Titelthema: Tradition
Warum unsere Armee Vertrauen verdient
Die jüngsten Vorfälle in der Truppe sind ernst, aber kein Grund für eine Generalverdächtigung. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr.
Bedauerliches Fehlverhalten von Vorgesetzten in der Ausbildung von Truppenteilen, der bizarre Fall des Oberleutnant Franco A. und seiner Komplizen in der Kombination von unentschuldbarem rechtsradikalem Denken, Munitionsdiebstahl zur Vorbereitung terroristischer Verbrechen und schließlich das Auffinden von Wehrmachtsdevotionalien haben Schatten auf die Bundeswehr geworfen. Es sind trotz zeitlicher Nähe Einzelfälle sehr unterschiedlicher Art. Sie sind getrennt zu beurteilen.
Die Verteidigungsministerin hat sofort eine umfassende Untersuchung angeordnet, das ist richtig. Sie hat allerdings nicht deutlich gemacht, dass es sich um getrennt zu prüfende, nicht zwingend verbundene Sachverhalte handelt. In ihrer zeitgleichen Reaktion gegenüber der Truppe und der Öffentlichkeit hat sie das ungewöhnliche Mittel des offenen Briefes an die Bundeswehr gewählt. So entstand der Eindruck einer pauschalen Verurteilung der Truppe. Diese ist unberechtigt und falsch. Die Ministerin hat sich dafür öffentlich und vor den Kommandeuren entschuldigt.
Fragwürdiges Echo
Doch der skurrile Fall des Oberleutnants hat ein anhaltendes Medienecho ausgelöst. So wurden, teils aus Unkenntnis, teils wegen der Sucht, für Schlagzeilen zu überspitzen, und teils, weil Manche der Bundeswehr wie der Ministerin schaden wollen, beide beschädigt. Die Ministerin wehrte sich und hat sich vor die Truppe gestellt, aber Schaden bleibt: Für die Ministerin, die bis dahin in vielerlei Hinsicht ihre Sache gut gemacht hatte und für die Bundeswehr, das wichtigste Instrument deutscher Sicherheitspolitik.
Ich kenne aus 41 Jahren Dienst die Bundeswehr und kann nach fünf Jahren Generalinspekteur das Handeln auf Ebene des Ministeriums bewerten. Die Bundeswehr dient dem Schutz unseres freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates und seiner Bürger vor allen äußeren Gefahren. Auf diesem Auftrag und auf dem Grundgesetz beruht die Wehrverfassung und auch das Führungsprinzip der Inneren Führung. Letzterem entsprechend hat die Bundeswehr etwas erreicht, was vor ihr noch keine Armee der Welt geschafft hat: Sie hat trotz hierarchischer Ordnung und unter vollem Beibehalten des unersetzlichen Prinzips von Befehl und Gehorsam sichergestellt, dass jeder Soldat, egal welchen Ranges, durch die Kraft des Rechts auch vor der Macht des eigenen Staates geschützt wird.
Die Innere Führung hat sich in 62 Jahren Bundeswehr bewährt. Sie half, die gewaltige Herausforderung der Armee der Einheit zu bewältigen. Die Bundeswehr hat unter großen Opfern die Einheit der Deutschen gelebt, als andere nur davon sprachen. Dank dieses Erfolges konnten die deutschen Soldaten den Gegnern aus dem Kalten Krieg die Hand zur Versöhnung reichen. Sie halfen so, die Spaltung Europas zu überwinden. Die Innere Führung bewährte sich auch, als die Bundeswehr, politischen Aufträgen folgend, ab 1992 in bewaffnete Einsätze außerhalb Deutschlands ging. Sie wurde Schritt für Schritt zur Armee im Einsatz und bewährte sich im Kampf. Die Bundeswehr hat Leistungen gezeigt, auf die Deutschland stolz sein sollte, erbracht von Hunderttausenden von Soldatinnen und Soldaten, aber doch kaum gewürdigt, weil Militär für Viele, vor allem für die, die kaum je Verantwortung trugen, noch immer ein notwendiges Übel ist.
Der Sinn von Führung
In dieser Bundeswehr gab und wird es auch künftig Verfehlungen geben, so wie in allen anderen Formen menschlichen Zusammenwirkens. Führung heißt, sie aufzudecken, sie mit aller Strenge zu ahnden, aber auch zu helfen. Führung verlangt zudem das Handeln der Vorgesetzten durch alle Ebenen hindurch, aber unter Beachtung von deren Verantwortung, lückenlos zu überwachen und bei Fehlern einzuschreiten. Führung verlangt, die Würde und die Unversehrtheit eines jeden einzelnen Soldaten zu achten und zu schützen.
Wer dagegen verstößt, ist zu bestrafen und in schweren Fällen zu entlassen. Genau das wird in der Bundeswehr seit fast 62 Jahren getan, vermutlich konsequenter als in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft. Zusätzlich gibt es mit dem Wehrbeauftragten bewährte Kontrolle durch das Parlament. Was immer man nun ändert, Reform ist dafür wohl ein bisschen hoch gegriffen, es wird weiter Fehler geben. Jeder Fehler ist einer zu viel, deshalb sind stets Recht und Gesetz mit aller Härte durchzusetzen.
Das trifft auch für die jüngst bekannt gewordenen Fehler von Ausbildern zu. Sie sind wohl Einzelfälle, nicht Symptom eines generellen Versagens oder ein Haltungsproblem. Sicher, die Bundeswehr hat sich durch die Wirklichkeit des Einsatzes verändert, aber Innere Führung und harte Ausbildung waren noch nie Gegensätze. Im Gegenteil: Harte, wirklichkeitsnahe Vorbereitung auf den Kampf unter Wahrung der Würde und Unversehrtheit der Soldaten ist fürsorglich ausgeübte Verantwortung für den Soldaten.
war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur der Bundeswehr und danach bis 1999 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Zu seinen Schriften gehören „Die Bundeswehr in einer Welt im Umbruch“ (Siedler, 1994) und „Frieden – der noch nicht erfüllte Auftrag“ (Mittler, 2002).
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