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Porträt

Wenn alles möglich wäre …

Porträt - Wenn alles möglich wäre …
Jennifer Schmidt-Rüdt – alias Victoria Mavis – ist professionelle Zauberkünstlerin und auf der Bühne zuhause © Dominic Pencz

Wie man seine Ziele im Beruf oder privat erreicht, ist keine Zauberei. Aber sie kann dabei helfen, ist Victoria Mavis überzeugt.

Matthias Schütt01.01.2018

Kann man einen Daumen verschwinden lassen? Ja, das geht, völlig unblutig und nur vorübergehend. Es ist ein Trick, eine Fingerfertigkeit, die die Vierjährige fasziniert und nicht mehr loslässt. Sie übt das stundenlang und zeigt es im Kindergarten. Das erste Publikum von Jennifer Schmidt-Rüdt – alias Victoria Mavis – war genauso verblüfft wie die Besucher ihrer Shows heute. Ihr Spiel mit Magie und Illusion zieht Massen an, ist aber keineswegs nur Unterhaltung. Man kommt damit auch besser durchs Leben, ist sie überzeugt.
„Professionelle Zauberkünstlerin“ heißt ihre Klassifikation im Club München-Bogenhausen und beschreibt exakt das Standbein der Jungunternehmerin. Mit vier der erste Auftritt, mit sieben der erste Zauberkasten – seither zaubert sie jeden Tag und tritt auf großen und kleinen Bühnen auf, bei Festivals und im Film. 2013, nach zwei abgeschlossenen Studiengängen, beschließt die 29-Jährige, sich zunächst unter dem Namen Magic Victoria selbstständig zu machen. Erste Erfolge stellen sich ein, ein erstes Buch liegt vor, eine Deutschland-Tournee ist in Planung.

Entscheidungshelfer Magie
Hier wäre die Geschichte fast schon zu Ende, würden wir nur auf die Showeffekte schauen. Doch Tricks und Fingerfertigkeiten sind nur das Basisgeschäft, nicht der ganze Horizont. „Die Welt hinter dem Zauberkasten, das ist der eigentlich spannende Bereich, die Verbindung von Magie mit Wissenschaft und Kunst“, verrät Schmidt-Rüdt, was sie wirklich reizt: zum einen die Technik, mit welchen Effekten sich Illusionen erzeugen lassen, zum anderen die psychologische Frage, wie Magie unser Leben reicher macht und dabei helfen kann, richtige Entscheidungen zu treffen.
Denn eines hat sie früh durchschaut: Das ungläubige Staunen über Tricks und Experimente beruht darauf, dass der Zuschauer in einer berechenbaren Logik Ursache und Wirkung kombiniert und deshalb leicht in die Irre geführt werden kann. „Wir neigen dazu, linear zu denken, von A nach B. Damit aber schließen wir von vornherein viele Optionen aus, mit denen wir jedes Problem auch betrachten und eventuell lösen könnten“, beschreibt Schmidt-Rüdt ein typisches Denkmuster. Das führt nicht nur immer wieder in Sackgassen, sondern auch dazu, dass wir Chancen verpassen, einfach weil Scheuklappen jeden Seitenblick verhindern. Diese Erkenntnis steht hinter ihrem Buch „Was, wenn Alles möglich wäre? Wie Magie unser Leben bereichern kann“ (teNeues Media, 2017) und hat dazu geführt, dass als zweites Standbein zur Zauberei das Firmen-Coaching vermehrt nachgefragt wird. Denn im Berufsalltag lauern ständig die Sackgassen scheinbar routinierter Problemlösungen. „Dabei hat schon Einstein gewusst, dass wir ein Problem nicht auf dieselbe Denkweise lösen können, aus der es entstanden ist“, hält Schmidt-Rüdt dagegen.
Wie aber lassen sich Denkschablonen aufbrechen, wie werden wir offen für Neues und finden den Mut zu geistigen Umwegen? Die attraktive Frau mit der wallenden blonden Mähne hat verschiedene Konzepte in petto: Eins ist die Hypnose, die sie in einem Intensivkurs in Singapur erlernt hat. Menschen in Trance anzuleiten, was machbar und möglich ist, hat sie erfolgreich erprobt: Eine Freundin war nach einer Session von ihrer Zigarettensucht befreit.
Ein zweiter Ansatz ist die Kombination von Faszination und Entspannung. Wenn wir entspannt sind, lernen wir besser, das ist pädagogisches Grundwissen. „Das kennt jeder aus dem Urlaub“, erläutert Schmidt-Rüdt. „Dort machen wir oft unerwartete Erfahrungen, gerade weil wir nicht wie im Alltag unsere Routinen abspulen lassen.“ Dazu ist der Film ihr Mittel der Wahl. Denn das Kino hat noch jeden Zuschauer magisch gebannt: Obwohl wir wissen, dass wir reine Fiktion erleben, werden echte Reaktionen ausgelöst: Angst im Horrorfilm, Mitleid im Familiendrama. Die berühmte Katharsis des Aristoteles funktioniert im Zeitalter von Multimedia noch genauso zuverlässig wie in der Antike.

Praktikum in Hollywood
Das ist die Idee, und Schmidt-Rüdt ist sie ganz strategisch angegangen. Nach einem BWL-Studium an einer Berufsakademie hat sie noch ein zweites an der Hochschule für Medien in Stuttgart mit einen Master of Arts in Filmgestaltung abgeschlossen. Den ersten Praxistest unternahm sie beim Filmfestival in München mit einem Video, in dem sie Passanten in Venedig mit Illusionen verzaubert. In zukünftige Programme soll Film als zusätzliches, aber auch eigenständiges Element eingebaut werden.
Richtig auf den Geschmack kam sie bei einem Praktikum in Hollywood. „Zauberei hat in den USA einen höheren Stellenwert als bei uns“, schwärmt Victoria Mavis, „und bietet ganz andere Entfaltungsmöglichkeiten. Stellen Sie sich vor: Allein der Umsatz an Zauberartikeln beträgt dort pro Jahr 600 Millionen Dollar.“

Die Kehrseite des Geschäfts
Allerdings kennt sie auch die Kehrseite des Geschäfts, die großen Shows in Las Vegas, spektakulär, aber seltsam unpersönlich, künstlich aufgeblasen wie die ganze Stadt in der Wüste von Nevada. Da sucht sie doch lieber die Tuchfühlung mit ihrem Publikum, obwohl sie sich das nur bedingt leisten kann. Zauberei, wie Victoria Mavis sie liebt, funktioniert am besten im kleinen Kreis, wirtschaftlich rechnen tun sich aber nur große Veranstaltungen. In Anbetracht des logistischen, technischen und personellen Aufwands muss sie Hallen mit 500 bis 800 Besuchern füllen, wenn die Kartenpreise noch erschwinglich bleiben sollen.
Zaubern ist wie alles scheinbar Leichte harte Arbeit. Dazu gehört ein diszipliniert eingehaltener Trainingsplan, für die körperliche, aber auch die geistige Fitness. Das ist die Voraussetzung, damit Jennifer Schmidt-Rüdt als Victoria Mavis ihr Publikum verzaubern kann. 


Zur Person

Jennifer Schmidt-Rüdt (RC München-Bogenhausen), Jahrgang 1984, recherchierte schon in der Waldorfschule Stuttgart für eine Jahresarbeit das Thema „Die Illusion zwischen Faust und Copperfield“. Mit 15 nahm sie Kontakt auf zum Magischen Zirkel, in den nur die echten Zauberer aufgenommen werden. Als Victoria Mavis füllt sie inzwischen große Hallen.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.