Porträt
Imponierende Powerfrau
Die ukrainische Logistikunternehmerin Mariya Mulyava schickt seit Kriegsbeginn fast täglich Hilfstransporte in ihr Heimatland.
Es braucht keine zwei Minuten im Gespräch, um zu spüren, welche Energie diese Frau hat. Befragt man sie nach ihrer derzeitigen Situation, sprudelt es nur so aus ihr heraus. Fragen braucht ihr Gegenüber für längere Zeit keine zu stellen. Sie weiß genau, welche Botschaften ihr wichtig sind und von Interesse für andere sein könnten. Mariya Mulyavas Gedanken sind bestens sortiert, dabei gibt es genug Gründe, warum dies gerade anders sein könnte. Ihr Leben hat sich mit einem Schlag verändert.
Horrornachricht im Skiurlaub
Die ukrainische Rotarierin, seit drei Jahren Mitglied beim RC Lviv International, ist gerade mit ihrem Ehemann Yuriy Chernetskyy und fünf Freunden im Skiurlaub in Sölden, als sie am 24. Februar nachts um zwei Uhr die Horrornachricht per Anruf aus der Heimat erhält: Krieg in der Ukraine. Die 44-Jährige beratschlagt sich mit ihrem Mann. Sie haben eigentlich noch drei Tage Urlaub gebucht, doch ihr Mann will sofort zurück. Für ihn steht fest, er will nach Lemberg und im Zweifel sein Land verteidigen. Noch am gleichen Tag fahren sie und ihre Freunde ohne Zwischenstopp in die Ukraine zurück.
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An der Grenze zwischen Polen und der Ukraine trennen sich die Wege. Mariya bleibt in Polen, ihr Mann fährt weiter nach Lemberg. Sie nimmt sich keine Zeit für wütende Verzweiflung, kein langes Innehalten. Sie überlegt, wie sie nun effektiv ihrem Volk helfen kann. Sie ist Geschäftsführerin ihres eigenen Transportunternehmens GTL, hat in Stockholm Strategische Unternehmensführung studiert. Mehr als 7000 Transportfahrten in über 55 Länder der Welt pro Jahr – die Zahlen ihres Unternehmens können sich sehen lassen. 35 Lkw zählt ihre Flotte. Sie liefert Kabelsätze an Autobauer oder Möbelbeschläge. Doch jetzt? „Meine Geschäftspartner produzieren weiterhin. Wir liefern.“ Diesen Satz wiederholt sie. Die Botschaft ist ihr wichtig. Zu ihren Kunden zählen unter anderem Volkswagen, MAN und Porsche. Allein die Kundennamen verdeutlichen: Die Frau versteht ihr Handwerk. Je länger das Gespräch dauert, desto konkreter zeichnet sich das Bild ihres Charakters. Mariya Mulyava ist eine starke Persönlichkeit, die nun in Kriegszeiten die passende Strategie entwickelt hat.
Da ihre Trucks in Polen angemeldet sind und sie dort in der Stadt Przemysl nahe der ukrainischen Grenze ein Büro hat, kommt ihr sofort eine Idee: von dort Hilfsgüter mit ihren Lkw in die Ukraine zu fahren. Allerdings besitzt sie in Polen keinen Umschlagplatz für Waren und somit auch keine Lagerhallen. „Das war für mich gar kein Problem. Ich habe einen befreundeten Unternehmer gefragt, ob ich sein Firmengelände als Umschlagplatz nutzen kann. Lagerhallen brauche ich keine. Ich bin so organisiert, dass ein Lkw meiner Firma schon bereitsteht, wenn eine neue Hilfslieferung kommt. Wir laden nur um“, erklärt Mariya Mulyava. Alles eine Frage der Organisation – und darin ist sie ein Profi. Alles andere würde nur ein Durcheinander geben. Und Durcheinander kann sie gar nicht leiden. Alles braucht seine Ordnung.
Ihr Büro in Lemberg, zweimal die Woche ist sie dort, ist passend dazu minimalistisch eingerichtet. Ein Schreibtisch mit Laptop, ein Konferenztisch und ein Schrank. Serviert wird für Gäste Kaffee oder Tee, für Freunde holt sie auch schon mal einen Whiskey hervor. Dabei trinkt sie selbst lieber Wein, hat sich sogar zur Wein-Sommelière ausbilden lassen.
Weltkonzerne sind Kunden
Dass sie die jetzigen Hilfsfahrten überhaupt aufnehmen konnte, ist ihrer Überzeugungskunst zu verdanken. Sie hat sich bei der ukrainischen Regierung die Ausnahmegenehmigung geholt, dass ihre ukrainischen Fahrer auch für Hilfstransporte das Land verlassen dürfen. Wer Weltkonzerne zu seinen Kunden zählt, der überredet auch Bürokraten in Regierungsbüros.
Zwölf Lkw mit Hilfsgütern an einem Tag in Richtung Ukraine, das ist ihr bisheriger Rekord und zeigt: Das rotarische Netzwerk funktioniert bestens. Doch Stolz kann man in ihrem Gesicht nicht ablesen. „Wir tun einfach das, was unser Land von uns erwarten kann.“ Dieser Satz spiegelt ihren Patriotismus wider, der auch ihre Lkw-Fahrer antreibt. Die Kosten für die Hilfstransporte übernimmt Mariya, ihre Fahrer verzichten auf Lohn. Am ersten Samstag nach Kriegsbeginn erreichten sie mehr als tausend Anrufe aus ganz Europa. „Während ich einen Anruf entgegengenommen habe, habe ich zugleich drei andere verpasst. Alle wollten helfen“, erzählt Mariya. „Nach ein paar Tagen habe ich dann nachts das Handy ausgestellt, sonst hätte ich gar keinen Schlaf mehr gehabt.“ Zum ersten Mal in ihrer Erzählung zeigt sich: Sie ist auch mal an ihre Belastungsgrenze gekommen.
Nach dem Krieg will sie wieder Projekte angehen, die derzeit auf Eis liegen. Sie sammelt traditionelle Kleider aus allen Regionen der Ukraine. „Ich weiß genau, aus welchem Ort welches Kleid stammt.“ Die Rede ist von rund 500. Mariya Mulyava möchte sie in einem eigenen Museum präsentieren. Das ist ihr Traum. Realisierung nach Kriegsende.
Zur Person
Mariya Mulyava (RC Lviv International) hat Strategische Unternehmensführung in Stockholm (Schweden) studiert. In 17 Jahren hat sie als Geschäftsführerin mit ihrem Ehemann ein weltweit agierendes Logistikunternehmen aufgebaut, das sieben Bürostandorte zählt. Der Hauptsitz der Firma GTL befindet sich in Lemberg in der Westukraine.
Copyright: Andreas Fischer
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