohen Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen streng bewacht – gleichzeitig wurde der Grenzstreifen zum Refugium für mehr als 1.200 seltene und gefährdete Pflanzen- und Tierarten. Das Grüne Band wurde kurz nach dem Mauerfall zum ersten gesamtdeutschen Naturschutzprojekt und steht nun im Mittelpunkt von Sabina Gärtner-Nitsches Governorjahr.

Sie will Clubs im Distrikt 1880 für Projekte entlang des Grünen Bandes begeistern – und zur Einstimmung auf das neue rotarische Jahr 2023/24 trafen sich die Assistant District Governors zur gemeinsamen Exkursion "Flussperlmuschelaufzucht" in der historischen Huschermühle im oberfränkischen Rednitzlosau im Dreiländereck Tschechien-Bayern-Sachsen.

"Naturschutz ist vor allem eines: Handarbeit" – so könnte die Überschrift der spannenden Gespräche mit Wolfgang Dengelmann lauten. Denn auch am Grünen Band braucht es viel Engagement, um das Naturparadies zu erhalten. Als Kreisgeschäftsführer des Bundes Naturschutz in Hof erklärt Wolfgang Dengelmann in der Flussperlmuschel-Aufzuchtstation in der Huschermühle, wie gegen das Aussterben der Muschel gekämpft wird: Reinhold Meier (RC Görlitz), Tobias Gockel (RC Dresden-Canaletto), Peter Groll (RC Chemnitz-Schlossberg), Robert Eichler (RC Bayreuth-Eremitage), Ralf-Michael Franke (RC Nürnberg-Kaiserburg), Elke Reinhart (RC Oberpfälzer Wald/Oberviechtach) und Governor elect Hans Neuser (RC Vogtland Schloß Voigtsberg) ließen sich inspirieren

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So sieht eine erwachsene Muschel aus. Aber die meisten Jungmuscheln erreichen kein substantielles Alter.

Die Gegend zählt zu den wenigen Gebieten in Mitteleuropa, in denen die Muschel noch in nennenswerter Zahl vorkommt, doch mit ihrem Bestand geht es auch hier bergab. Die Naturschützer fanden heraus: Die jüngsten Muscheln in ihrem Gebiet sind bereits Ü50 - es fehlt also an Nachwuchs. Und das liegt nicht, wie man vermuten könnte, an der Wasserqualität, sondern am erhöhten Feinsedimenteintrag – etwa aus landwirtschaftlich genutzten Flächen.

Zu viel Feinmaterial in den Gewässern macht der Jungmuschel zu schaffen, dies hat mit ihrem spannenden Lebenszyklus zu tun. Die Flussperlmuscheln befallen in ihren ersten Lebensmonaten als Parasiten (Glochidien) die Kiemen der Bachforelle. Der Fisch dient den Jungmuscheln als Nahrungslieferant und als "Wassertaxi" durch den Fluss. Ist sie etwa 0,1 Millimeter groß, lässt sich die Jungmuschel fallen und gräbt sich einige Zentimeter tief ins Sediment, ist dies zu dicht, überlebt die Muschel nicht. In der Huschermühle dienen daher Becken als Aufzuchtstationen, dazu werden Bachforellen als Wirtsfische gezüchtet. In Handarbeit werden die Muscheln und Fische in den Bächen der Region ausgesetzt. Das Projekt läuft zehn Jahre und ist bis zum Jahr 2027 gesichert.

Die jüngeren Generationen aus der Aufzuchtstation (aktuelle Jahresproduktion: 10.000 Jungmuscheln) sollen das Überleben sichern.

Im April entlassen die männlichen Tiere ihre Spermien ins Wasser, die weiblichen filtrieren sie heraus und befruchten ihre Eizellen. Ab Juli bildet sich auf der Muschelschale eine Art Wattebausch, in dem die befruchteten Zellen reifen. Wenn sie platzen, gelangen von jeder Muschel Millionen Larven ins Wasser.

Durch diese Wolke schwimmt die Bachforelle, der Wirt der Muschelbabys. Die Larven krallen sich an den Fischkiemen fest und wachsen dort heran – etwa 100 bis 5.000 pro Fisch. Dann lässt sich die Babymuschel von ihrem Fischtaxi durch den Winter bringen und zurück in die Quellgegend. Dort löst sie sich und vergräbt sich für sechs Jahre im Bachbett. Erst wenn sie eine Größe von zweieinhalb Zentimetern erreicht hat, robbt sie zurück an die Oberfläche.

Viele Millionen Jahre funktionierte das. Doch wie die Naturschützer herausfanden, schaffen es die Jungmuscheln heute nicht mehr, aus dem Kies herauszukommen. Der Grund: Rund um die Bäche gibt es immer weniger Wiesen und immer mehr Äcker. Bei Regen wird Feinsediment in die Bäche geschwemmt, laut einer Untersuchung der TU München bis zu drei Kilo pro Quadratmeter und Woche. Die Folge erklärt Degelmann: "Die Jungmuschel erstickt oder verhungert oder beides."

Aufzuchtstationen sollen den Bestand sichern

"Die Flussperlmuschel ist für mich das perfekte Beispiel für die Genialität der Natur", findet Heidi Selheim. Sie betreut die letzte Flussperlmuschel-Population in Nordrhein-Westfalen. Denn auch sie wollte nicht hinnehmen, dass "das perfekte Zusammenspiel von Fisch und Muschel" und "ihr komplexer Lebenszyklus, der über Ewigkeiten funktioniert hat" vom Menschen in kurzer Zeit zerstört wird. Darum machen sich die Naturschützer nicht nur für geschützte Einzugsbereiche stark, sondern haben in Aachen ebenso wie in der bayerischen Huschermühle Aufzuchtstationen eingerichtet.

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Wolfgang Dengelmann (Bund Naturschutz) erklärt im Museum in der Huschermühle den Lebenszyklus der Flussperlmuschel und das Leben der Bachforelle als Wassertaxi.

Der Aufwand ist enorm: Im Juli kontrollieren die Helfer und Helferinnen die "Wattebäusche" im Bach. Sind sie reif, werden sie abgesaugt und kommen mit Tausenden Forellen in ein Becken, wo die Larven sich in den Kiemen festsetzen. Sind die Minimuscheln genügend gewachsen, erhöhen die Naturschützer die Wassertemperatur und "spielen Frühling", sodass sich die Muscheln fallen lassen.

Dann werden sie aufgefangen, gefüttert und nach drei bis fünf Monaten in Lochplatten mit feinen Netzen gesetzt und in ein Aufzucht-Bachbett gelegt. Auch dort wird weiter kontrolliert, die Platten werden wöchentlich gereinigt. Sind die Tiere 0,4 Millimeter groß, kommen sie in einen Käfig, der weiterhin gereinigt und kontrolliert wird. Dort wachsen sie über zwei Jahre heran. Sind sie knapp drei Zentimeter lang, entlassen ihre menschlichen Eltern sie in die Freiheit.

"Ein faszinierender Moment", beschreibt Degelmann den Augenblick. Die Muschel hat einen Fuß, mit dem sie sich dann in wenigen Minuten im Bachbett eingräbt und nur wenig herausschaut. "Dann öffnet sie ihre Schale und filtriert los", erzählt er – seine Begeisterung merkt man ihm bei jedem Wort an.

Die Aufzuchtstation wird im Rahmen des MARA-Projektes zum Schutz der Flussperlmuschel vom Bundesministerium für Umwelt und vom Bayerischen Naturschutzfonds gefördert. Für Aufbau und Betrieb der Zuchtanlage hat die Regierung von Oberfranken aus EU-Mitteln 1,16 Millionen Euro zur Verfügung gestellt

In der Huschermühle informiert gleichzeitig eine interaktiven Ausstellung über die Flussperlmuschel und die Bachforelle, vor allem Schulklassen aus dem Dreiländereck seien häufig zu Gast, so Dengelmann. Zu sehen ist auch der goldene Scheckenfalter, ein Schmetterling, der nur in dieser Region zu finden ist. Er ist auf die Pflanze "Teufelsabbiss" angewiesen. Und während man noch darüber grübelt, ob der Teufelsabbiss die Pflanze des Monats ist, und die Muschel oder die Bachforelle zum Tier des Monats gekürt wird, kommt die Rede auf den Fischotter.

Um die Aufzucht der Bachforellen vor dem hungrigen Fischerotter zu schützen, setzte der Bund Naturschutz auf einen hohen Metallzaun – doch für das sportliche Tier nicht hoch genug. In einer Nacht- und Nebelaktion kamen die Otter und räuberten in den Becken. Der Zaun wurde erhöht, dann brachten es die raffinierten Tiere fertig, durch jene Rohre, die für den Austausch des Wassers zwischen Aufzuchtbecken und dem benachbarten Bach sorgen, einfach mal "Becken-aufwärts" zu robben. Auch so lässt es sich heimlich "naschen".

Nun kamen in die Rohre Kreuze, um den "Durchgang" zu versperren. Für die findigen Otter noch immer kein Hindernis.  Jetzt schlüpften die schmalen Jungtiere, angeleitet von den Erwachsenen, einfach durch den Zaun. Ohne die Beweisbilder der Wildtierkameras, so Wolfgang Dengelmann, hätte es keiner geglaubt.

Der Bund Naturschutz bekam auch diese Löcher gestopft. Doch in Otterkreisen wird angeblich schon gemunkelt und gegrübelt, wie künftig an den "Braten" zu gelangen ist...