Editorial
Ach, Italien
Ein tiefgespaltenes Land
Kein anderes Land vermag die Sehnsucht der Deutschen nach dem Süden so sehr zu bündeln wie Italien. Weltweit wird es beneidet für seine „italianità“, seine Lebenslust, Eleganz, Kultur und Küche. Wie kann es da sein, dass jeder zweite Italiener behauptet, unglücklich zu sein, dass die Geburtenrate sinkt, zwei Drittel um ihren Arbeitsplatz fürchten und junge Akademiker in Scharen das Land verlassen? Für unseren Autor Thomas Steinfeld sind die „pendolari“, die grünen Regionalzüge, eine italienische Metapher im dreifachen Sinne, im Hinblick auf die soziale Schichtung, die ökonomische Geographie und die kulturelle Bindung an die heimatliche Region. Er zeichnet ein Bild von einem tief gespaltenen Land, dessen Bürger zuallererst auf sich selbst und ihre Familie vertrauen.
Dieter Richter, der seit vielen Jahren in Deutschland und Italien lebt und arbeitet, sieht mit doppeltem Blick – mit deutschen Augen in Italien und mit italienischen Augen in Deutschland. Mit der Kultur des Eichstrichs, so schreibt er, ist der Norden zum europäischen Motor geworden, der er heute ist. Was der europäische Süden dem entgegensetzt, bezeichnet Richter als Kultur des Situativen, was viele Deutsche fälschlicherweise mit Chaos, Unordnung und Willkür gleichsetzen würden.
Für den italienischen Kunsthistoriker Salvatore Settis liegt der wahre Schatz seines Landes in dessen „genetischen Code“, im Zusammentreffen und Zusammenwachsen von Zivilisationen und Kulturen des Nordens und des Südens während Hunderten von Jahren – aufgeschichtet und nachzuspüren in jeder Stadt und in jedem Dorf. Italien müsse nun die Kraft seines kulturellen Erbes bündeln und den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft mit Kreativität begegnen. Und John Dickie, Autor des Bestsellers „Delizia!“, räumt mit dem Vorurteil auf, dass die italienische Küche ländlich geprägt ist. Es sei an der Zeit, italienisches Essen endlich als das zu verkaufen, was es ist: „Das dynamische Erbe von Jahrhunderten städtischer Perfektion“.
Einen Blick über unsere Landesgrenzen hinaus werfen wir auch im Fokus: Vor 70 Jahren begann die Erfolgsgeschichte der internationalen Länderausschüsse, und Rotary Clubs aus Deutschland und Frankreich machten sogar schon 1930 einen Anfang. Heute sind deutsche Rotarier in 36 Länderausschüssen aktiv und bilden somit die rotarische Antwort auf eine Welt im Ungleichgewicht. Unser Autor Matthias Schütt stellt Beispiele aus unterschiedlichen Winkeln der Erde vor, darunter das Projekt „Kick for Tolerance“, bei dem mitten im indisch-pakistanischen Krisengebiet Jugendliche miteinander Fußball spielen und so zur Völkerverständigung beitragen. Da ist es erfreulich, dass weitere Länderausschüsse kurz vor ihrer Gründung stehen. „In einer Zeit, in der sich Staaten auf ihre Grenzen zurückziehen, bleibt Rotary grenzenlos“, sagt der neue RI-Präsident Holger Knaack.
Wie wichtig Knaack die Völkerverständigung ist, belegt dessen großes persönliches Engagement im rotarischen Jugenddienst. Unser Porträt gibt tiefe Einblicke in sein Privatleben und lässt langjährige Freunde und alte Weggefährten zu Wort kommen. „Das Erstaunlichste am Jugenddienst ist, dass Eltern ihre Kinder um den Globus schicken und darauf vertrauen, dass die Rotarier sie wie ihre eigenen Kinder behandeln werden. Das ist etwas, was uns einzigartig macht“, so der Ratzeburger.
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht
Björn Lange
Stellvertretender Chefredakteur
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