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Porträt

Ermittler auf Spurensuche

Porträt - Ermittler auf Spurensuche
Peter Diepold und Sönke Jaek bei der Arbeit © Sven Schreivogel

Peter Diepold und Sönke Jaek bieten mit ihrer Rotary-Datenbank eine wahre Fundgrube und ermöglichen spannende wie bedrückende Einblicke in die rotarische Gemeinschaft zur NS-Zeit.

Florian Quanz01.11.2023

Peter Diepold schmunzelt. „Das war schon eine Halbtagsstelle.“ Wer die Rotary-Datenbank memorial-rotary.de aufruft, kann schnell erahnen, wie viel Zeit und Fleiß in den Aufbau gesteckt wurden. Zeit, die sich Diepold als emeritierter Professor für Pädagogik und Informatik genommen hat. „Ich habe sprichwörtlich bei null angefangen.“ Während er bei der Programmierung der Datenbank zunächst ein Einzelkämpfer war, hatte er beim inhaltlichen Aufbau gleich zu Beginn Unterstützung.

Aufruf im Rotary Magazin

Alles begann im Jahr 2015 mit einem Artikel im Rotary Magazin, in dem der rotarische Freund Kurt-Jürgen Maaß dazu aufrief, die Geschichte Rotarys in Deutschland unter dem Einfluss des Nationalsozialismus offen und kritisch aufzuarbeiten. Seine Initiative stieß auf große Resonanz bei mehreren Clubs und Rotariern, so auch bei Peter Diepold, Mitglied im RC Göttingen und Past-Governor.

Der fand sich wenig später in einer Runde mit Historikern wieder. Bei einem Experten-Meeting trafen sich im März 2016 bei der Volkswagen-Stiftung in Hannover Rotarier aus 13 Clubs mit Vertretern des Deutschen Governorrats und des Länderausschusses Deutschland-Israel. Unter der Moderation von Prof. Carl-Hans Hauptmeyer vom Historischen Seminar der Leibniz-Universität Hannover wurde ein modulares Projekt zur systematischen Aufarbeitung vereinbart. Peter Diepold sagt dazu: „Historiker denken in Veröffentlichungen. Ich dachte jedoch gleich daran, die gesammelten Informa tionen in einer Datenbank für alle Rotarier zugänglich zu machen.“ Diese Idee stieß auf breite Zustimmung, und Diepold machte sich ans Werk.

Über 400 Dokumente und 700 Fotos

Peter Diepold liebt neue Herausforderungen. Das zeigt sich schon in seiner beruflichen Laufbahn. Er studierte zunächst Wirtschaftswissenschaften, machte seinen Master in Yale. Im Anschluss entschied er sich für ein Theologiestudium in Deutschland mit dem Ziel, Pastor zu werden. Doch dazu kam es nicht. Ihm wurde eine Assistenzstelle an der Uni Göttingen angeboten, er sagte zu. Als im Fachbereich der Wirtschaftswissenschaften eine Professur zu besetzen war, wechselte er wieder in dieses Fachgebiet zurück. Mit 53 Jahren erhielt er dann ein Angebot der Humboldt-Universität zu Berlin, welches er nicht ausschlagen konnte, und besetzte eine neu geschaffene Professorenstelle für Pädagogik und Informatik. All sein über Jahrzehnte erworbenes Fachwissen setzt der heute 85-Jährige seit einigen Jahren nun auch beim Aufbau der Rotary-Datenbank ein. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mehr als 400 Dokumente und 700 Fotos umfasst die Datenbank inzwischen. Ganze 56 Clubs des ehemaligen Distrikts 73 (Deutschland und Österreich) werden in den nächsten Jahren ihren 100. Geburtstag feiern. Gegründet zwischen 1925 (Wien) und 1937 (Offenburg), werden sie auf einen Schatz an Dokumenten ihrer Clubs aus der Weimarer Republik und NSZeit zugreifen können. Mitgliederzahlen, Protokolle und Namenslisten – die Datenbank ist eine wahre Fundgrube.

Ein eingespieltes Duo

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Peter Diepold und Sönke Jaek © Sven Schreivogel

Zu verdanken ist das auch Sönke Jaek vom RC Göttingen-Sternwarte. „Ich bin 2019 zufällig mit Peter auf der Geburtstagsfeier von gemeinsamen Freunden ins Gespräch gekommen, da erzählte er mir von seiner Datenbank. Ich habe ihn sehr wertschätzend kennengelernt und ihm gesagt, dass ich mir das gerne mal anschaue“, erinnert sich Jaek. Der Gymnasiallehrer und Fachleiter für Geschichte am Studienseminar Göttingen bildet seitdem mit Peter Diepold ein perfekt eingespieltes Duo. Die beiden Freunde treffen sich meist bei einer Tasse Kaffee im Arbeitszimmer von Peter Diepold. „Mir ist es wichtig, in der NS-Zeit ausgeschlossenen Mitgliedern ein Gesicht zu geben und ihre Biografien festzuhalten“, erklärt Jaek. Da ist Akribie gefragt, zumal die Mitgliederdaten von Rotary keine Geburtsdaten erfassen und Personenrecherchen deshalb erschwert werden. So hat der 54-Jährige schon mal seine kompletten Herbstferien oder vier Wochen der Sommerferien für die Rotary-Datenbank geopfert. Der Eifer der beiden ist bis heute ungebremst.

In Kürze werden auch die Biografien der über 280 von den Nazis diskriminierten Rotarier im Wallstein-Verlag erscheinen. Das Buch ist das Ergebnis mehrjähriger Recherchearbeit von Hermann Schäfer ( RC Bonn Süd-Bad Godesberg).

Einblick in die Datenbank: memorial-rotary.de/dokumente/432/download


Wissenswertes zur Datenbank
Die Datenbank ist auf dem benutzerfreundlichen Portal memorial-rotary.de zu finden. Mit einem Klick auf die Rubrik „Clubs“ werden alle verfügbaren Daten gelistet. Clubs, die zu ihrer 100- oder 75-Jahr-Feier Informationen über die Mitglieder der Vorkriegsjahre suchen, können ihren Altclub anklicken. Auf dem Bildschirm sind zu finden:

• aus dem Findbuch des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (GStA) alle Verweise, die den Club erwähnen. Ein Klick auf den Verweis nennt den Inhalt, die Signatur des Pakets im GStA.

• folgende Club-Daten: Name, Gründungs- und Charterdatum, Patenclub und Club-ID; • eine Liste aller Einträge in der Rubrik „Dokumente“, die auf den Club verweisen;

• eine Statistik-Tabelle: Mitgliederzahlen der Clubjahre zwischen 1925 und 1937, jährliche Clubgröße, Ein- und Austritte;

• eine Namenstabelle aller Mitglieder bis zur Auflösung 1937 mit Dauer der Mitgliedschaft und Beruf. Klickt man einen bestimmten Namen an, wird die gesamte Datenkarte des Rotariers (zum Beispiel Biografie, Foto) ausgegeben.

In der Rubrik „Rotarier“ kann man die Ausgabe filtern. Damit sind clubübergreifende Auskünfte möglich, zum Beispiel:

• Wer ist im Jahr 1933 im RK Magdeburg ein- und wer ist ausgetreten?

• Welche Alt-Rotarier sind nach dem Krieg in den RC Göttingen eingetreten?

• In welche Länder sind Rotarier aus Breslau emigriert?


Zu den Personen

Past-Gov. Peter Diepold (RC Göttingen) hat Wirtschaftswissenschaften und Theologie studiert und war zuletzt Professor für Pädagogik und Informatik an der HumboldtUniversität zu Berlin. 2011/12 war er Governor von D 1800.

Sönke Jaek (RC Göttingen-Sternwarte) hat Germanistik und Geschichte studiert, ist Studiendirektor und bildet Gymnasiallehrer aus. Für die Verlage Westermann und Klett schreibt er zudem Schulbücher. Derzeit ist er dabei, den Interact Club in Göttingen zu reaktivieren, und ist im Distriktbeirat für die TRF-Stipendiaten zuständig.